Der Wahlkönig – Gedanken über den Bundespräsidenten, seine Macht und Ohnmacht und über Monarchie

Am 30. April 2013 tritt die niederländische Königin Beatrix ab. Ihr Sohn, Kronprinz Willem-Alexander, wird ihr Nachfolger. Aus diesem Anlass berichtet das Wa(H)renhaus in den nächsten Tagen über dieses Ereignis, über Sinn und Widersinn der Monarchie in der modernen Zeit, über Bundespräsidenten und Parlamentseide, aber auch über Stars, Sternchen, Lieder, Kleider und Lobeshymnen. Vor allem aber über die Niederlande.

Vor 8 Jahren habe ich einmal gesagt, dass ich einen großen Artikel über die Unterschiede zwischen dem niederländischen König oder der Königin einerseits, und dem Bundespräsidenten andererseits schreiben möchte. Gehalten habe ich mein Versprechen bislang nur in Ansätzen, und auch diesmal wird der Vergleich eher fragmentarisch bleiben. Tatsache ist jedoch, dass ich vor zwei Wochen anlässlich des bevorstehenden Thronwechsels in den Niederlanden mit Franz-Josef Hanke ein interessantes Gespräch über Sinn und Unsinn von Monarchien hatte.

Alles fing damit an, dass ich die Vorbereitung zur königlichen Amtsübernahme durch Prinz Willem-Alexander beschrieb und auch über den sogenannten Prinsjesdag sprach, an dem der niederländische König zum Parlament fährt und die Pläne der Regierung für das nächste Jahr in einer kurzen, meist 15 Minuten dauernden Ansprache vorträgt, der sogenannten “Troonrede”. Ich war und bin der Meinung, dass Königin Beatrix es durch die gekonnte Mischung aus Show und Politik an diesem Tag verstand, mehr Menschen für die politischen Geschehnisse in ihrem Land zu interessieren, als das ungefähr zur selben Jahreszeit der Beginn der Haushaltsdebatte im Bundestag in unserem Lande fertig bringt. Ich war und bin der Meinung, dass bei all dem notwendigen politischen Geschacher im Tagesgeschäft eine Instanz nötig ist, mit der sich das Volk identifizieren kann, möglichst auch viele, die vielleicht an sich nicht wählen würden, eine Instanz, die über dem Parteienstreit steht oder zumindest von ihm ausgenommen ist. Diese Instanz benötigt nicht Macht im eigentlichen Sinne, aber Kontinuität, Weitblick, ein Symbol von Einheit und Ruhe, ja die Verkörperung des Felsens in der Brandung des politischen Tagesgeschäfts ist ein nicht zu unterschätzender Fakttor bei parlamentarisch geprägten Monarchien. In Deutschland, so verfolgten wir das Thema unweigerlich in die einzig mögliche Richtung, ist der Bundespräsident eine solche Instanz. Auf meinen Einwand hin, dass der Bundespräsident allein durch die Umstände seiner Wahl und das taktische Geschiebe, das diesem Urnengang in der Bundesversammlung vorausgeht, jede Überparteilichkeit verliert und sich erst mühsam zurückerkämpfen muss, konterte Franz-Josef mit dem Argument, dass man den Bundespräsidenten ja durch das Volk wählen lassen könne. Das klassische Gegenargument, das ich auch prompt anbrachte, ist der Verweis auf die weimarer Republik. Wenn ein Präsident durch das Volk direkt gewählt wird, so hat er automatisch mehr Macht, sein politisches Gewicht ist größer, und das stört das mühsam ausbalancierte demokratische Gleichgewicht der Kräfte. Daraufhin legte mir Franz-Josef Hanke seine Vision vom Amt des Bundespräsidenten vor, die ich kurz wiedergeben möchte.

Der deutsche Bundespräsident sollte direkt vom Volk gewählt werden. Wählbar kann jeder Deutsche sein, der in den letzten drei Jahren weder Mitglied der Bundes- oder einer Landesregierung bzw. des Bundestages oder eines Landtages war. Nominierrungen zur Wahl sollten die Parteien machen, wobei man noch genauer ausführen müsste, welches Parteigremium welcher Parteien die Vorschläge einreichen darf. Nur Parteien, die im Bundestag oder einem Landtag vertreten sind? Bedarf es eines Parteitages zur Nominierung, oder reicht der Beschluss des Parteivorstandes? Oder sollten es die Fraktionen des Bundestages oder der Landtage machen? Oder wären auch Bundes- und Landesregierungen zu einer solchen Nominierung berechtigt? Was ist mit gesellschaftlichen Gruppen wie Gewerkschaften, Arbeitgebern, Industrie- und Handelskammern und Wohlfahrtsverbänden? Nach der Wahl durch das Volk soll der Bundespräsident die bislang im Grundgesetz niedergelegten Befugnisse haben, aber er soll sie nach eigenem Ermessen ausfüllen dürfen. Das bedarf vermutlich einer Erklärung. Bislang ist es so, dass der Bundespräsident nicht wirklich alles darf, was ihm nach dem Wortlaut des Grundgesetzes als Befugnis zusteht. Dort heißt es zum Beispiel sinngemäß: “Der Bundespräsident ernennt und entlässt die Bundesminister auf Vorschlag des Bundeskanzlers.” In der Praxis sieht das allerdings so aus, dass der Bundespräsident einen vom Bundeskanzler vorgeschlagenen Minister ernennen muss, ohne dabei selbst ein Mitspracherecht zu haben. Die Juristen streiten sich, ob der Bundespräsident das Recht hat, zu überprüfen, ob der vorgeschlagene Minister dem Ansehen des Staates schadet, oder ob er auch dies voll und ganz dem Bundeskanzler überlassen muss. Franz-Josef Hanke wünscht sich ebenfalls, dass der Bundespräsident ein sogenanntes materielles Prüfungsrecht bei der Unterzeichnung von Bundesgesetzen hat. Derzeit kann er sich eigentlich nicht weigern, ein einmal beschlossenes Gesetz zu unterzeichnen. Grundsätzlich wird ihm nur ein sogenanntes formelles Prüfungsrecht zugestanden. Er darf prüfen, ob das Gesetz korrekt zustande gekommen ist, ob es die notwendigen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat erhalten hat, ob die
Verfahrensvorschriften der Geschäftsordnungen eingehalten wurden und ähnliches. Er hat jedoch kein Recht zu prüfen, ob das Gesetz verfassungskonform ist, oder gar ob es sich um ein gutes Gesetz handelt oder nicht. Franz-Josef Hanke hält die Verweigerungsentscheidung des Bundespräsidenten für eine persönliche Gewissensentscheidung. Er müsse sie ausführlich und fundiert begründen, aber er müsse sie fällen dürfen, meint der Journalist und Bürgerrechtler. Gegen eine solche Entscheidung wäre die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht möglich, das dann überprüfen könne, ob der Bundespräsident seine Kompetenzen überschritten habe oder nicht.

Ich bin mir nicht sicher, ob mehr Macht für eine Einzelperson, und sei sie auch mit noch so großer Mehrheit des Volkes gewählt und ins Amt gekommen, die Lösung des Problems ist. Zwar kann ein Bundespräsident sich in einem solchen Fall als “Hüter der Verfassung”, als “Verfechter des Volkswillens” oder ähnliches profilieren, was ihm möglicherweise die Wiederwahl sichert, aber damit wäre seine Gesamte erste Amtszeit ein reiner Wahlkampf, nur auf einer anderen Ebene. Die Gefahr, dass ein Bundespräsident populistische Entscheidungen fällt, ist groß, selbst wenn sie vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden. Der Bundespräsident kann dann die Rolle eines Opfers des Establishments spielen, im schlimmsten Falle. Es ist eigentlich nicht seine Aufgabe, der auch nur etwas stärkere Mann in einer präsidialen Demokratie zu sein. Eigentlich sollte das Parlament selbst mehr Aufmerksamkeit erhalten, onabhängig von der Exekutive. Zwar finde ich das Mitspracherecht des Bundespräsidenten bei der Auswahl von Ministern sinnvoll, denn Minister, die einmal in ihrem Amt gegen die Verfassung verstoßen haben, in Steueraffären und andere Skandale verwickelt waren, sollte ein Bundespräsident einfach ablehnen können. Er wäre hier eine überparteiliche Kontrollinstanz, die sozusagen die Einhaltung der guten Sitten überwacht. Die Ausfertigung von Gesetzen aber sollte keine persönliche Ermessensentscheidung des Staatsoberhauptes sein. Lediglich ein begründetes Veto mit aufschiebender Wirkung könnte ich mir vorstellen, das dann von Bundestag und Bundesrat oder bei nicht zustimmungspflichtigen Gesetzen allein vom Bundestag überstimmt werden müsste. Ein solches öffentlich begründetes Veto böte die Möglichkeit, gerade bei umstrittenen Gesetzen noch einmal darüber nachzudenken. Weiter allerdings würde ich in diesem Falle nicht gehen. Die “Checks and balances”, also die gegenseitige Kontrolle der demokratischen Institutionen in einem parlamentarischen Regierungssystem, käme bei einer Stärkung des Bundespräsidenten gewaltig durcheinander. Zumal es tatsächlich eine Tendenz geben könnte, dass der Bundespräsident mit mehr Macht direkt vom Volke versucht, wie in Weimar den Retter in der Not zu spielen und vielleicht mehr zerstört, als er rettet.

Und damit zurück zur Monarchie am Beispiel der Niederlande. Dort nämlich hat der Monarch oder die Monarchin eigentlich keinen Einfluss auf das politische Alltagsgeschäft. Es gibt eine Ausnahme: Nach den Wahlen war es bislang immer so, dass die Königin der stärksten Partei den Auftrag gab, diese oder jene Regierung zu bilden. Dieser Auftrag erfolgte zwar nach eingehenden Beratungen, aber die Königin war in ihrem Ermessen, welchen der Vorschläge sie nun annahm, grundsätzlich frei. So schaffte sie 1994 eine Koalitionsregierung aus Sozialdemokraten, Links- und Rechtsliberalen, die vorher keiner für möglich gehalten hatte, die aber 8 Jahre hielt. Für einen solchen Auftrag, von dem man ja zuvor nicht weiß, ob er gelingt, braucht man weitsicht, aber man kann sich als Herrscher nicht profilieren. Gelingt der Auftrag, hat man glück gehabt und eine stabile Regierung, gelingt er nicht, muss man weitersuchen, was das Ansehen der Politik und des Monarchen nicht stärkt. Das niederländische Parlament hat der Königin im letzten Jahr die Mitwirkung an der Regierungsbildung, die ohnehin nur auf Gewohnheitsrecht beruhte, entzogen. Die Regierung wird nun, wie vieles andere auch, in den Hinterzimmern des Parlamentes ausgehandelt, dann erst tritt man vor das Staatsoberhaupt und leistet seinen Amtseid. Doch es könnte sein, dass man den vorherigen Zustand wieder herstellt, wenn sich nämlich herausstellt, dass die jetzige Regierung aus Sozialdemokraten und Rechtsliberalen nicht so stabil ist wie erhofft.

Der Vorteil des niederländischen Königshauses liegt darin, dass es ein nationales Symbol ist. Es handelt sich um die Nachfahren des niederländischen Freiheitskämpfers Wilhelm von Oranien, von denen man in der Regel annimmt, dass sie nur das Beste für ihr Land wollen. Durch Persönlichkeiten, die sich nicht den Wahlen stellen müssen, bei Ereignissen von nationaler Tragweite aber präsent sind, wird das Vertrauen in die Monarchie gestärkt. Man begreift die Oranier in den Niederlanden nicht als Herrscher, sondern als, wie Franz-Josef Hanke es ausdrückte, Mitglieder der Familie. Viele Niederländer fühlen sich ihnen nahe, sie äußern sich praktisch nicht politisch, dürfen sie auch gar nicht, denn die Minister sind für die Äußerungen der Monarchen voll verantwortlich gegenüber Parlament und Gerichten und verbieten dem Königshaus daher eigene Stellungnahmen, aber sie engagieren sich gesellschaftlich, und durch die Auswahl der
Schirmherrschaften, den Wortlaut der Weihnachtsansprachen und die Veranstaltungen, die sie besuchen, setzen sie auch ein Zeichen, das in der Gesellschaft durchaus verstanden wird. Wenn die Königin bei der Thronrede bei einem Satz über Einschnitte ins soziale Netz die Brauen hochzog, hier oder dort längere Pausen machte oder auf eine andere Art reagierte, bot dies Gesprächsstoff auch in den Medien und in der Politik. Man wusste dann, ohne dass sie es gesagt hätte, womit sie vermutlich nicht einverstanden war, was sie als Gefahr ansah oder was sie besorgniserregend fand. Das ist die Macht modernen, parlamentarischen Königtums. Für uns in Deutschland wäre es wohl eher nichts, wie ich schon einmal in diesem Blog schrieb: Die Familien, die in Frage kämen, wären zu herrschaftlich, zu militaristisch, zu machtorientiert für eine solche Aufgabe. Der künftige König der Niederländer hingegen hat bereits anklingen lassen, dass er sich auch gut in eine rein zeremonielle Monarchie finden könne, auch sie könne Zeichen setzen.

Was wir in Deutschland tun können, um unsere Politik wieder etwas beliebter zu machen, ihr einen Hauch von Kontinuität, ruhigem Fahrwasser und Weitsicht zurückzugeben, weiß ich noch nicht. Man hat den Eindruck, dass das Gewissen dort nichts zu suchen hat, nur Taktik, Machterhalt und die Unentrinnbarkeit der Marktgesetze. All das ist vermutlich immer in der Politik vorhanden, aber hier fehlt das Gegengewicht, das in den Niederlanden zumindest für die Mehrheit der Bürger durch das Königshaus noch besteht.

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