Der Versuch Stanisic zu lesen-Sequenz

Irgendwo warte ich immer auf Karla. „Glückstag“ , sage ich gut gelaunt. Mein Lieblingsschriftsteller hat ein neues Buch geschrieben. „Der von der Rolltreppe.“

„Meinst du den aus der Schweiz? Nee der war doch schon tot.“ Karla geht singen üben. Ich hole mir „Herkunft“, setze mich in das Cafe unterhalb der Bibliothek , bestelle mir Capuccino, schlage das Buch auf, lese ein paar Sätze. Der Text verschwimmt. Ich bin fünfzig, fast, auch wenn ich mich nicht so fühle ist es so.

In diesem Alter sitzt man nicht in Cafes während einem emotionale Turbulenzen heimsuchen und den Text verschwimmen lassen. Es geht mir mit keinem anderen Buch so, nur beim Grammophon und bei „Vor dem Fest“ berührt die Sprache sofort und unmittelbar etwas in mir, was das Lesen zunächst verhindert. Ich will nicht am Konsens vorbei leben. Ungeübte Impulskontrolle. Kiel ist ein Dorf, irgendwo ist immer jemand der einen kennt. Ich schlage das Buch lieber zu, bezahle den Cappucino, hole Karla ab die singt: rot, rot, rot steht mir nicht.

Dienstag: Karla vom Ballett geholt.

Stanisic wird im Literaturhaus lesen, ich muss die Strecke noch mal üben um sie hinzubekommen. Auch das ist am Konsens vorbei leben. Entweder kann man mit fünfzig Auto fahren oder man lässt es.

Die Strecke ist kein Problem. Ich habe diese Strasse fünf Jahre lang gemieden, nur um festzustellen das sie kein Problem ist.

„Shit“, sage ich zu Karla, ich werde zu spät kommen.“

Stanisic springt aus einem Taxi. ich sitze an der Rückwand des Literaturhauses gelehnt und telefoniere mit Hamburg. Es geht um Gesang. Der Zug hatte Verspätung, meist ist die Verspätung auf der Strecke Kiel-Hamburg, selten auf der Strecke Hamburg- Kiel.

Stanisic liest. Das Literaturhaus ist vollbesetzt. Er liest schnell. Wie ein Kieselstein der übers Wasser springt. Während ich immer und sofort im Fluss untergehe, der für mich aussieht wie der Neckar in Heidelberg.

Ich kam 1989 nach Heidelberg, man nannte es Flucht. In Wahrheit war es ein Grenzübertritt. meine Eltern waren Kommunisten. Sie blieben in der Betonstadt. Ich hatte einen Großvater in einem Dorf mit vielleicht 13 Einwohnern, Schweinen, Pferden, Kühen. Ich hatte eine pfälzische Großmutter die ich kaum kannte. Ich wusste nicht wie man Mangos ass und wie man einem Passfotoautomaten dazu bekommen konnte Bilder zu machen, ich scheiterte an vollautomatischen Toiletten.

Wenn ich darüber nachdenke, warum diese Sprache mich so trifft, dann muss es damit zu tun haben, das sie etwas berührt was es nicht mehr gibt.


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