Kapitel 3: Tote schreiben nicht
„Karo, wie kann das sein?!“ rief ich ihr fast schon hysterisch zu, obwohl sie kaum einen Meter von mir entfernt stand „das ist die heutige Zeitung! Wie kann das sein?“
„Die Gewebeanalyse läuft noch, wir können noch nicht einwandfrei sagen, wie lange er schon tot ist“
„Wann wissen wir es?“
„Morgen sollte alles fertig sein“
Ich schaue kurz auf meine Uhr, es ist 18:03.
„Hmmm, bei der Zeitung erreich ich jetzt keinen mehr. Das mache ich dann morgen“
Während des Essens schlossen wir verschiedene Schlüsse, wie das möglich war. Meine Idee war, dass entweder der Beitrag per Post zugestellt wurde oder beim früheren Verfahren mit dem DNA-Test geschludert wurde.
Somit saugte ich mir also nach dem Essen das Dokument zum Prozess aus dem Verzeichnis.
2013 war F. Glock in einen Mordfall verwickelt. Ich erinnerte mich dunkel daran. So ein fetter Möchtegern-Terrorist wollte mithilfe von palästinensischen Extremisten eine Art Einsatztruppe für einen Scharia-Staat gründen. Einer seiner Helfer hielt die Polizei auf Trab, ihm war aber nichts nachzuweisen. Glock – schon damals ein angesehener Investigativreporter folgte ihm über einen gewissen Zeitraum unauffällig und hatte sich schon zuvor wegen teilweise aufsehenerregender Insider-Geschichten in der Szene einen Ruf gemacht, weshalb auch er (ohne sein Wissen) von der Exekutive beäugelt wurde.
Ein Aussteiger oder Informant Glocks sollte sich mit besagtem Extremisten treffen, wusste jedoch nicht, dass er aufgeflogen war und wurde kaltblütig erschossen. Glock wollte angeblich noch erste Hilfe leisten, jedoch gab es keine ausschlaggebenden Beweise dafür oder dagegen. Durch seine sofortige Aussage bei der Polizei konnte der Täter, ein gewisser Yussef A. sofort identifiziert und festgenommen werden. Derzeit sitzt er „nur“ wegen Mordes in der Haftanstalt Stein in Niederösterreich. Ein Racheakt wird also schwer. Ebenso passte der Tathergang nicht. Diese Gruppe war dafür bekannt, mit der Polizei zu „spielen“ und ihre Opfer einfach liegen zu lassen. Zeugen gab es meist keine und die arabische Gemeinde deckte sich gegenseitig. Ohne Glock wäre alles Knochenarbeit gewesen.
Aber mir fiel etwas auf: Glock wurde entgegen meiner Erinnerung nicht als Verdächtiger oder „Person von Interesse“ geführt, weswegen man nicht zuordenbare Spuren – es gab immerhin nur eine – einfach ihm zuwies, ohne eine Referenz zu nehmen.
Hier lag der Hase im Pfeffer.
Wahrscheinlich war Glock damals sofort ausgebüchst und irgendein Penner hatte den Toten nach Wertgegenständen durchsucht.
Dieser Penner handelte womöglich mit Drogen oder sonstwas und der hatte dem guten Ernst Backpulver unter sein Koks gemischt oder ihm irgendeinen anderen Mist angedreht. Ernst dreht durch und erschlägt ihn. Weiß nicht, was er mit der Leiche machen soll und zersägt sie. Ein Stück haut er in die Salzach, ein Anderes einfach in den Müll. Um sich zu beruhigen, fixt er nach dem „Entsorgen“ des letzten Teils ein und wird kommenden Tages gefunden. So einfach ist das.
Sicherheitshalber würde ich trotzdem am nächsten Morgen Friedrich Glock einen Besuch abstatten.
In der Nacht konnte ich lange nicht schlafen. Der Artikel passte trotz aller Logik nicht hinein. Wer schreibt heute noch Briefe? Hat die Zeitung sich zu viel Zeit gelassen? Ich hatte einmal bei einer einen Gastkommentar über die von der nationalistischen Regierung eingeführte „Abhängigentherapie-Neu“ publiziert und die war schon am übernächsten Tag gedruckt. Das lief einfach alles zu knapp.
Kapitel 4: Der Schwachpunkt
Mein Tag begann schon um 5 Uhr morgens. Nach wie vor hasse ich das Frühaufstehen und weil ich den Wecker wieder einmal etwas länger läuten habe lassen wartete mein „Taxi“ noch etwas länger. Mehr als vier Stunden hatte ich kaum geschlafen und auf dem Weg zu Glocks Wohnung wäre ich meinen Kollegen auch einmal fast entschwunden.
Gegen 6 kamen wir dann vor seinem Apartment an und ich betätigte die Klingel. Es machte einmal lang „Rrrrrriiiing“ und nichts. Nochmals. Und nochmals.
„Wir gehen rein“ meinte der Inspektor und ich gab meinen Sancti mangels Alternativideen durch in Nichtssagen und müde-in-die-Luft schauen.
Zwei Beamte brachen die Tür auf und wir fanden die Wohnung in äußerst sauberem Zustand vor. „Herr Glock!?“ rief ich in die von der Morgenröte angehellten Räumlichkeiten. Nichts.
„Ausschwärmen“ meinte der Inspektor und die zwei Beamten machten sich ans Werk. Ich nahm mir die Küche vor und war erstaunt: Der Kühlschrank war leer, das Gefrierfach ebenso. Es gab hier nichts zu essen und noch nicht einmal Kaffee.
Ein Kollege suchte gerade nach Spuren im Schlafzimmer, während ich ins Wohnzimmer schritt, wo auch der Inspektor nach zu sichernden Objekten Ausschau hielt.
„Hast du schon einmal eine so saubere Wohnung gesehen?“ fragte ich unsicher zu ihm hinüber.
„Kein Mensch hält so eine Ordnung, aber jeder hinterlässt Spuren“
Ich nickte und dachte an mein heimiges Chaos, das so ähnlich aussah, wie bei meinem „Kollegen“ Schimanski vom „Tatort“. Interessanterweise stand ein Laptop am Schreibtisch. Vorsichtig öffnete ich ihn und fand dort auch ein Haar hängen, ebenso war die Tastatur von Fingerabdrücken fettig und unter dem Schwarzlicht fand ich noch allerhand Anderes.
Das Material übergab ich. Für mich war die Sache erledigt, ich hatte genug gesehen und machte mich auf dem Weg in die Zentrale.
Auf meinem Schreibtisch türmten sich neben einem Exemplar der Tageszeitung „Die Fresse“ mit gestrigem Artikel noch ein paar Meldungen, dass noch 4 andere Leichenteile gefunden wurden die ident mit denen waren, die ich Nachts auf mein Mobiltelefon bekam. (Die Meldungen, nicht die Leichenteile)
Nach einem Anruf bei besagter Zeitung war das Absendedatum des Mails bekannt, in dem Glock seinen Artikel weiterleitete. Wie seinerzeit bei meinem Kommentar lag gerade einmal ein Tag dazwischen. Verweise zum Aufenthaltsort gab es keine.
Karo war auch schon eingetroffen und ging gerade in ihr Büro, um die über Nacht gesammelten Daten auszuwerten, als sie mir über den Weg lief.
„Guten Morgen“, sagte ich mit einem Lächeln „Fall gelöst“
Sie schaute mich etwas verwundert an und bevor sie noch etwas sagen konnte, unterbrach ich sie schon:“Die Kollegen haben beim Prozess damals mit den Refernzdaten geschludert. Der Tote ist irgendwer, aber nicht Glock. Irgendjemand hatte seinerzeit auf der Leiche seine Spuren hinterlassen und zufälligerweise hat Ernst Kajer diesen Jemand wegen irgendwas umgebracht. Den Kleinen nehm ich noch schnell ins Verhör und um den Rest kümmert sich dann die Staatsanwaltschaft“
„Und Glock? Lebt er?“
Damit hat sie mich am schwächsten Punkt meines Plädoyers erwischt.
„Offen gesagt…“ holte ich aus „… wissen wir nicht. Seine Angehörigen werden heute kontaktiert“
Ich bog dann nach rechts ab, um zur Zelle meines Lieblingsjunkies zu kommen und rief ihr noch nach:“Gib mir dann bitte wegen der Auswertung Bescheid“
Kapitel 5: Das Verhör
Wie erwartet setzten bei Ernst bereits die Entzugserscheinungen ein. Als er mir gegenübersaß wirkte er nervös, übermüdet und starrte mich mit gierigem Blick an. Fast schon wie Gollum aus „Herr der Ringe“.
„Hast du gut geschlafen, Ernst?“
„Nein“
„Also, weswegen ich hier bin…“
„Hast du Stoff?“
„Nein…“
Ab hier wusste ich, dass das ganze nicht leicht werden würde
„Das Blut auf deinem Pullover. Von wem stammt es“
Er schaute leicht zur Seite:“Irgendson Typ…“
„Kennst du ihn?“
„Nur einmal gesehen…“
„Und die ‘Schlägerei’ gab es weil…“
Wieder schaute er leicht zur Seite „Der hat mi halt angmacht“
„Was ist dann passiert?“
„Schlägerei…“
Selbst Politiker lügen nicht so schlecht, wie das zitternde Etwas vor mir.
„Wo ist er jetzt?“
„Weißnich…“
Und ein Schüttelfrost beutelte ihn ordentlich durch.
Mit Drohen wäre ich hier nicht viel weiter gekommen. Er hatte nichts zu verlieren und nichts zu gewinnen dabei.
„Was machst du, wenn du wieder draußen bist?“
„I gib’s mir wieder“
„Du weißt, dass wir dich noch eine halbe Ewigkeit hier halten können?“
Er schwieg.
„Und… Um die Drogenersatztherapie hier zu machen erfüllst du nicht wirklich die Anforderungen“
Kurz nachdem 2016 nach Zusammenbruch der ersten Dreierkoalition auf Regierungsebene erstmals eine nationalistische Alleinregierung zustande kam, vermeldete der damalige neue Kanzler Stacio, ein deutschnationaler Tscheche ohne deutsche Vorfahren vor tosendem Applaus, man werde „den ausufernden Drogensumpf trockenlegen“. Nachdem 2014 die österreichische Ärzteschaft und diverse Pharmaunternehmen in einen Strudel aus Freunderwirtschaft, Skandalen und Substitutionsmedikamenten versunken ist ein willkommenes Versprechen. Damals war man stolz darauf, dass man Abhängigen nur wenn sie Fortschritte machten Methadon gab. Sonst blieb nur der „Kalte Entzug“. Die Regierung rühmte sich, innerhalb kurzer Zeit die Zahl der Drogendelikte halbiert zu haben. In meinem damaligen Kommentar fügte ich zynisch hinzu, dass man doch auch gleich mitbejubeln könnte, dass sich in derselben Zeit die Dunkelziffer verdoppelte.
Wieder schwieg mein Gegenüber. Wieder jagte ein Schauer nach Verlangen durch seinen Körper.
„Aber vielleicht hilft dir das beim Reden?“ grinste ich ihm zu und zog eine Ampulle mit orangener Flüssigkeit aus meiner Tasche und versteckte sie halb unter meiner Hand.
„Is des…?“ flüsterte er und starrte mich an.
„Psssst… Spritze kann ich dir keine geben, das ist zu auffällig. Trinks in der Zelle, wenn dich niemand sieht, ist dann zwar nicht so stark, aber…“
Er konnte es nicht fassen.
„Also, also vorgestan, wo i ma’s gspritzt hab, da bin i am Bahnhof gwesen.“
„Ja…“
„Und, und… dann kann i mi an nix mehr erinnern, außer, außer…“
„Aaauuuußer…?“
„Des war so schen…“
„Und sonst?“
„Sonst, sonst… Bin i da aufgwacht und da Pulli woa voller Blut“
„Und die Schlägerei?“
„Ka Schlägerei?“
„Von wem ist das Blut“
„Was i nit“
Warum sollte er lügen?
Ich wies einen Beamten an, er solle das nun grinsende Glückskeks zurück in die Zelle bringen. Karo stand seit einiger Zeit hinter dem verspiegelten Fenster.
„JA BIST DU DENN WAHNSINNIG?!“
„Ja, wieso denn?“ Grinste ich zurück.
„DU HAST IHM JETZT WAS GEGEBEN?“
„Ja was denn?“ grinste ich wieder
„Du kannst doch nicht“
„Birnensirup, schwach verdünnt.“
Sie starrte mich an.
„Ich hab ihm eine Ampulle mit Birnensaft gegeben. Das Zeug ist aber ziemlich süß, über den Zuckerkick wird er sich freuen“
Sie stand fassungslos da. „Aber, aber?“
„Sonst hätte der Schwachsinn doch ewig gedauert… Was gibt’s bei dir Neues?“
Als sie sich wieder halb gefasst hatte, meinte sie, immer noch über das Geschehene sinnierend:
„Meine erste Schätzung traf in etwa zu. Beim Teil in der Salzach kann man nichts mehr sagen, zu viele mechanische und chemische Einwirkungen. Aber das aus der Mülltonne ist heute vier Tage alt“
„Denkst du, dass der DNA-Test fehlerhaft war?“
„Nein, ich habe beide überprüft – und heute am Nachmittag kommt das Ergebnis von den neuen Klumpen“
Wir standen wieder ganz am Anfang. Keine Indizien, kein gar nichts. In der Wohnung auch nichts Vernünftiges und jetzt warten wir auf eine Nachricht von den Angehörigen…
Das mit dem Blut erklärt sich dann leicht. Wie ich selbst gesehen hatte, lief das Blut aus der Tonne heraus und besudelte eben alles, was darunter war. Sei es Asphalt oder Fixer.
Kapitel 6: Tote reisen nicht
Es kam einfach keine Lösung. Mein ganzes Gebilde war zusammengebrochen. Und was, wenn Ernst mir nur sagte, was ich hören wollte?
Nein, das kam nicht infrage. Ich hatte mich von Anfang an gewundert, warum er jemals eine Schlägerei anzetteln würde oder nicht schon spätestens nach dem ersten Hieb weinend am Boden lag. Seine Aussage ergab so wesentlich mehr Sinn.
Mein Telefon läutete.
„Kommissaro Schwaigero am Apparato?“
„Salü Marió, ‘ier ist Patrice“
„Ah, freut mich, dich zu hören, gibt’s was Neues?“
„Jawo’l, wir ‘aben gute Na’rischten“
„Immer nur her damit, die kann ich brauchen!“
„Wir wissen, wo der Glock ist“
„BITTE? Lebt er?“
„Ja, und es scheint ihm gut zu ge’en“
„Wie? Was? Wo?“
„Seine Mutter ‘at ‘eute eine Na’rischt von ‘im bekommen“
„Wo ist er??“
„Er schreibt seit ein paar Tagen an seinem Busch“
„Busch? Ah, Buch. Und wo?“
„In der Provance ‘at er sisch ein ‘äusschen gemietet“
Ich war sprachlos.
„Hast du Nummer und Adresse?“
„Wird gleisch weitergeleitet, und in ein paar Minüten kommt die Polizei bei ‘im vorbei. Isch ‘abe alles schon geregelt“
„Danke…“
Konnte das sein? Das passt mit der Wohnung zusammen. Er ist einfach umgezogen.
Alsbald ich die Nummer hatte, rief ich ihn an.
„Bon jour, Herr Glock, hier ist Kommissar Schwaiger aus Salzburg“
„Ah, ja, ich habe gerade Ihre französischen Kollegen hier, die meinen Pass unter die Lupe nehmen. Was ist denn los? Von denen kann keiner Englisch oder Deutsch? Und mein Französisch war noch nie sehr gut.“
„Wie geht es Ihnen?“
„Sehr gut, ich bin gerade am Schreiben, wie darf ich behilflich sein?“
„Wir hatten befürchtet, Sie seien ermordet worden?“
„Bitte?“, lachte er „Ha, die Nachricht von meinem Tode halte ich für stark übertrieben“
„Dann… genießen Sie ihren Aufenthalt“
„Merci“
Glock war also am Leben, ich hatte selbst mit ihm telefoniert. Die aufgeräumte Wohnung, der Artikel, das passte alles zusammen. Die Geschichte ergibt Sinn.
Nur der Tote passt nicht hinein. Wer ist die Leiche?
Nachmittags schaute ich mir die anderen Orte mit Patrice an. Wieder Müllkübel. Alles in Salzburg.
„Gibt es Videokameras?“ fragte ich ihn.
„Wir jagen ein Phantom“
„Wie das? Der Bahnhof ist doch überwacht“
„Ja, aber nischt ‘inter der Baustelle“
„Und die Kübel hier sind in irgendwelchen Seitengassen. Weiß man etwas über den Entsorgungszeitpunkt?“
„Nein“
Am Abend bekam ich noch eine Nachricht, dass auch die anderen Teile vom selben Opfer stammten. Wenn der Tote doch nur reden könnte.
Kapitel 7: Unser Bruder Tod
Nachts plagten mich seltsame Träume, dass Glock von Glock umgebracht wurde und zwei von ihm herumliefen. Das würde noch am Ehesten Sinn ergeben.
Verspätet kam ich in meinem Büro an und Karo wartete schon nervös.
„Gibt’s was Neues?“
„Alles stimmt überein“
„Ja, das hast du mir gestern zukommen lassen“
„Alles alles übereinstimmt. Auch die Spuren in seiner Wohnung“
Fortsetzung folgt.
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