Der Tag, an dem ich die Vorzüge eines Doktorenlebens genoss

Schon wieder so ein Doktor, der keiner war. Gut, andere Doktoren waren gar keine. Der Scheuer wurde wenigstens nur als Doktorchen geoutet. Mit Titeln, die man einfach mal voranstellt, haben schon ganz andere Erfahrung gemacht.
Der Tag, an dem ich die Vorzüge eines Doktorenlebens genossAls ich vor Jahren einen Facharzttermin wahrnahm, verlangte man von mir, dass ich einen Fragebogen ausfüllen sollte. Alle neuen Patienten müssten das tun. Hierzu händigte man mir ein Klemmbrett mit einem Formular darauf und einen Kugelschreiber aus und wies mich ins Wartezimmer. Das war gerammelt voll. Die Leute rennen immer gerade dann zum Arzt, wenn ich hin muss. Ich füllte das Teil aus, legte das Brett hierzu auf meine Knie und legte los. Meine Schrift litt darunter. Sie sah aus wie das Geschmiere eines lustlosen Apothekers. Als ich es vollendet hatte, gab ich es am Schalter ab und richtete mich auf Stunden ein, die ich mit Bild der Frau und einem Ärzteblatt erträglich gestalten wollte. Ich hatte es mir gerade so richtig ungemütlich gemacht, da schreckte ich auf.

Denn nach nur zehn Minuten lugte die Arzthelferin in den Wartebereich und bat einen Dr. Lapuente ins Sprechzimmer. Ich stand auf und folgte ihr. Erstaunlich, wie schnell man sich an so einen Titel gewöhnt. Ich musste nicht mal überlegen, ob denn im Wartezimmer einer saß, der zufällig Lapuente hieß. Nee, ich machte keine Anstalten und ergriff meine Chance und fügte mich übergangslos in die Rolle eines Akademikers ein.
Die Ärztin war freundlich. Na, Dr. Lapuente, wie kann ich Ihnen helfen? Ich stellte nichts klar. Es gefiel mir. Nicht der Titel selbst. Aber diese Vorzugsbehandlung, die es offenbar in Doktorenleben so gab, gegen die wehrte ich mich nicht. Als De Lapuente war es immer anders, war man eben nur ein Kassenpatient. Gut, der war ich als Dr. Lapuente auch, aber halt auf höherem Niveau. Das ging dann auch das ganze Gespräch lang so. Ich wurde andauernd mit Namen und Titel angeredet. So viel persönliche Ansprache kennt ein Typ wie ich sonst nicht. Dr. Lapuente hier, Dr. Lapuente dort, Dr. Lapuente ist Ihr Stuhlgang normal? - Er ist fest und stinkt, alles in Ordnung, vielen Dank Frau Doktor.
Am Ende kam heraus, dass ich bei der netten Ärztin völlig falsch war. Meine Unpässlichkeit passte wohl besser ins Beuteschema eines anderen Facharztes. Wenigstens ist das jetzt von der Seite meines Fachgebietes abgeklärt, Herr Dr. Lapuente, sagte sie am Ende und drückte mir herzlich die Hand. Ja, vielen Dank auch, liebe Frau Doktor, antwortete ich und bemühte mich um ein wenig akademische Konzilianz. Fast wollte ich Frau Kollegin sagen, aber Doktor ist ja nicht gleich Doktor. Bis heute wissen die Leute in dieser Arztpraxis nicht, dass sie einem falschen Doktor aufgesessen sind.
Was ich mit der Geschichte sagen will? Hm, ich weiß nicht so genau. Muss man immer Hintergedanken haben? Doch wenn ich genauer darüber nachdenke, dann habe ich das vielleicht nur erzählt, um nicht irgendwann mal als Blender entlarvt zu werden. Nicht, dass irgendwann eine dieser Schreckschrauben, die bei der Ärztin am Empfang arbeiteten, mich auf einem Plakat sieht und der Bildzeitung steckt: Dieser Mann war ein falscher Doktor! Von diesem Vorwurf bis zur Schlagzeile Er hat mich befummelt! ist es dann nicht mehr sehr weit.
Na ja, gut, noch was fällt mir als Grund ein, warum ich das erzähle: Man sieht also, wie nett man behandelt wird, wenn man sich mit einem hübschen Titel ziert. Dass der gegelte Landadlige oder dieser Scheuer nicht darauf verzichten wollten, kann man aus dieser Perspektive sogar fast verstehen. In einem Land, in dem man nur was gilt, wenn man ein Statussymbol aufweisen kann, also entweder Geld hat, einen Schlips oder einen Titel, muss man mit Tricksern und Betrügern rechnen. In gewisser Weise ist diese Mentalität der Leute mitschuldig daran, dass es solche Blender gibt.
Ich vermisse meinen Doktortitel manchmal. Nur eine Stunde hatte ich ihn. Aber es war eine gute Stunde. Danach wurde ich nur noch einmal so gut behandelt. Das war, als ich bei einem Juwelier Batterien für meine Armbanduhr kaufen wollte und, weil ich schon mal da war, ein wenig die Auslage bewunderte. Da trat die Verkäuferin heran, deutete auf eine Uhr und meinte, dass dieses Modell von Cartier stark reduziert sei. Es kostete aber immer noch gut nen Tausender. Ich antwortete nur, dass Geld keine Rolle spiele und lächelte beschämt. Sie aber hatte meinen Armutszynismus mit einer dicken Geldbörse verwechselt und beriet mich vorzüglich.
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