Stefan Hell: Nobelpreisträger für Unmöglichkeitswissenschaften
Von Chemie versteh ich ja rein gar nichts. Trotzdem finde ich es toll, dass der Physiker Stefan Hell heute den Chemie-Nobelpreis bekommen hat – weil das ja eigentlich gar nicht geht. Also: es der Physik mithilfe der Chemie heimzuzahlen!
Der Physiker Ernst Abbe hat schon 1873 gesagt, dass das nicht geht. Und Ernst Abbe ist nicht irgendwer – sondern einer der Gründerväter der modernen Optik und weiland Alleininhaber der Zeiss-Werke.
Im Jahr 1873 legte er dar, dass kein Lichtmikroskop genauer auflösen könne als bis zur Lichtwellenlänge. Klingt auch für Laien logisch – und galt für mehr als 100 Jahre unumstößlich. Kein vernünftiger Wissenschaftler zweifelte daran.
Und dann kommt der kaum dreißigjährige Stefan Hell und behauptet, es geht doch. Alle erklären ihn für verrückt. Er bekommt keine Forschungsgelder. Er arbeitet eine zeitlang als freier Erfinder. Schließlich findet er in Finnland doch noch eine Uni, die ihn forschen lässt.
Mikroskopauflösung: vorher – nachher
Und das Unmögliche gelingt ihm. Mittels eines ausgefuchsten Tricks. Er verändert nicht die Eigenschaften des Lichts – denn die sind unumstößlich, das ist auch ihm klar. Stattdessen verändert er die Eigenschaften der beobachteten Materie. Er lässt sie fluoreszieren. Und auf diese Weise – weiß der Geier, wie’s genau vonstatten geht – bekommt er eine zehnmal genauere Auflösung.
Zum ersten Mal können Wissenschaftler nun lebende Organismen, die sie nicht unters Elektronenmikroskop legen können, in größter Detailschärfe mit dem Lichtmikroskop untersuchen.
Jetzt ist er plötzlich everybody’s darling, wird Direktor des Göttinger Max-Planck-Instituts, bekommt gar den Nobelpreis. All die braven Routinewissenschaftler, die jahrelang in ihren Teams Staubkorn auf Staubkorn gesetzt haben, um ein oder zwei Prozent Verbesserung zu erzielen, sehen jetzt alt aus. Die waghalsige Idee Stefan Hells bringt 1000% auf einen Schlag.
Solche Geister, die an das Unmögliche glauben und es am Ende tatsächlich – gegen alle Widerstände – zustandebringen, sind faszinierend. Die Naturwissenschaft hat dabei den Vorteil, dass das Unglaubliche, sobald es denn vollbracht ist, in den allermeisten Fällen auch als solches erkannt und gewürdigt wird. In der Kunst mussten leider schon so manche bahnbrechenden Neuerer sterben, ohne dass ihre ganze Tragweite zu Lebzeiten verstanden worden wäre…