Der Weg von einer ADHS-Diagnose zu einem hochsensiblen Leben (Rezension)

Der Weg von einer ADHS-Diagnose zu einem hochsensiblen Leben (Rezension)Diesmal möchte ich euch ein autobiographisches Buch zum Thema Hochsensibilität vorstellen, auf das ich durch Zufall gestoßen bin, weil mich die Thematik immer wieder interessiert: "Mama, Papa - ich habe kein ADS! Ich bin hochsensibel" von Britta Hildebrandt. Netterweise stellte mir die Autorin ein Rezensionsexemplar zur Verfügung. Meine bisherigen Rezensionen findet ihr hier.
Die Autorin hat zwei erwachsene Kinder und reflektiert aufgrund der Geschichte ihrer von klein auf unangepassten Tochter, die "sich in unserer Welt schlecht zurechtgefunden hat" (S. 5) den Weg, den sie und die ganze Familie gegangen ist, von der frühen AD(H)S-Vermutung bis hin zu der Überzeugung, dass die Tochter hochsensibel ist. Schon von Anfang an fiel Britta Hildebrandt auf, dass bei ihrer Tochter vieles anders war als bei anderen Kindern. Als sie ca. 3 Jahre alt war, wurde der Leidensdruck für die Familie unerträglich und so stellte sie die Tochter einem Kinderpsychologen vor, der bei ihr ADS feststellte und für die Gabe von Medizin plädierte. Das war im Jahr 1998. Das Kind war 3 Jahre alt! Einerseits war die Autorin froh, endlich eine greifbare Diagnose zu haben, andererseits war es für sie undenkbar, ihre Tochter mit Medikamenten vollzupumpen. Stattdessen schlug sie einen eigenen Weg ein, der allen gut tat. Erst viel später stieß sie auf das Phänomen der Hochsensibilität und erkannte die Tochter darin.
Der Weg der Familie bestand aus Aspekten wie Reduktion der Reizquellen, Aufenthalte in der Natur, direkte Ansprache, Schaffung von Ruheoasen, Erlernen von Entspannungsmethoden, Ernährungsumstellung usw. und vor allem Selbsterkenntnis der Eltern: "Durch meine Tochter habe ich überhaupt erst erkennen können, welch hochsensibles Wesen ich bin." (S. 28) Mittels Rückschau in die eigene Kindheit bzw. Familiengeschichte, Selbsterkenntnis und Selbstveränderung gelingt es, Strukturen aufzubrechen und neue Weg einzuschlagen, die dem "schwierigen" Kind zugute kommen. "Ich habe mich also weg vom Symptomträger (meiner Tochter) bewegt und habe an und in mir etwas erkannt, dann verändert und das hatte maßgeblich und unmittelbar Auswirkungen auf die ganze Familie." (S. 62)
Britta Hildebrandt veränderte dann ihr eigenes Leben dahingehend, dass sie Reiki-Lehrerin wurde und 2004 ihre eigene Praxis für ganzheitliche Lebensart eröffnete. Sie entwickelte sich gemeinsam mit ihrer Tochter und konnte ihr dadurch einen Rahmen geben, um ein erfülltes hochsensibles Leben zu leben. Einige Aspekte des Buches sind mir persönlich zu "esoterisch" und ich halte es nicht unbedingt für hilfreich und angebracht, die Hochsensibilität mit Begriffen des New Age (hochsensible Kinder als "Kinder der neuen Zeit") zu vermischen, aber das ist mein persönlicher Geschmack. Die Autorin hat für sich diesen Weg gefunden.
Ich hätte mir auch noch ein ausführlicheres Eingehen auf das Phänomen ADHS gewünscht, da nicht jeder mit den Charakteristika und Unterschieden vertraut ist. Das fehlt wahrscheinlich, weil die Autorin ADHS für einen Mythos (S. 20) hält, hinter dem sich oft nur die Hochsensibilität verbirgt: "Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen gehe ich davon aus, dass die meisten Kinder mit AD(H)S einfach nur hochsensibel/hochbegabt sind und sich in unserer Welt entweder langweilen oder emotional überfordert sind oder beides." (S. 43) Ich denke zwar auch, dass vielen ADHS-Diagnosen tatsächlich eine Hochsensibilität zugrunde liegt und viele Kinder falsch diagnostiziert und therapiert werden. Allerdings existiert in meinen Augen ADHS als eigenes Phänomen, was zwar der Hochsensibilität in einigen Punkten oberflächlich ähnelt bzw. sich ähnlich äußern kann, aber auch deutliche Unterschiede aufweist. Im neuen Buch Hochsensibel ist mehr als zartbesaitet von Sylvia Harke findet man auf S. 226 eine sehr gute Gegenüberstellung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden von ADHS und Hochsensibilität, und auch der Großteil der übrigen Hochsensibilitäts-Literatur sieht ADHS und Hochsensibilität als zwei verschiedene Phänomene und nicht in jedem ADHS-Kind ein hochsensibles Kind. Ich denke, ADHS als Mythos hinzustellen wird dem Phänomen genauso wenig gerecht wie Hochsensibilität als Modediagnose zu bezeichnen, was ja aktuell gern gemacht wird.
Ich erinnere mich, dass ich selbst - ohne das Wissen über Hochsensibilität - anfangs der Überzeugung war, dass mein Großer ADHS habe. Bis zum Alter von ca. 1,5 - 2 Jahren deutete viel darauf hin, z.B. seine Zappeligkeit, sein Überaktionismus, seine Impulsivität, seine Wutausbrüche, seine Ablenkbarkeit, seine Unfähigkeit, sich länger als 30 Sek. mit etwas zu beschäftigen und sich zu konzentrieren etc. Auch bei mir selbst hielt ich diese Diagnose für möglich. Als ich allerdings auf die Hochsensibilität stieß, als mein Großer knapp über 2 Jahre alt war, passte alles viel besser auf ihn und auf mich und ich erkannte auch die Unterschiede. Inzwischen hat er sich so stark verändert, dass nichts mehr auf ADHS hindeutet. Gerade Kinder entwickeln sich ja noch sehr und sind im Fluss.
Sehr spannend finde ich den von der erwachsenen Tochter Antonia selbst verfassten Beitrag, in dem sie konkret beschreibt, was ihr in der Familie und in ihrem weiteren Leben geholfen hat. Sie hat im vorigen Jahr Abitur gemacht und möchte sich zur Hebamme ausbilden lassen. Interessanterweise hat sie sich selbst immer als "normal" wahrgenommen (S. 111), was beispielsweise bei mir nicht der Fall war. Interessant und hilfreich sind auch die Anklänge an das Thema der Schule, was bei uns im nächsten Jahr akut wird.
Nach vielen Sach- und Kinderbüchern über Hochsensibilität war es erfrischend, wieder einmal einen autobiographischen Bericht zu lesen. Bei der Lektüre wird deutlich, dass sich hochsensible Menschen und Lebenswege genauso voneinander unterscheiden wie normal sensible auch. Jeder muss seinen Weg finden, um ein zufriedenes und sich nicht "falsch" anfühlendes Leben zu führen. Eltern kommt dabei eine entscheidende Rolle bei der Begleitung ihrer hochsensiblen Kinder zu. Auch hier trat wieder der Fall auf, dass die Mutter erst durch das Kind auf die Hochsensibilität stieß, so wie es bei uns auch war. Man kann seinem Kind wirklich dankbar dafür sein und diesen Dank durch einfühlsame Begleitung zurückgeben. Das geht deutlich aus dem Buch hervor und beide Seiten, sowohl Mutter als auch Tochter, wirken mit ihrer Veranlagung sehr im Einklang.
Vielen Dank an die Autorin für das Rezensionsexemplar.
Bibliographische Angaben:
Britta Hildebrandt: Mama, Papa - ich habe kein ADS! Ich bin hochsensibel, CreateSpace Independent Publishing Platform, Juli 2016, 214 Seiten, ISBN 9781534633100, € 18,90
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