der tiger in der guten stube

der tiger in der guten stubeMein Kater ist in jeglicher Hinsicht ein bemerkenswertes Wesen: mit Schnurren, Maunzen und / oder ganzem Körpereinsatz bringt er mich zielsicher genau dazu und dahin, wo er mich haben will! Wie er das genau macht, hab ich immer noch nicht ganz verstanden. Aber es funktioniert. Morgens, mittags, abends und auch mitten in der Nacht.

Der Herr möchte lieber zur Tür raus statt durch die Klappe? Bitteschön! Dann machen wir eben eine Ausnahme (die wurde mittlerweile zur Regel, jaaaa ich weiß, selbst schuld). Dummerweise ist das Lieblingsfutter alle? Dann gehts eben in den Hungerstreik, besseres Biofutter hin oder her. Samtpföterich meint, jetzt ist Kuschelstunde? Auch dann ist er beharrlich und meistens gewinnt er unseren Disput.

Eine flüchtige Bekannte meinte mal: „Der schaut einen so gescheit an, dass man meint, man hat einen Mensch vor sich.“ Ein ehemaliger Chatfreund, mit dem ich öfter mal Katzenfotos tauschte, ging sogar noch weiter: er ist davon überzeugt, dass Katzenbilder – seit es sie gibt – die Menschheit zusammen halte.

So gesehen, wundert es mich gar nicht, dass der Untertitel von Abigail Tuckers New York Times Bestseller „Der Tiger in der guten Stube“ folgendermaßen lautet: Wie Katzen erst uns und dann die Welt eroberten. Tatsächlich stellt sie eine ähnliche These auf wie mein früherer Chatfreund. Dass nämlich der unvorstellbare Katzenkult im alten Ägypten erst so richtig in Fahrt kam, als „die Zivilisation bereits im Niedergang begriffen war“.

Es gab „Katzen-Raves“ in Tempeln, der Handel mit Priesterämtern war für die Regierung eine praktische Geldquelle, es entstand rund um den Katzenkult eine „Pilgerindustrie mit Herbergsbetreibern, Wahrsagern und Kunsthandwerkern…Neben den wirtschaftlichen Vorteilen gefiel es der ägyptischen Regierung vermutlich auch, dass der Katzenkult die zunehmende Zerrissenheit der Gesellschaft verschleierte“, weiß Abigail Tucker.

Vom wohl bekanntesten Katzenkult schlägt die Autorin den Bogen zu neueren Versionen der Katzenverehrung – das geht bis zur Katzenmanie -, aber auch das Katzenelend unserer Zeit wird beleuchtet.

Außerdem gibt es tiefe Einblicke in die feline Entwicklungsgeschichte, von der „Wiege der Katzen“ – sie stand sehr wahrscheinlich auf dem Gebiet der heutigen Türkei – bis zum Zeitpunkt, als die Machtbalance zwischen Mensch und Großkatze kippte. Welche Folgen das auch künftig für beide hat und wie sich die Katzenfamilie weiter entwickelt, bleibt vorerst natürlich Spekulation bzw. Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Ums vorweg zu nehmen: mir waren es ein bisschen zu viele biologische Theorien und Vermutungen, statt dessen hätte ich mir mehr Erfahrungsberichte aus dem Alltag von Katzenhaltern gewünscht, denn die für ich interessantesten Thesen zieht Abigail Tucker aus den Alltagserlebnissen mit ihren eigenen Katzen. Aber vielleicht ist das ja schon Teil der Manie?!

Und – ich muss es sagen – es ist ein merklich amerikanisches Buch. Ich sage, das nicht abwertend, sondern einfach feststellend. Trotzdem: wer nicht all zu viele definitive Ergebnisse und Antworten erwartet, wird staunend seinen Spaß haben an den spannenden und zum Teil äußerst skurrilen Katzgengeschichten.

Zum Beispiel über Katzen, die weltweit berühmt sind und tatsächlich Personal haben, um etwa Interviewtermine zu vereinbaren. Über Katzensenioren-Residenzen der Spitzenklasse, in denen Vierbeiner jeweils einen Raum bewohnen, der es mit so mancher Einzimmerwohnung in Manhattan aufnehmen kann. Für fünf weitere Dollar kann das frühere Haustier über eine Telefonhotline Tag und Nacht erreicht werden.

Oder über Katzen, die wahre Internetstars geworden sind. Es ist ebenfalls ein Phänomen, dass Katzenbilder – im Gegensatz zu anderen Tierbildern – offenbar niemals langweilig werden. Deshalb sind Katzen nicht nur in allen Breiten- und Längengraden zuhause sondern auch in unzähligen Foren und Communities des World Wide Web vertreten. Tadaa, da ist sie wieder, die mutmaßliche Katzenbilder-Solidarität.

„Zu den größten Geheimnissen der Hauskatze gehört, womit sie ihre Zeit verbringt“, formuliert Abigail Tucker wohl die Frage, die fast alle Katzenbesitzer am meisten umtreibt. Da ich zuhause arbeite und mein Kater meistens in unmittelbarer Nähe oder im Garten ist, bekomme ich zwar vieles mit. Was er nächtens so treibt, darüber redet er nicht!

Fressen, Ruhen, Spielen, Schmusen scheinen der Katze Selbstzweck zu sein. Oder wie Abigail Tucker es ausdrückt: „Alles in allem fällt es schwer, Beiträge von Katzen zum Wohle der Gesellschaft zu präsentieren. Es gibt keine Katzen, die Sprengsätze entdecken, Ertrinkende retten oder Blinde führen.“

Dazu kommt: „Katzen sind ausgesprochen gebieterische Tiere. Und das nicht, weil sie die allerschlausten Lebewesen wären – auch nicht stärksten“, resümiert Tucker gleich auf den ersten Seiten. Trotzdem haben sie Hunde als beliebteste Haustiere bereits weit hinter sich gelassen.

Und sie scheinen die einzige Haustiere zu sein, die sich selbst domestiziert haben – rein objektiv gesehen eignen sie sich angeblich nicht im Geringsten zur Domestizierung. Wenn ich meinen Kater und mich so beobachte, wundert mich zumindest das – wie schon gesagt – gar nicht mehr!

„Hauskatzen sind allerdings mit einer todsicheren Waffe ausgestattet, die der österreichische Verhaltensforscher Konrad Lorenz als ‚Kindchenschema‘ bezeichnet: Körperliche Merkmale, die uns an Menschenjunge erinnern und eine Hormonkaskade auslösen.“ Konkret bedeutet das: ein rundes Gesicht, Pausbacken, eine hohe Stirn, kleine Nase und Kulleraugen machen uns zu willenlos-ergebenen Geschöpfen.

Nicht zuletzt entspricht das Durchschnittsgewicht von Katzen etwa acht Pfund, also genau dem Gewicht eines neugeborenen Babies. Nicht zuletzt können Katzen ihr Miau so modulieren, dass sie die gesamte Bandbreite von „Ich bin der/die Allerärmste“ bis „Jetzt komm aber mal her da“ beherrschen.

Natürlich können Katzen weitaus mehr, als Schmollen, Fordern und niedlich sein: „Das Schnurren von Katzen kann zur Verdichtung der Knochenmasse anregen und Muskelschwund vorbeugen“, zitiert Tucker ihren Schriftstellerkollegen David Grimm. Chinesen schätzen anhand der Pupillenerweiterung von Katzen die Tageszeit und Katzenhaare halfen in mindestens einem Mordprozess bei der Überführung des Täters.

Und ja: „Domestizierte Katzen waren das Bollwerk zur Verteidigung abendländischer Gesellschaften. Die Anwesenheit einer Katze auf dem heimischen Hof bedeutete über Jahrtausende hinweg für viele Bauernfamilien oft den Unterschied zwischen Hungertod und Überleben“, so die Autorin auf Seite 70.

Daran denkt heute fast niemand mehr, zumal Katzen und Ratten nicht nur in New Yorks Mülldeponien gemeinsam auf Jagd nach Essbarem gehen. Schon gar kein Teenager, der sich selbst und seine Räume komplett mit Hello Kitty-Produkten ausstattet.

Auch auf der Global Pet Expo werden Katzen selbstverständlich nicht als „Erzkiller dargestellt, sondern als süße, inkompetente Faulenzer, die auf Catnip-Bananen und Weißfisch-Minze-Mojitos abfahren“.

Haustiere machen glücklich und Katzen ganz besonders,  könnte man alle Theorien und  Mutmaßungen gesichert zusammenfassen und ich muss jetzt los – der pelzige Gebieter möchte zur Terrassentür rein….

Abigail Tucker „Der Tiger in der guten Stube. Wie Katzen erst uns und dann die Welt eroberten“, 304 Seiten mit Schwarzweiß-Illustrationen, Hardcover mit Schutzumschlag, 19 Euro 95, wbg Theiss


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