Den folgenden Beitrag habe ich nach der Ablehnung des Brexit-Deals, aber vor der gewonnenen Vertrauensfrage von Theresa May für den Ohrfunk geschrieben. Vieles von dem, was ich schrieb, gilt auch heute noch.
Überraschend deutlich hat das britische Unterhaus den Austrittsvertrag mit der EU abgelehnt. Dieser austrittsvertrag sah unter Anderem vor, dass Großbritannien vorerst in der europäischen Zollunion verbleiben würde, damit es keine geschlossene Grenze zwischen Irland und Nordirland geben würde. Diese Grenze zu schließen würde den Frieden auf der irischen Insel zerstören, der vor knapp 21 Jahren mit dem Karfreitagsabkommen erreicht wurde. Nun aber, nachdem die Hardliner zusammen mit den Eurobefürwortern den austrittsvertrag abgelehnt haben, wird Großbritannien aller Voraussicht nach am 29. März ohne eine Übergangsregelung die EU verlassen, mit all den heftigen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und militärischen Konsequenzen, was den irischen Konflikt betrifft. Sofort nach der Abstimmung brachte der Oppositionsführer, der Labour-Chef Jeremy Corbyn, ein Misstrauensvotum gegen die Regierung ein, doch obwohl ein Großteil der Konservativen von Theresa May gegen den austrittsvertrag stimmten, werden sie die Regierung beim Misstrauensvotum sehr wahrscheinlich stützen, um eine Neuwahl zu verhindern. Denn darum geht es den Brexit-Hardlinern: Sie wollen – ohne Rücksicht auf die Folgen – ohne einen Vertrag aus der EU austreten, aber innenpolitisch an der Macht bleiben. Über das Misstrauensvotum wird heute Abend entschieden.
Folgende Szenarien sind nach der verlorenen Abstimmung denkbar:
1. No Deal
Die wahrscheinlichste Lösung ist der Austritt ohne Vertrag, den ich gerade schon skizziert habe. Es wäre eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Katastrophe für Großbritannien, aber auch die EU hätte mit wirtschaftlichen und finanziellen Problemen zu kämpfen.
2. Neuverhandlung
Die britische Regierung könnte die EU um neue Verhandlungen bitten, doch die EU-Kommission und die EU-Ratspräsidentschaft halten davon nichts. Wenn sich die Staatengemeinschaft aber dennoch umstimmen lassen würde, so müsste Großbritannien zunächst einen Antrag stellen, die Austrittsfrist zu verlängern, um Zeit für die Verhandlungen zu haben. Dem müssten die anderen EU-Staaten einstimmig zustimmen. Sodann müsste ein völlig neues Abkommen verhandelt werden, das wiederum von den EU-Staaten und Großbritannien angenommen werden müsste. Dies alles müsste vor den Europawahlen im Mai geschehen, denn an denen sollte Großbritannien eigentlich nicht mehr teilnehmen. Dieses Szenario gilt als extrem unwahrscheinlich.
3. Neuwahlen in Großbritannien
Die Premierministerin könnte sich entschließen, das Parlament um Neuwahlen zu bitten. Zwei drittel der Abgeordneten müssten zustimmen, was ebenfalls sehr unwahrscheinlich ist, weil die harten Brexiteers zu viele sind, um gegen sie eine Neuwahl durchzusetzen. Würde dies aber gelingen, könnten frühestens 25 Tage später Wahlen stattfinden. Die dann gebildete Regierung könnte dann entweder das Brexit-Gesetz aufheben oder eine neue volksabstimmung durchführen lassen. In beiden Fällen müsste aber die Austrittsfrist ebenfalls verlängert werden, was mit der EU nur für höchstens 5 oder 6 Wochen zu machen ist. Für eine neue Volksabstimmung reicht diese Zeit keinesfalls aus.
4. Neue Regierung nach verlorener Vertrauensabstimmung
Sollte Theresa May die Vertrauensabstimmung entgegen aller erwartungen doch verlieren, so kann das Parlament binnen 14 Tagen eine neue Regierung ins Amt heben. Formell bildet die Königin die neue Regierung, die dann ein Vertrauensvotum bestehen muss. Die neue Regierung hätte dann die Handlungsfreiheit, das Brexit-Gesetz zu ändern oder aufzuheben, hätte aber kaum eine Legitimation, denn das Brexit-Gesetz kam mit einer Volksabstimmung zustande, die zwar nicht bindend war, aber nicht einfach übergangen werden kann.
Somit ist klar: Das wahrscheinlichste Szenario ist der sogenannte ungeregelte Brexit. Nur das Misstrauensvotum gegen Theresa May könnte daran etwas ändern, was sehr unwahrscheinlich ist. Die EU täte gut daran, sich auf wirtschaftliches Chaos und einen weiteren blutigen Konflikt in Nordirland vorzubereiten. Ob die Rechten hierzulande dann wohl fordern werden, Flüchtlinge von der irischen Insel aufzunehmen, oder sie im Ärmelkanal ertrinken zu lassen?
Update: Dass der Nordirland-Konflikt so schnell wieder aufflammen würde, wie es jetzt geschehen zu sein scheint, hätte selbst ich, den man einen Pessimisten nennt, nicht gedacht..