Eine nahestehende Person könnte bald sterben. Ich bin hilflos. Und das, obwohl so viele Worte aus einem heraussprudeln könnten. So viele Antworten. So viel Ärger und Trauer. Und trotzdem muss man ruhig bleiben…
© 2005 by Tomasz Sienicki
Ein sehr wichtiger Mensch droht, einen sehr wichtigen Menschen zu verlieren. Das hat er kürzlich erfahren, weinte bitterlich. So sehr, dass ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte. Aber woher sollte ich das auch wissen?
In meiner Familie sind die Alten steinalt. Und die Kranken kennen keine echten Krankheiten. Verlust? Kenne ich nicht. Meinem geliebten Menschen wollte nun der Tod jemanden stehlen, dessen Platz mit Leere füllen.
Er hat er sich eingeschlichen, der gefürchtete Krebs. Keine Viren, keine Bakterien, nichts Fremdes. Der eigene Körper ist der Verräter, der sich gegen einen stellt. Die Zellen mutieren. Und diese Rebellion könnte das Leben einer ganzen (sehr großen) Familie zerstören, bis in die Grundfesten – und tiefer. Der Krebs hat die Speiseröhre befallen. Und wieder bestätigte es die Angst vieler Menschen: Krebs ist unberechenbar. Er kommt, wann er will. Mit einer Intensität, die er sich aussucht. Er radiert aus, so schnell er will. Und er zerstört, ohne Gnade!
Als ich davon erfuhr, tippte ich sofort bei Google ein: “Heilungschancen“, “Ursachen“? Und das zweite Wort hätte ich mir sparen sollen, denn ich las: heißes Essen, Reflux, Alkohol und RAUCHEN. Die betrofffene Person ist Raucherin, starke Raucherin. Hat Cholesterin. Hohen Blutdruck. All das haben die Ärzte in der Klinik festgestellt. Aber was macht das Krankenhauspersonal: Den Aschenbecher auf den Balkon stellen, weil der Weg dann dorthin kürzer ist. Kürzerer Weg wohin? Zum Tod?!
Ich fühlte ein Kribbeln in meinen Gliedern, das mir in den Kopf stieg. Gleichzeitig schallten mehrere Sätze mit dreifachem Ausrufezeiche in meinen Gedanken: “Sind das Idioten?!!!? Sind die bei Trost? Jeder weiß doch, dass Krebspatienten nicht rauchen dürfen, dass das Rauchen ein Auslöser ist!!!” Außerdem wummerte es in meinem Schädel: “Warum raucht sie denn, wenn sie weiß, dass sie krank ist?!!!?
Und was fast noch erschreckender war: Alle Familienangehörigen, die im Krankenhaus zu Besuch waren, rauchten gemeinsam mit ihr. Was für eine Missachtung der Krankheit! Leider ist die ganze Familie nikotinabhängig. Und weist man verzeifelt am Telefon darauf hin, die Zigaretten doch in Stücke zu reißen, wird man sofort weitergereicht. Ich hätte brüllen können, am liebsten hätte ich geschrien, dass sie ihre Packungen mal umdrehen sollen! Denn da stehen verschiedene Sprüche drauf: Unter anderem: “Rauchen verursacht Krebs“. “Nein”, meinte meine nahestehende Person, “sie nehmen es nicht ernst, sehen rauchen nicht als schlimm an. Im Gegenteil.” Hä, Wie bitte?! Lebe ich auf einem anderen Planeten? Leider ist dieser, mir sehr wichtigte Mensch, der einzige in dieser gesamten Familie, der es anders sieht, nicht raucht. Klug ist. Aber auf ihn will auch keiner hören. Er rede gegen Wände, sagte er.
Und das ist das Schlimme: Ich bin nicht vorort. Und ich könnte so viel sagen, so viel schimpfen, mich mit Leidenschaft an diesem Thema festbeißen – mich würde niemand mundtot machen können, im Leben nicht. Nicht umsonst sagte mein Vater irgendwann mal: “Dein Vorname (mein erster, nicht Nathalie) müsste eigentlich nicht Frieden bedeuten (in einer bestimmten Sprache), sondern Krieg.” Ja, wenn ich von einer Sache komplett überzeugt bin, kämpfe ich. Aber: Es würde nichts bringen. Am liebsten würde ich sämtliche Studien, Tabellen, Medizineinträge und Vorträge ausdrucken und vorlegen. Ich kann’s jedoch nicht. Vielleicht aber auch, weil ich nicht wirklich befugt bin. Ich bin nicht ihr Kind – und es keine Verwandte. Das Positive an diesem negativen Schicksal: Der Krebs hat nicht gestreut, kein umliegendes Gewebe beschlagnahmt, sondern ist örtlich begrenzt.
Jetzt ist es fünf vor zwölf! Spästens nun sollte man der Sucht brechen. Wie aber bringt man Menschen dazu, mit dem Rauchen aufzuhören, wenn sie krank sind. Damit gebe ich mir selbst eigentlich schon die Antwort. Spätestens die Krankheit muss der Grund sein. Aber was tut man, wenn es keiner ernst nimmt und meint, Nikotin sei nicht nur halb so wild? Und was unternimmt man, wenn eine ganze Familie raucht? Aber das Schlimmste ist, nicht zu wissen, was man tun soll, wenn die Diagnose kommt: Der Tod steht bevor… Was ist dann?