Es gibt nicht viele Menschen, die den Wecker lieben. Der schrillt so grässlich, gerade dann, wenn man noch etwas Schlaf bräuchte. Und das ist natürlich einfach schrecklich. Wenn er wenigstens irgendwann läuten würde, aber nein, er läutet dann, wenn ich’s am wenigsten brauchen kann: am Morgen. Und dann muss man aus dem warmen Bett raus.
In einem gar nicht so fernen Land ist einmal einen mächtiger Weckerfresser aufgetaucht. Der Weckerfresser war wie ein Monster, das von Weckern lebte. Er strich am Morgen so durch die Straßen, und wenn er irgendwo einen Wecker läuten hörte, sprang er durch das Fenster, packte den Wecker und verschluckte ihn, ohne zu beißen. Da klingelte oder piepte oder tutete es noch eine Weile in seinem Bauch, aber dann wurde es schon still. Nur so gewisse Wecker piepten noch sehr lange. Aber da half alles nichts.
Die Leute mochten aber den Weckerfresser eigentlich ganz gut. Er war ja irgendwie gutmütig, sah auch nicht überaus böse aus, zumindest wenn man ihn mit anderen Monstern verglich. Er war von nachtblauer Farbe, etwas haarig, etwas struppig und wenn er rülpste, dann roch es ein bisschen nach Wecker. Er tat sonst niemandem etwas, hatte große Ohren und stellte den Kopf etwas schräg, wenn er lauschte.
Nun, die Stadtverwaltung wollte aber der Sache ein Ende machen und das Ungetüm (wie sie es nannten) einfangen lassen. Ich habe gehört, dass das einige Schullehrer angezettelt hatten, weil sie in der ersten Schulstunde immer nur noch ganz wenige Kinder unterrichteten. Aber so einfach war das zum Glück (für den Weckerfresser und für die Schulkinder) nicht. Der Weckerfresser war immer schneller.
Aber nach einigen Jahren gingen dann die Wecker aus, in der Stadt. Und das Monster fand nur noch schwer Nahrung. Inzwischen hatte die Stadtverwaltung auch eine Belohnung ausgesetzt für denjenigen, dem es gelänge, das Monster zu fangen. Und Rémi, dem belundischen Monsterfänger gelang es. Er machte ein Schlafzimmer am Rande der Stadt zur Falle, stellte einige Wecker drin auf, und als das Monster reinsprang, um die Wecker zu fressen, konnte er es mit Hilfe einiger Freunde und mit einem großen Netz überwältigen. Dann kam es in den Zoo.
Im Zoo hatte der Weckerfresser ein großes Gehege. Es hatte da einen kleinen See und einen Baumstrunk aus Beton, sowie etwas schattiges Buschwerk. Aber es war schwierig, ihn satt zu machen und man schaffte jeden Tag Wecker herbei. Und in der Stadt wurde das Problem noch grösser, denn es hatte immer noch kaum Wecker, nur dass der Weckerfresser sie nicht mehr selber fing. Die Leute kauften also in fernen Städten Wecker und brachten ihn als Mitbringsel dem Monster in den Zoo. Aber früh aufstehen – das tat keiner.
Die Lage besserte sich erst einige Jahre später, als jemand durch Zufall eine fast unglaubliche Entdeckung machte: Wenn man dem Weckerfresser eine Geschichte erzählte, war er nachher satt! Es musste natürlich schon eine tolle Geschichte sein. Aber dann brauchte er keinen Wecker mehr. Und nun mussten die Leute aus dem Ort reihum in den Zoo zum Geschichtenerzählen. Und die Lage normalisierte sich wieder langsam mit den Weckern: die Kinder bekamen wieder welche zum Geburtstag geschenkt und keiner fraß den Wecker weg.
Aber mir ließ das doch keine Ruhe und ich musste viel darüber nachdenken. Denn wenn das Monster von zwei Dingen satt wird: von Weckern und von Geschichten … dann ist ja beides etwa dasselbe (mit gleichviel Vitaminen und so). Dann haben die beiden Sachen doch die gleichen Eigenschaften? Dann kann einen eine schöne Geschichten wach halten und wach machen…