Der Tag des Poe Toaster – die amerikanische Tradition des Poe Toaster

Der US-amerikanische Schriftsteller und Dichter Edgar Allan Poe (*19. Januar 1809 – † 7. Oktober 1849) gilt mit gutem Recht als einer der Begründer der modernen Horror-, Kriminal- und Science Fiction-Literatur. Poes direkter Einfluss findet sich vor allem in den Werken von Jules Verne, Sir Arthur Conan Doyle und H. G. Wells, aber auch im sogenannten Symbolismus. Kurzum, ohne sein Werk wäre die moderne fantastische Literatur kaum denkbar. Insofern ist es eigentlich auch nicht weiter erstaunlich, dass Poe ein eigener kurioser Feiertag gewidmet ist. Dieser findet – gemäß der angelsächsischen Tradition das Gedenken an einen Verstorbenen in erster Linie an dessen Geburtstag zu feiern – seit 1949 immer am 19. Januar statt. Denn am heutigen Tag wird die Tradition des Poe Toaster begangen.

Kuriose Feiertage - 19. Januar - Tag des Poe Toaster - (c) 2012 Sarah Davis

Insofern verwundert es auch nicht, dieser kleine editorische Exurs sei mir an dieser Stelle vergönnt, dass der Tag des Poe Toaster natürlich auch ganz wunderbar in die Reihe leicht gruseliger kurioser Feiertage wie z.B. dem Tag der außersinnlichen Wahrnehmung (engl. Psychic Day) am 4. August, dem Heul-den-Mond-an-Tag (engl. Howl at the Moon Day) am 26. Oktober und dem Tag des verfluchten Kühlschranks (engl. Haunted Refrigerator Day) am 30. Oktober, dem Tag der Zauberei (engl. National Magic Day) am 31. Oktober oder dem Tag des Okkultismus (engl. National Occult Day) am 18. November passt. Warum das so ist, soll mit dem vorliegenden Beitrag in der Sammlung der kuriosen Feiertage etwas näher ausgeführt werden.

Ein mysteriöser Besucher an einem amerikanischen Grab

Ganz wie es für einen Großmeister des Unheimlichen gehört, handelt es sich bei dem Poe Toaster um einen äußerst mysteriösen Brauch. Immer in den frühen Morgenstunden des 19. Januar betritt eine vermummte Gestalt die Westminster Hall in Baltimore, Maryland – von wo aus sie sich zum Grab des Autors begibt. Laut Augenzeugenberichten trägt diese, wahrscheinlich männliche Person, immer einen schwarzen Mantel, einen weißen Schal, einen Hut mit breiter Krempe und führt einen silbernen Gehstock mit sich. Das Gesicht ist dabei komplett verhüllt. Den Namen Poe Toaster erhielt dieser Unbekannte aufgrund des folgenden Rituals: Am Grab erhebt der mysteriöse Besucher ein Glas Cognac zum Toast und legt drei rote Rosen sowie die angebrochene Flasche Cognac – zumeist die Marke Martell – am Grab des Schriftstellers nieder.

Eine Flasche Cognac und drei rote Rosen für die Familie Poe

Angeblich sind die Rosen für Poe selbst, seine Ehefrau Virginia und Stiefmutter Maria Clemm gedacht. Dies erscheint insofern plausibel als die beiden Frauen tatsächlich auch auf diesem Friedhof begraben waren. Demgegenüber war die Bedeutung der Cognac-Flasche für lange Zeit relativ unklar, da hier weder ein direkter Bezug zu Poes Leben noch seinem Werk gegeben schien. Einen Hinweis auf die Hintergründe zu der Sache mit dem Cognac lieferte eine der über die Jahre zahlreichen Notizen, welche der Poe Toaster ebenfalls am Grab hinter lassen hat: So fand man 2004 den Hinweis, dass der Cognac auf eine Tradition der Familie des Poe Toaster zurückgeht und insofern tatsächlich kein direkter Bezug zu Poes Leben bzw. Werk bestand. Wie dem auch sei, die Cognac-Flaschen sind fester Bestandteil dieses kuriosen Feiertages und dementsprechend sind viele dieser Flaschen im Museum der Edgar Allan Poe Society in amerikanischen Baltimore gesammelt worden.

Rätselhafte Notizen eines Unbekannten am Grab

Wie zuvor bereits angesprochen hat der Poe Toaster über die Jahre eine Reihe von Notizen am Grab des amerikanischen Schriftstellers hinterlassen. Während einige dieser schriftlichen Äußerungen des geheimnisvollen Besuchers eindeutig als Ehrerbietung des Verstorbenen zu lesen sind, finden sich aber eben auch zahlreiche kryptische Hinweise oder in den späteren Jahren Botschaften mit tagesaktuellem Bezug:

  • Im Jahre 1993 fand man einen Zettel mit dem Hinweis: The torch will be passed.
  • 1999 erklärte ein Hinweis den Tod des ursprünglichen Poe Toaster im Jahr 1998 und die Nachfolge durch einen nicht weiter benannten Sohn. Augenzeugen berichten, dass die Gestalt nach 1998 tatsächlich eine jüngere Person gewesen sei.
  • 2001 nahm eine Notiz des Poe Toaster erstmals Bezug auf den Sport. Und zwar auf den Super Bowl XXXV, dem Finale der amerikanischen Football League, welches am 28. Januar diesen Jahres statt fand. Teilnehmende Teams: die Baltimore Ravens und die New York Giants. Allerdings schien der Toaster den Ravens – der Bezug zu Edgar Allan Poes berühmten Gedicht Der Rabe (The Raven) ist offensichtlich – keine großen Erfolgschancen einzuräumen: The New York Giants. Darkness and decay and the big blue hold dominion over all. The Baltimore Ravens. A thousand injuries they will suffer. Edgar Allan Poe evermore. Er lag allerdings falsch, denn die Ravens gewannen das Spiel deutlich mit 34-7.
  • 2004 wurde der Poe Toaster politisch und nahm Bezug auf Frankreichs Opposition gegen den amerikanischen Militäreinsatz im Irak: The sacred memory of Poe and his final resting place is no place for French cognac. With great reluctance but for [sic] respect for family tradition the cognac is placed. The memory of Poe shall live evermore!

Der Poe Toaster – Das Ende einer Tradition?

Obwohl die ersten schriftlichen Zeugnisse über das Auftauchen des Poe Toaster erst in den 1949 auftauchten, berichten Augenzeugen in Baltimore bereits von seinem angeblichen Erscheinen seit den 1930er Jahren. Dies ist allerdings keineswegs gesichert und über die wahre Herkunft bzw. Identität des Poe Toaster kann nach wie vor nur spekuliert werden. Jahrelang hatte man sich – scheinbar auch aus Respekt vor dieser Tradition und vor allem als zu Poe passende touristische Attraktion in Baltimore – davor gehütet, diesem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Und dies trotz zahlreicher Neugieriger, die sich im Verlauf der Jahre am 19. Januar auf dem Friedhof in Baltimore versammelten. Ausnahme war hier das Jahr 2006, in dem einige der Anwesenden versuchten, die Identität des Poe Toaster noch auf dem Friedhof aufzudecken. Allerdings – oder auch zum Glück – ohne Erfolg.

Seit 2010 ist der geheimnisvolle Besucher allerdings verschwunden und man vermutet, dass diese Tradition ein Ende gefunden hat. Trotzdem versammeln sich immer noch zahlreiche Menschen am 19. Januar auf dem Friedhof in Baltimore und wer weiß, vielleicht wird Poe Toaster eines Tages wiederkehren, um Edgar Allan Poe zum Geburtstag zu gratulieren. Die kuriosen Feiertage tun dies auf jeden Fall, denn es steht geschrieben:

The memory of Poe shall live evermore!

Weitere Informationen zur Geschichte des Poe Toaster:


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