Der Überfall auf den Antikriegstag

Von Hartstein

“Am Tag, an dem vor 75 Jahren die deutsche Wehrmacht auf Befehl Hitlers Polen überfallen hat, haben der Bundespräsident, die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag diesen Antikriegstag „überfallen“. Joachim Gauck heizte den Konflikt in der Ukraine an. Kanzlerin Merkel setzt die neue Militärdoktrin durch, wonach „militärische Interventionen“ als Möglichkeit für politische Lösungen gelten. Das Parlament findet sich damit ab, bei der deutschen Unterstützung einer Kriegspartei mit Waffen nur noch Beifall klatschen zu dürfen. Der Überfall auf Polen, wäre ein Gedenken wert gewesen, wie Kriege verhindert werden könnten, statt dass Reden gehalten werden und Entscheidungen getroffen werden, mit denen Kriegs- und Waffeneinsätze legitimiert werden. Von Wolfgang Lieb.

„Heute vor 75 Jahren begann hier auf der Westerplatte der Zweite Weltkrieg. Mehr als 110 Millionen Menschen standen unter Waffen, fast 60 Millionen kamen um. Mehr als 60 Staaten waren in diesen Krieg verwickelt, in einem Waffengang, der erst nach sechs Jahren endete und mit dem Völkermord an den Juden eine bis dahin unbekannte Grausamkeit und Menschenverachtung erreichte.“

So lauten die Einleitungssätze der Rede von Bundespräsident Joachim Gauck auf der Gedenkfeier zum deutschen Überfall auf Polen.

Der Zweite Weltkrieg „begann“ – sagt Gauck – vor 75 Jahren. Er begann, so könnte man aus der Formulierung ableiten, wie ein Fußball-Spiel oder wie eine Feier zum Herbstanfang „begann“.

Nein, Herr Bundespräsident, am 1. September 1939, also vor 75 Jahren nahm das deutsche Marineschiff „Schleswig Holstein“ den polnischen Militärposten auf der Westerplatte unter Beschuss und zur gleichen Zeit bombten deutsche Bomber auf Polen.

Nein, Herr Bundespräsident, da „begann“ nicht der Zweite Weltkrieg, sondern die deutsche Armee hat auf Befehl Hitlers („Seit fünf Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen“) mit dem Überfall auf Polen die Katastrophe ausgelöst, deren Ausmaß Sie in den nachfolgenden Sätzen auflisteten.

Einen solchen Einstiegssatz in eine Gedenkrede auf den „deutschen Überfall auf Polen 1939“, nenne ich eine Verharmlosung, nein, eine Verschleierung der historischen Wahrheit.

Das ist nicht nur Sprachklauberei, nein, hinter dieser Sprache steckt Gesinnung. Genauso unhistorisch und die Wahrheit verschleiernd wie mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geht nämlich Joachim Gauck auch mit dem gegenwärtigen Krieg in der Ukraine um: …
Herr Bundespräsident,
waren eigentlich die „Osterweiterung“ der Europäischen Union (Siehe die Entwicklung hier), die Erweiterung der Nato um Staaten des früheren Warschauer Paktes, also um Polen, Tschechien, Ungarn, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Sowakei, Slowenien, Albanien oder Kroatien ausschließlich Ausdruck des „Glaubens (an) die Wahrung von Stabilität und Frieden“?

Waren die Nato-Pläne für eine Raketenschild – stationiert in Polen und Tschechien – nicht zumindest auch „Machtstreben“?

Die Behauptung, dass seit dem „Fall der Mauer…die Europäische Union, die NATO und die Gruppe der großen Industrienationen“ Russland auf verschiedene Weise „integriert“ hätten, ist schlicht eine Verfälschung der Geschichte. Wo ist auf russische Belange eingegangen worden? War diese „Partnerschaft“ nicht mehr als einseitig, nach dem Motto „Und willst Du nicht mein Partner sein…..“?

Warum ortet Joachim Gauck die Ukraine „am Rande Europas“ an? Gehört Russland nicht auch zu Europa? Sprach Gorbatschow, dem Deutschland die friedliche Einigung zu verdanken hat, nicht von einem „gesamteuropäischen Haus“, das Russland einschloss? Wer in Westeuropa oder in den USA hat für dieses Haus auch nur einen Plan entworfen?

Wer hat eigentlich in der Ukraine mit einer „kriegerischen Auseinandersetzung“ begonnen? Wie und durch wen wurde in Kiew, in der Westukraine, eine „neue Ordnung“ durchgesetzt? Warum wollte eigentlich der Osten in der Ukraine an der alten „Ordnung“ festhalten?

Ist die Voraussetzung von „Partnerschaft und guter Nachbarschaft“ wirklich nur einseitig auf der Grundlage einer „Änderung der russischen Politik“ möglich?

Verlangt „Partnerschaft“ nicht Gleichberechtigung und Rücksichtnahme auf die Interessen des Partners? Setzt „gute Nachbarschaft“ nicht gegenseitige Hilfsbereitschaft voraus?

Von einem Bundespräsidenten, dem es um historische Wahrheit ginge, die ja bekanntlich im Krieg immer zuerst stirbt, hätte man – zumal am Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs – erwarten dürfen, dass er Antworten auf solche Fragen sucht.

Wer das Völkerrecht verteidigen will und wer die Menschenrechte durchsetzen will, der darf sich nicht einfach nur auf aus der Aktualität entsprungene politische Abwägungen stützen – und seien sie noch so moralisch begründet -, er muss auf die Institutionen des Völkerrechts und zur Einhaltung der Menschenrechte setzen und daraus sein Vorgehen legitimieren. Alles andere ist die Rückkehr zum Faustrecht.

Der Überfall auf Polen, wäre ein Gedenken wert gewesen, wie Kriege verhindert werden könnten. Stattdessen wurden Reden gehalten, mit denen Kriegs- und Waffeneinsätze legitimiert werden. Das nenne ich einen Überfall auf den Antikriegstag.

Quelle und gesamter Text: http://www.nachdenkseiten.de/?p=23083