Episode 1
Dienstag, 28.9.
Von eins bis vier Uhr ist mir schlecht und zum Schluss fällt das Licht aus, der knatternde Benzingenerator – der aber nicht alles versorgen kann – wird angelassen und zwei Ärzte beraten, ob sie die arme, nicht mehr ruhig zu stellende Dame nicht ins nächste größere Krankenhaus nach Somoto schicken sollen. Um sechs Uhr in der Früh ist sie jedenfalls verschwunden. Nachdem ich aufgrund der offensichtlichen Krankheit Marthas selbige schon am Vorabend nach Hause geschickt habe, rufe ich sie jetzt an. Und ratet mal was Martha sagt: „Ich bin krank, habe Fieber und fast nichts geschlafen, weil mir alles wehtut.“ Und trotzdem war es fast schon schwierig sie davon abzubringen, die Nacht an meiner Seite zu verbringen.
Also kommt erst mal Adriana , bringt mir Tee und ungetoasteten Toast (Strom ist noch nicht wieder da) und hilft mir in der jetzt etwas lockereren Unterhaltung mit dem Hernn Doktor. Der meint – genau wie ich – dass die gelben Wunderpillen wohl eher wundersam wirkungslos sind und kündigt eine Infusion an. Als er merkt, dass ich Englisch verstehe („Two or three?“, fragt er mich) ist er glücklich ein paar Wörter aus seinem vermutlich nicht sehr frischem Repertoire: Tea und two pan. Pan heißt Brot, ist eher kein Englisch, sondern Spanisch, stimmt aber im Kontext, darum nicke ich und er kann seine Schicht mit einem zufriedenem Lächeln weitergeben. Wieder eine gute Tat getan und ein guter Eindruck hinterlassen . Adriana sagt später, das wäre hochnäsig gewesen. Nicht ich, der Doc, als er mit seinem Englisch angegeben hat. Mir hat es nur wieder gezeigt, dass sogar gebildete Menschen hier einfach kein Englisch können.
Nach einiger Zeit wird es Martha wohl wieder zu ungewiss, nur im Haus zu sitzen und kommt – trotz Kopfschmerzen – vorbei. Martha erklärt mir dann auch die Details zu den anderen Leuten im Zimmer. Zwei sind, wie ich, Opfer des Wetters und diverser Infektionen. Der dritte, Harold, ein – von Martha – sogenannter burracho (was genauso abfällig verwendet wird wie auf Deutsch Säufer) mit weniger als dreißig Jahren auf dem Buckel und selbst eingenommenem Gift im Körper. Es dürfte hier nicht unüblich sein, dass sich Trinker, die bemerrken, dass sie die Kontrolle verlieren, Gift nehmen. Harold hat das erste Mal überlebt, bei seiner Abfahrt in die Klinik von Somoto sieht es nicht so aus, als würde das noch einmal passieren. Mich hat die Geschichte tief getroffen, weil ich bis zum Schluss vor allem das Wort veneno, also Gift, nicht wahrhaben wollte, hat er doch am Vortag noch Scherze gerissen und ist von Freunden besucht worden. Rückblickend stelle ich fest, dass lediglich sein Bruder auf Besuch kam, die anderen jungen Männer kamen zu Besuch eines anderen Patienten und haben nur zufällig auch mit Harold gequatscht.
Zu Mittag wird mir dann zwar kein Tropf angehängt, aber ein intravenöser Zugang wird gelegt. Da ich die letzten drei Tage beinahe nichts gegessen habe, alles andere das Eilticket in die große, weiße Schüssel genommen hat, ich Nadeln nicht mag und schon gar nicht so große und überhaupt nicht in Verbindung mit meinem Blut schwindet mir im Schweiße des Angesichts kurzfristig sämtliche Farbe aus dem Gesicht. Die Ärztin ist ganz besorgt, weil sie glaubt, sie hat was falsch gemacht, während Adriana das witzig findet. Ich fühle mich wie ein Gerät von Gardena, mit dem Anschluss am Unterarm …
Während des Tages höre ich, dass zur Zeit alle verfügbaren Kräfte im Einsatz sind, die meisten allerdings in den Dörfern rund um Condega, um das kleine Spital nicht zu überlasten. Probleme gibt es allerdings in den Dörfern östlich des Flusses, da sämtliche Brücken dorthin überspült und die Fußgängerbrücken inzwischen von den Fluten weggerissen wurden. Die Menschen erfahren, soweit ich das verstehe, keine materielle Hilfe, es gibt keinen Einsatz von Hubschraubern, was vermutlich der einzig verbleibende Weg wäre. Angesichts der hohen Essenspreise und der unterbrochenen Versorgung mit nötigen Medikamenten kommt es vermehrt zu verzweifelten Versuchen, den Fluss zu durchschwimmen. Der Fluss ist jetzt mehr als doppelt so hoch, als normalerweise, dementsprechend unberechenbar sind die Stromschnellen. Tote gibt es bisher allerdings keine, hier in Condega.
Das ist alles noch mein Wissensstand am Dienstag. Ich muss hier etwas vorgreifen und dazusagen, dass ich immer noch nicht wirklich alles verstanden habe und sich etliche Aussagen – zumindest in meiner Übersetzung – widersprechen. Zum Beispiel hat der Fluss bei Hurrikan Mitch die hohe Brücke der Panamericana beinahe überspült, wozu im Augenblick noch gut fünf Meter fehlen. Wie also die Situation – sie heißt jetzt Tropensturm Nicole – teilweise schon als schlimmer als Mitch bezeichnet werden kann, ist mir ein Rätsel. Mir wurde daraufhin erklärt, der Fluss könne nicht mehr so weit steigen, weil da jetzt eine Mauer steht, die die an den Fluss angrenzenden Häuser schützt. Vielleicht merkt ihr auch schon, dass mir da irgendein Detail entgangen sein muss
Gegen Abend bin ich schon in freudiger Erwartung des Zeitpunktes, an dem mir mein dickes fettes Pflaster, das den intravenösen Zugang festhält entfernt wird. Das wurde nämlich aufgrund etwas Armbehaarung gleich besonders großzügig ausgefasst und schön festgedrückt. DAS wird mal ein Moment von „Abreißen oder Abzupfen -Entscheide dich endlich!“
Um acht kommt eine Krankenschwester und gibt mir eine Spritze. Dabei stellt sie sich ein bisserl patschert an und jetzt habe ich zwei Blutflecken im Bettüberzug. Das Bett ist inzwischen nicht mehr bequem, dazu ist es zu lätschert und mir tut schon mein Rücken weh. Schlafen ist daher schon gewaltig schwierig, vor allem, weil mein Bettüberzug auf dem Plastikuntergrund immer verrutscht wenn ich mich bewege. Das Plastik auf der Matratze hat auch zur Folge, dass ich immer schweißgebadet aufwache. Eine weitere Interessante Tatsache ist, dass das Gefühl für Hunger sich verändert. Ich kann nicht unterscheiden, ob ich gerade Hunger habe, oder ob mein Magen rebelliert, aber wenn ich etwas esse wird er wieder ruhig
Und wieder ein Cliffhanger. Weil ich aber keinen Spannungsbogen habe (Wo kann man den kaufen?), muss ich meine Cliffhanger ankündigen, damit auch alle davon wissen
Heute, Donnerstag, werde ich mich noch dazu setzen und Episode 3 schreiben, einen Rundgang durch Condega machen und auch davon berichten.