Der Wahn um den „perfekten“ Altersunterschied

Von Nele Hillebrandt

Der Sohn ist nun über ein Jahr alt und mittlerweile häufen sie sich: Die Fragen um das Geschwisterchen. Ob wir noch ein Kind wollen. Wann wir dieses denn planen. Und oft schwingt ein bisschen (oder ein bisschen mehr) mit, dass wir uns nun doch ranhalten sollen. Denn ein zu großer Altersunterschied sei doch doof. Dann hätte man ja zwei Einzelkinder.

2 unter 2

Momentan scheint es in Mode zu sein die Kinder möglichst schnell nacheinander zu bekommen. Je kleiner der Altersunterschied, desto besser. Dann würden sie bestimmt später mal beste Freunde und können soooo toll zusammen spielen.

Versteht mich nicht falsch: Ich finde das auch toll! Und wer das will, weil er es aus tiefstem Herzen möchte, für den ist das perfekt.

Aber was ich momentan eher merke: Es wird sich Druck gemacht. Das Kind wird ein Jahr und schon denkt man sich, dass man sich jetzt aber ranhalten müsse. Denn, wer will schon zwei Einzelkinder?!

Da wird überlegt und gerechnet, geplant und verzweifelt. Und weil ein weiteres Kind (ganz egal, ob das zweite, dritte oder vierte) in diesem Moment nicht passt, dann denkt man gar darüber nach es lieber ganz sein zu lassen. Denn zwei Einzelkinder, das will man ja nicht.

Aber jetzt mal ehrlich: Wieso werden momentan nur die Vorteile von einem geringen Altersunterschied hervorgehoben? Denn was ich da auch oft sehe ist, dass es unglaublich anstrengend ist. Dass zwei Kinder gewickelt werden müssen. Dass der Körper sich noch gar nicht richtig von der vorherigen Schwangerschaft erholen konnte. Und die folgende (darum?) viel anstrengender erlebt wird.

Noch einmal in aller Deutlichkeit: Wer das wirklich möchte, dem werfe ich das in keinster Weise vor! Denn wer von etwas überzeugt ist und es aus dieser Überzeugung heraus tut, der wird damit (auch unter widrigen Umständen) glücklich. Mir geht es darum zu zeigen, dass es nicht so sein muss. Dass alles seine Vor- und Nachteile hat.

Das Märchen von der Bedeutung des Alters

Als eines der Hauptargumente für den geringen Altersunterschied gilt, dass die Kinder dann besser miteinander spielen. Beste Freunde sind. Und klar, kann sein. Kann aber auch sein, dass die Kinder einfach total verschieden sind und kaum miteinander spielen. Was nicht heißt, dass sie sich nicht abgöttisch lieben.

Mich und meine Schwester trennen zum Beispiel 24 Monate und dennoch haben wir nicht so toll zusammen gespielt. Dafür hat meine Schwester sehr viel mit meiner Bruder gespielt, der wiederum 30 Monate jünger als sie ist. Ich komme mit beiden gut klar, habe mich aber einfach immer lieber alleine beschäftigt.

Und jetzt wo wir alle Erwachsen sind, ist der Altersunterschied ziemlich pups egal. Ich liebe beide. Kann mit beiden super reden. Habe zu beiden ein sehr inniges Verhältnis.

Die Zeit, in der es wirklich einen Unterschied macht, ob die Kinder nun 2 oder 4 Jahre auseinander liegen, ist sehr, sehr begrenzt. Im Grunde beschränkt sie sich auf die frühe Kindheit. Und jetzt mal ehrlich, als Teenager findet man seine Geschwister doch eh doof. Völlig Banane, ob die nun 2 oder 4 Jahre jünger sind. (Für den umgekehrten Fall kann ich nichts sagen.)

Wo kommt der Druck her?

Ich weiß, dass dieser Druck in mir selbst entsteht. Ein bisschen habe ich darüber schon im Beitrag Kinder kriegen ist kein Wettbewerb geschrieben. Und vielleicht denken viele andere gar nicht so und ich sehe es völlig verzerrt. Aber wenn da draußen auch nur eine andere Mama ist, die die gleichen Gedanken hat und der mein Text vielleicht zeigt, dass es auch ohne geringen Altersunterschied toll sein kann, dann hat er sich gelohnt.

Denn das ist es, was mir momentan fehlt: Die Vielfalt. Die Menschen, die zeigen, wie toll es sein kann, wenn die Kinder nicht so nah beieinander liegen. Dass es ok ist zu sagen, dass man das mit dem kleinen Altersunterschied einfach nicht schaffen will oder kann. Dass es auch schön sein kann, wenn man die Baby-Zeit über mehrere Jahre streckt.

Ich habe momentan den Eindruck, dass es höher Angesehen oder besser bewertet wird, wenn die Mama relativ schnell wieder schwanger wird. Dabei finde ich, dass das eine ganz individuelle Entscheidung ist, die einfach gar nicht bewertet werden sollte. Sie ist nicht gut oder schlecht. Sie sollte einfach zu der jeweiligen Familie passen. Alles andere ist doch egal, oder?

Von Vor- und Nachteilen

Ehrlich gesagt habe ich gar keine Lust jetzt aufzuführen, was die einzelnen Vor- und Nachteile sein können. Denn ich denke, dass da eh jeder seine Vorstellungen hat. Und es letztendlich immer auf das Kind, die Familie und die Situation ankommt, ob es tatsächlich ein Vor- oder Nachteil ist.

Und deshalb will ich an dieser Stelle nur für uns sprechen:

Ich möchte diese Zeit jetzt noch mit unserem Sohn genießen. Wir hatten einen sehr schweren Start und es hat lange gedauert, bis wir beieinander angekommen sind. Ich möchte noch eine Zeit lang uneingeschränkt für ihn da sein. Ich schlafe immer noch maximal 3 Stunden am Stück und wenn ich mich allein schon an die Schwangerschaft erinnere, dann weiß ich, dass es mit dem dicken Bauch nicht gemütlicher oder einfacher wird. Geschweige denn mit einem zweiten Babys.

WIR sind noch nicht bereit. Wir fangen gerade an zu leben. Durchzuatmen. Es zu genießen. Und ein bisschen möchte ich das auskosten. Und mich dabei nicht schlecht fühlen weil meine Kinder deswegen eventuell keine besten Freunde werden. Ich will nicht jetzt die nächste Schwangerschaft planen damit wir dann auch schnell aus dem Gröbsten raus sind. Ich will die Zeit, die ich jetzt habe genießen. Das ist mein Weg. Unser Weg.

Und letztendlich ist es ja auch so, dass wir planen können wie wir wollen: Am Ende entscheidet das Leben. Wann und ob man schwanger wird, ist etwas, dass wir nicht so sehr beeinflussen können, wie wir manchmal wünschen mögen. Beim einen klappt es gleich, beim anderen erst nach einigen Monaten oder Jahren und bei wieder anderen gar nicht. Und darum sollten wir vielleicht einfach weniger planen - und mehr leben.

Dieser Artikel ist nach einem Gespräch mit meiner Kollegin Evi vom Deko-Hus entstanden. Sie wird in nächster Zeit auch noch etwas dazu schreiben und ich bin schon gespannt! Sobald ihr Artikel online ist, verlinke ich ihn hier natürlich für dich 😉

Hi! Ich bin Nele. Erzieherin, Bachelor-Psychologin und seit 11/2016 Mama von einem bezaubernden Jungen. Hier auf meinem Mama-Blog erfährst du, was mich bewegt und beschäftigt.