Der Wandel zum Schlechten

von Nino Zebiri

Le changement, c’est maintenant – Der Wandel ist heute. Mit dieser Parole gewann François Hollande im April 2012 die Präsidentschaftswahlen. Seither hat sich in Frankreich vieles gewandelt – jedoch vielmehr zum Schlechten als zum Guten. Von der Aufbruchstimmung nach dem Ende der polarisierenden Sarkozy Ära ist heute nur noch wenig übrig. Stattdessen durchzieht das Land eine nie zuvor dagewesene Radikalisierung.

Brennende Autos, Massendemonstrationen und Polizeieinsätze. Die Bilder, die einen im November aus der Bretagne erreichten, zeugen von großem Unmut der Franzosen über die jüngsten Pläne ihrer Politiker. Die ländliche Bevölkerung protestiert lautstark und gewalttätig gegen das Umweltsteuerprojekt ihrer Regierung und die neue Agrarpolitik der EU, die eine Kürzung der Subventionen an französische Landwirte vorsieht. Letztere Maßnahme würde viele Betriebe in die Insolvenz treiben und Massenentlassungen provozieren. Es ist aber auch die Konfrontation mit einer in den Köpfen verdrängten Realität, die zehntausende Menschen in Quimper auf die Straße bewegt und die zu den Ausschreitungen in Pont-de-Buis geführt hat.

Die gegenwärtige Lage in der Bretagne ist gleichzeitig Sinnbild der explosiven Stimmung in ganz Frankreich. Wurden bis vor kurzem noch Bilanzen dank Subventionen und kurzfristiger Kredite schöngerechnet, ist man nun in der Wirklichkeit angekommen. Das Land findet sich mit 11% Arbeitslosigkeit und zum zweiten Mal in Folge mit Nullwachstum wieder. Ein Wiederaufschwung ist in weite Ferne gerückt. Auf internationaler Ebene bereitet die hohe Staatsverschuldung dem Land immer mehr Schwierigkeiten. So sind die öffentlichen Ausgaben in den letzten Jahren auf 57% des BIP gestiegen, was im November eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit durch Standard & Poor’s zur Folge hatte, die sich bald in höheren Zinssätzen für Staatsanleihen niederschlagen und die Refinanzierung des Haushalts erschweren wird.

Die negativen Wirtschaftszahlen wirken sich ebenfalls auf das Leben in den Städten aus. Seit den Aufständen perspektivloser Jugendlicher in Frankreichs Vorstädten 2005 wurden keine Maßnahmen zur Armutsbekämpfung in den Banlieues ergriffen. Nur das Polizeiaufgebot wurde dort aufgestockt. So gelten einige Viertel in den Vorstädten noch immer als zones interdites, gezeichnet von Armut und Jugendarbeitslosigkeit. Aber auch das Stadtbild in Großstädten wie Paris oder Marseille wird in steigendem Maße von Bedürftigen geprägt.

Der Mann, der vor 18 Monaten mit dem Versprechen gewählt wurde, die schrumpfende Wirtschaft mit Milliardeninvestitionen anzukurbeln, um jene Probleme zu bekämpfen, praktiziert heute eine konsequente Sparpolitik. François Hollandes Zwischenbilanz fällt, gemessen an den Erwartungen, die sein Wahlprogramm geweckt hat, ernüchternd aus. Zentrale Wahlversprechen wurden gebrochen und notwendige Strukturreformen bleiben aus. Ein zu hohes Bevölkerungswachstum stellt Frankreich vor zusätzliche Probleme. Wie sollen mit leeren Staatskassen die obligatorischen Kitaplätze finanziert werden?

Sparpolitik und Nullwachstum hätte man mit Sarkozy auch haben können, sagen die Kritiker Hollandes. Und davon gibt es augenblicklich eine hohe Anzahl. Die Beliebtheit des uncharismatischen Hollande liegt mit aktuell 21% unter den niedrigsten Wert von Sarkozy während seiner Präsidentschaft. Immer häufiger hört man, dass Hollande im April 2012 nicht gewählt, sondern Sarkozy abgewählt wurde.

Innenpolitisch agiert Hollande weitestgehend orientierungs- und erfolglos. Ein Gesetzesvorschlag für eine Reichensteuer von 75% des Bruttoeinkommens bewegte den Schauspieler Gerard Depardieu zur Steuerflucht nach Russland. Gleichzeitig verlegen immer mehr französische Unternehmer ihre Filialen provisorisch in das Ausland. Die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, ein Eckpfeiler in Hollandes Programm, wurde erst nach heftigen Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Gegendemonstranten in den Großstädten durchgesetzt – mit einer parlamentarischen, aber ohne gesellschaftliche Mehrheit. Auch außenpolitisch hat sich Hollande bisher unglücklich verhalten. Die voreilige Entscheidung für eine Intervention im syrischen Bürgerkrieg, mit der er Stärke demonstrieren wollte, ließ Hollande alleine auf internationalem Parkett stehen, nachdem das britische Parlament gegen eine Intervention gestimmt hat und Barack Obama zusammen mit Wladimir Putin einen Plan zur Zerstörung syrischer Chemiewaffen präsentierte.

Aufgrund Hollandes Misserfolge ist die politische Stimmung in Frankreich auf dem Nullpunkt angelangt. Das Land ist gespalten wie seit der 4. Republik nicht mehr, die 1958 von Charles de Gaulle aufgrund ungeordneter politischer Zustände aufgelöst wurde. Die beiden großen politischen Lager sind enttäuscht von ihren Repräsentanten und immer mehr Wähler werden anfällig für Populismus, der von der extremen Rechten besonders erfolgreich praktiziert wird. Deren Vorsitzende Marine Le Pen kann sich gegenwärtig trotz stumpfer Parolen gegen Einwanderer hoher Beliebtheitswerte erfreuen.

Für die Europawahlen sieht der NouvelObservateur ihre Partei, die Front National (FN), mit 24% als stärkste Kraft des Landes. Konnte man die 22% bei den Präsidentschaftswahlen 2002 für den Parteigründer Jean-Marie Le Pen noch als Unfall bezeichnen, handelt es sich gegenwärtigen Umfragen um stabile Werte, die sich durch ganz Frankreich ziehen. Nicht zuletzt die Direktwahl von Marion Maréchal-Le Pen, der Nichte Jean-Marie Le Pens, bei den Parlamentswahlen zeugt von der neuen Stärke der FN. Marine Le Pen verspricht gegen die etablierte politische Klasse vorzugehen, eine Politik für den kleinen Mann zu machen, sowie eine protektionistische Wirtschaftspolitik, die mit einem Austritt aus der Eurozone verbunden wäre. Gleichzeitig kritisiert Sie Muslime, die mit Gebeten auf der Straße französisches Territorium besetzen und illegale Einwanderer, die sich in Frankreich wie ein Krebsgeschwür ausbreiten würden. Bei den im Mai 2014 anstehenden Europawahlen plant Le Pen ein Bündnis mit Geert Wilders von der niederländischen Freiheitspartei PVV und weiteren rechtsextremen Gruppen, die bislang zersplittert im Europaparlament sitzen.

Aus Angst die traditionell konservativen Wähler an die rechtsextreme FN zu verlieren, ziehen sich populistische Phrasen und Aktionen quer durch Frankreichs Parteienlandschaft.

So ist die Wahl von Jean-François Copé zum Parteichef als erstes Anzeichen einer zunehmenden Radikalisierung in der konservativen UMP anzusehen. Der Mann, der Anti-Weißen Rassismus in französischen Städten fürchtet und das Fehlen französischer Fahnen während Hollandes Wahlfeier beklagte, wurde ein halbes Jahr nach der Wahlniederlage Nicolas Sarkozys zum Parteivorsitzenden gewählt. Er setzte sich gegen den gemäßigten Favoriten François Fillon durch, mit dem er anschließend, aufgrund des knappen Wahlergebnisses, eine Schlammschlacht abhielt. Copé, ein ehemaliger Schüler Hollandes an der Pariser Elitehochschule Sciences Po, ebnete seinen politischen Aufstieg in der UMP im Streit um ein Burkaverbot, als er allen in Frankreich lebenden Burkaträgerinnen vorwarf, in Terrornetzwerken aktiv zu sein.

Aber auch die Sozialisten lassen sich durch die rechtspopulistische Stimmung im Land anstecken und treffen umstrittene Maßnahmen, wie die Ausweisung eines Romamädchens während eines Schulausflugs. Während der Fahrt wurde der Reisebus mit dem in Frankreich aufgewachsenen Mädchen von der Polizei angehalten, um sie mit Ihrer Familie in den Kosovo abzuschieben. Trotz oder gerade aufgrund dieser Maßnahme ist Innenminister Manuel Valls gegenwärtig mit weitem Abstand Frankreichs beliebtester Politiker. Sein hartes Durchgreifen gegen illegale Einwanderer machte Ihn schon als Bürgermeister des Pariser Vorortes Evry bekannt. Er setzt somit auch die umstrittene Romapolitik von Nicolas Sarkozy fort. Nach heftigen Protesten an Frankreichs Schulen gegen diesen Schritt bot François Hollande dem Mädchen an, ohne ihre Familie nach Frankreich zurück zu kehren, was von dem Mädchen abgelehnt wurde und Hollande wegen seiner Zagheit noch unbeliebter machte.

Wie sehr die rechte Stimmung in Frankreich salonfähig geworden ist, zeigte sich jedoch vor allem in dem Fall der dunkelhäutigen Justizministerin Christiane Taubira. Eine Kreistags-Kandidatin der FN wollte sie “[...] lieber auf einem Baum als in der Regierung [...] sehen und auch eine Kreisrätin der UMP äußerte sich auf Facebook abwertend über ihre Herkunft. Als Taubira daraufhin mit rechtlichen Schritten wegen Rassismus drohte, wurde ihr in einigen konservativen Medien eine Überreaktion vorgeworfen. Der FN nahe Minute Hebdo titelte in der Folge Gerissen wie ein Affe, Taubira findet die Banane und sah sich damit als Verfechter der Pressefreiheit.

Die neue Stärke der Rechtsextremen verweht nun auch endgültig die Illusion einer gelungenen Integration der Generation Black–Blanc–Beur, den Nachfahren der in Frankreich eingewanderten Arbeitskräfte aus den ehemaligen Kolonien, in der französischen Gesellschaft. Nach dem Gewinn der Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land mit einer Mannschaft um den aus Algerien stammenden Zinedine Zidane und den in Ghana geborenen Marcel Desailly galt Frankreich in Europa als integrationspolitisches Vorbild. Das ist jetzt 15 Jahre her. 15 Jahre, in denen es versäumt wurde, eben jene Generation mit Arbeit in die Gesellschaft zu integrieren, womit die gegenwärtige Fremdenfeindlichkeit hätte vermieden werden können.

Aufschwung, Gerechtigkeit und Hoffnung waren 2012 die Schlagworte von François Hollande. Heute bleibt nur noch die Hoffnung.

Bildrechte: C.Syl20

Zum Autor:

Mein Name ist Nino Zebiri, ich bin gebürtiger Berliner und 24 Jahre alt. Nach meinem Abitur habe ich für fünf Jahre mein Studium in Paris aufgenommen. Nach zwei Jahren an einer classe préparatoire folgte ein Studium in Finanzwissenschaft an der Universität Panthéon-Assas. In diesen Zeitraum fielen die französische Wirtschaftskrise 2009 und die Präsidentschaftswahlen 2012, die das Land geprägt haben. Journalistische Erfahrung konnte ich als Chefredakteur einer Schülerzeitung und als Auslandskorrespondent eines Studentenmagazins sammeln. Des Weiteren habe ich längere Zeiträume in Russland und Algerien verbracht. Gegenwärtig arbeite ich in der Hedge Fund Industrie und bin als Analyst täglich mit der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung Europas konfrontiert.

Editiert am 23.12.2013: In einer früheren Version des Artikels war ein Zitat vertauscht wurden. Quellenangaben zu allen Zitaten finden sich in der Kommentarspalte.


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