Der Verfassungsschutz: ein Staat im Staate – von Prof. Dr. Hans-Joachim Selenz

Prof. Dr. Hans-Joachim Selenz – Der Verfassungsschutz – Staat im Staate - gefunden: spreegurke.twoday.net

Die Mordserie der Thüringer Neonazi-Bande wirft ein grelles Licht auf unseren Verfassungsschutz. Was machten die Herren mit den Schlapphüten, die uns und unsere Verfassung schützen sollen? Was haben sie gewusst von den Taten der braunen Mordbande? Wie konnte es geschehen, dass einschlägig bekannte Täter unter den Augen des Verfassungsschutzes für einige Jahre ganz plötzlich untertauchten? Von einem Tag auf den anderen. Und das angeblich spurlos. Was ist dran an der Information, dass ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes bei einigen Morden in Tatortnähe gewesen sein soll.

agt_gross Alles reiner Zufall? Unsere Schlapphüte komplett ahnungslos? Man muss die ganz speziellen Strukturen des deutschen Verfassungsschutzes kennen, um die Vorgänge, die nun eruptiv hochkochen, einordnen und verstehen zu können. Was macht der deutsche Verfassungsschutz? Was kann der deutsche Verfassungsschutz? Wie ist er in unserem Rechtsstaat aufgestellt?

Die deutschen Verfassungsschützer haben sich um mögliche Gefahrenquellen zu kümmern, die sie – selbstredend – abwehren müssen. Dazu zählen beispielsweise „extremistische Bestrebungen, die zu direkten Schäden von Institutionen und ihren Repräsentanten führen können“.

Sie sind – selbstverständlich – auch dann zuständig, wenn „fremde Dienste geheimhaltungsbedürftige Informationen (unseres Staates) ausforschen wollen“. Für das, was die Neonazis in den letzten Jahren taten, ist der Verfassungsschutz natürlich ebenfalls zuständig.

Keine Frage. Als besondere spezifische Stärke bewerten die Verfassungsschützer selbst „ihr umfangreiches Wissen und ihre hohe analytische Kompetenz sowohl im Bereich des politischen Extremismus als auch dem der Spionageabwehr“.

Um den Schutz der Bürger und des Staates zu gewährleisten, hat man dem Verfassungsschutz einige ganz spezielle Hilfsmittel an die Hand gegeben. Eine der „spezifischen Stärken des Verfassungsschutzes“ ist nach eigenen Angaben die Tatsache, dass man „eigenständige Vertraulichkeitszusagen“ geben kann. Das heißt nichts anderes, als dass die Verfassungsschützer jedweden Ganoven anheuern können, damit er für sie und unseren Staat arbeitet. Dazu bedarf es weder einer richterlichen Genehmigung noch der Zustimmung einer übergeordneten Behörde. Die Herren sind völlig frei in der Entscheidung, wen sie für sich arbeiten lassen wollen.

Damit sie das alles mit reinem Gewissen tun können, hat man ihnen ein weiteres noch spezielleres juristisches Werkzeug an die Hand gegeben. Die Beschützer unserer Verfassung haben „keinen Strafverfolgungszwang“. Das ist immer dann extrem praktisch, wenn der angeheuerte Ganove mal über die Stränge schlägt und mit dem Gesetz in Konflikt kommt. Bei Lichte betrachtet, ist das zwar nicht die Lizenz zum Töten, á la James Bond 007, kommt dem allerdings recht nahe. Wer weiß denn schon, wer oder was die Zöglinge des Verfassungsschutzes motiviert, wenn sie im Dienst für die Behörde auf kriminellen Pfaden wandeln? Wer steuert die Informanten? Wer gibt die Ziele vor?

Das aus rechtsstaatlicher Sicht mehr als bedenkliche Paket aus eigenständigen Vertraulichkeitszusagen und ausgeschaltetem Strafverfolgungszwang wird umrahmt von „strengen Geheimschutz-vorschriften“ und einer „großen Datensicherheit“. Unsere Schlapphüte sind damit quasi von unserem Rechtssystem abgekoppelt. Sie können in der Folge tun – oder auch lassen – was immer sie wollen.

Eine wirksame staatliche Kontrolle ist vor diesem Hintergrund nahezu unmöglich. Zum Schutz ihrer Informanten und zur Einhaltung der Vertraulichkeitszusage sind die Verfassungsschützer beispielsweise geradezu verpflichtet, zu lügen. Hinzu kommt „eine familiäre Personalstruktur“ innerhalb der Behörde, so ein hochrangiger Verfassungsschützer. Viele Mitarbeiter dienten der Geheimbehörde von der Lehre bis zur Pensionierung. Zuweilen gar über Generationen hinweg. Die Fluktuation sei außerordentlich gering. Eine verschwiegene Truppe. Man kennt sich.

Kennen unsere Politiker diese Zusammenhänge? Ist diese rechtsstaatlich geradezu unsittliche Kombination gewollt? Wurden bei der Aufstellung des Verfassungsschutzes die Folgen dieser Struktur übersehen oder hat sich der Gesetzgeber etwas dabei gedacht? Wenn ja, was? Kann eine solche Organisation uns und unsere Verfassung schützen oder ist sie ein unheimlicher Staat im Staate?


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