Der Sudan und die Suche nach dem letzten Abenteuer

Die Welt ist entdeckt. Doch im Sudan gibt keine touristische Infrastruktur. Alles ist karg, staubig, Wüste. Man ist den Menschen und diesem Land ausgeliefert, es gibt keinen Rückzugsort. Darin liegt das letztmögliche Reiseabenteuer in einer globalisierten Welt.

Shendi - Als ich aus dem Bus steige, ist da zum ersten Mal leichte Panik. Ich bin nicht vorbereitet auf das Dastehen, aber ich muss erst mal nur so da stehen, weil ich keinen Schimmer habe, wie ich weitermache.

Ich bin nicht vorbereitet auf die Rolle des Exponierten, der jetzt gemustert wird von allen Menschen, weil er hier so auffällt. Es ist offensichtlich, dass ich keine Ahnung habe, was der nächste Schritt sein könnte, und das sorgt für eine unangenehme Nervosität. Ich bin so fehl am Platz wie eine Vogelspinne auf einer Kaffeetafel.

Gut ausgeleuchtet stehe ich auf einer Bühne vor erwartungsvollen Zuschauern, das zwingt irgendeine Handlung herbei, fast automatisch.

"Hello, hotel?"

Ich erwarte auf keinen Fall, dass irgendein Mensch Englisch spricht. Was für eine verfehlte Frage. Ein Hotel, seriously? Shendi heißt dieser Ort hier, bislang war er nur ein Name auf der Landkarte, jetzt bekommt er Konturen. Eine Eisenbahnspur führt durch den Staub, überall ist Sand, stehen sandfarbene Häuser, einstöckig und gedrungen, als seien sie aus dem Wüstensand herausgewachsen. Ein Hotel kann ich mir hier beim besten Willen nicht vorstellen. Ich hatte keine Ahnung bisher.

Trotzdem oder gerade deswegen noch einmal: "Hotel? Guest house?" Ich bin auf die Sitzbank eines motorisierten Dreiradfahrers gestiegen, einfach weil ich etwas tun musste, in dem zweifelhaften Versuch, wieder Herr der Lage zu werden.

Der Mann fährt los, dabei weiß er doch gar nicht, wo ich bin möchte - was für eine unüberlegte Übersprunghandlung war das bitte? Ich wiederhole immer nur "hotel, hotel, hotel", die Betonung malt ein Fragezeichen in die Saharaluft, und der Mann lächelt und fährt mich durch die Straßen. Aber er versteht nichts. Mir kommt das Wort bald selbst unsinnig vor: ho-tel, o-tel, o-tääääl. Der Widerhall in meinem Kopf ist hohl, als habe der Laut nie eine Bedeutung gehabt. Sogar die Sprache wird an diesem Ort ungewiss.

Ich befinde mich etwa 180 Kilometer nördlich von Khartoum, der Hauptstadt des Sudans, in einer kleinen Stadt am Nil. Der Fluss bildet auf der Landkarte einen schmalen grünen Streifen, ohne den man das Land hier nicht Land nennen könnte, nur Wüste wäre sonst hier, ohne Leben, ohne alles. Die Sonne brennt heiß, dabei ist es März und eigentlich noch recht angenehm, verglichen zum Hochsommer.

Wie ich da im Rücken dieses Sudanesen sitze, der mich nicht versteht und irgendwo hinfährt, wie die Menschen unserem Bike hinterherschauen, wie ich der Situation ausgeliefert bin, habe ich das Gefühl, dass die Dinge entgleiten. Dass ich davon getragen werde, ohne Kontrolle, und gewissermaßen ist das ja auch der Fall. Als ich kurz davor bin, den Kopf zu verlieren, versteht der Mann plötzlich doch, was mein Anliegen ist: Schlafen muss ich heute Abend irgendwo, ich suche eine Unterkunft.

In Shendi gibt es keine touristische Infrastruktur. Es ist eine einsame Wüstenstadt, auf halber Strecke ins Nirgendwo, ein Nest. Wie viele Ausländer waren in diesem Jahr schon hier? Wahrscheinlich kein einziger. Wir machen halt bei einem lokanda, so heißen die kleinen Gästehäuser in diesem sonderbaren Land, es ist ein schmuckloser Steinbau, in der Nähe des Bahnhofs. Die Rezeption ist ein Raum ohne Türen, darin nur ein alter Schreibtisch, dahinter ein Mann mit funkelnden Augen, die mich lesen wollen wie ein Buch, dessen Sprache man nicht versteht.

Essan heißt der Besitzer des Gasthauses, und er spricht - das ist wirklich ein großes Glück - ein bisschen Englisch. Er führt mich durch den Hof zu einer Holztür, die nur von einem umgebogenen Nagel in ihrem steinernen Rahmen gehalten wird. Ich sehe einen Raum mit einem Holzbett und einem Schrank. Es gibt keinen Strom, kein Fensterglas, kein fließendes Wasser und keine Toilette: mein Zimmer für diese Nacht.

Ungefähr fünf Euro sind ein alberner Preis für etwas, das mir hier eine minimale Sicherheit bietet, das die Welt wieder in ein Draußen und ein Drinnen aufteilt. Ich: hier drinnen, wieder unsichtbar, zur Ruhe kommend. Die Gegenwart da draußen: fremde Menschen, karge Wüste, ohne Alternative.

Doch zu früh gefreut. Essan sagt jetzt, ich müsse zur Polizei, und ganz schnell kommt mir der Gedanke, dass man aus meiner Hilflosigkeit Kapital schlagen will. Der Sudan hat, sagen wir mal, nicht die tadellosesten Behörden, und warum sollte ich jetzt zur Polizei müssen, es ergibt keinen Sinn. Mir bleibt nichts anderes übrig.

Der Dreiradfahrer hat noch gewartet, Essan redet auf Arabisch mit ihm und weist mich an, noch einmal aufzusitzen, nur Mut, so etwas liegt in seinem Blick. Wir fahren drei Minuten. Die Polizei sieht nicht aus wie eine Polizei, ich betrete einen schmucklosen Raum an einer austauschbaren Sandstraße, darin ein schmutziger Schreibtisch, darauf einige Fetzen Papier. Der Mann auf dem Stuhl hat keine Uniform, er könnte auch ein Gangster sein. Aber er nimmt einen Kugelschreiber und schreibt irgendwas auf einen ausgerissenen Zettel, als ich ihm erzähle, dass ich in Shendi übernachten will.

Das soll wohl eine Art Beleg sein, eine Erlaubnis, denke ich mir, der Ausländer hat sich registriert oder so ein bürokratischer Schwachfug, der Mann will bloß keinen Ärger mit seinem Vorgesetzten. Mit dem Zettel geht es zurück zum lokanda. Der Polizist, der nicht so aussah, hatte meinen Pass sehen wollen, das ist immer ein unangenehmes Gefühl, in so einer Lage im Ausland seinen Pass herauszugeben. Man fühlt sich plötzlich nicht mehr anwesend, nicht mehr offiziell da, und vor diesem Hintergrund kann schließlich alles mit einem passieren.

Ich bin nicht aus reinem Vergnügen im Sudan, ich will eine Geschichte über die antiken Tempel des Niltals schreiben, irgendwas zwischen Reportage, Reisefeature und Erlebnisbericht. Ich kann es nicht sagen, weil ich nichts weiß über diesen Ort, über diesen Teil der Welt. Das ist der Reiz.

Es ist nicht so, dass ich ein besonderes Interesse an der nubischen Geschichte hätte, am historischen Königreich von Kusch mit seinen schwarzen Regenten, die sogar, bevor Jesus Christus auf die Welt kam, einmal Ägypten eroberten. Das geschichtliche setting, die Sehenswürdigkeiten - durchaus Unesco-Welterbe, so ist es nicht - waren nur der Anlass, um etwas viel Existenzielleres zu tun: ein Abenteuer zu erleben.

In Shendi, dieser gottverlassenen Wüstenstadt, wird klar, was damit gemeint sein könnte: Es geht darum, sich einer Situation auszuliefern, ohne Netz und doppelten Boden. Menschen ansprechen, sich durchfragen, temporär Fremden komplett vertrauen, ohne all dies gäbe es kein Fortkommen.

Ich habe kein Hostel, keine Adresse, kenne keinen einzigen Europäer im Umkreis von 100 Kilometern, es gibt kein Internet und keinen Handyempfang, mein Besitz steckt in einem Tagesrucksack, Zeug für fünf Tage. Was ich sagen will: Es gibt keinen Rückzugsort. Ich lege mein Schicksal in die Hände dieser Leute, von denen ich nichts weiß und doch - wie ich am Ende sehen werde - nur Gutes zu erwarten habe.

Dieser Zustand ist das, was ich mit einem Mal als Abenteuer erkenne, und es führt mir die ganzen anderen, falschen Abenteuer vor Augen. Großartige, tolle Erlebnisse zwar, aber eben oft: Abenteuer-Simulationen, die ja, wenn man nur einmal die Reisekataloge anschaut, seriell hergestellt und kommerziell vermarktet werden.

In fast jedem vermeintlich aufregenden Land der Welt kann man sich doch letztlich hinter eine internationalisierte Infrastruktur zurückziehen: in das Hostel, in dem ein Lonely Planet im Bücherregal liegt und es Wifi gibt, wo man Menschen westlicher Staatsangehörigkeit trifft, wo man fragen kann: Hey, how are you? How long are you travelling? Can you recommend a place to eat? Man kennt die Bedürfnisse.

Essan braucht einige Zeit, bis er versteht, was mein Vorhaben ist, und es scheint ihm einigermaßen absonderlich vorzukommen: dass der weiße Typ in die Wüste will, ja wirklich mitten in die Wüste, zum Tempel von Naga (es handelt sich dabei um eine Sehenswürdigkeit für meine Recherche). Wie ließe sich das anstellen?

Essan ruft einen Freund von sich an, der mit einem Auto herbeikommt, er heißt Ahmed, und diesem Ahmed, der ein paar Brocken Englisch kann, erklärt Essan, dass dieser junge Mann hier in die Wüste nach Naga will. Ich bin bereit 350 sudanesische Pfund dafür auszugeben, irgendwann werden wir uns über den Preis einig.

Keine halbe Stunde später sitze ich in Ahmeds Auto, dem die Seitenfenster fehlen. Auch die Tür geht nicht ohne weiteres auf, deshalb hat Ahmed immer einen Schraubenzieher dabei. Der Tacho steht konstant auf null. Ahmed kauft noch etwas Fleisch und Gemüse, wir fahren kurz bei ihm zu Hause vorbei, das Haus liegt am Stadtrand, in der Einöde. Es erinnert mich an die Wüstenbehausungen auf Tatooine in Star Wars, und das ist wieder so eine bezeichnende Komik, dass sich meine einzige Assoziation auf die Kulisse einer Hollywood-Weltraumsaga bezieht.

Wir fahren auf der Asphaltstraße ein Stück Richtung Süden, bis Ahmed irgendwann nach links abbiegt auf eine für mich kaum auszumachende Sandpiste. Dürre Sträucher und karge Baumgerippe zeichnen sich gegen eine rotbraune Wand ab, die wohl der Himmel sein soll. Nach einer halben Stunde versuche ich auszurechnen, wie viele Wegstunden es nun wohl schon zurück zur Straße wären. Naga liegt 37 Kilometer vom Nil entfernt in der Wüste. Es gibt hier keine Straßen und Häuser, nur ein paar Beduinen und Kamele.

Der Besuch des Tempels ist einigermaßen unspannend. Ich fotografiere den Amun-Tempel, erbaut nach ägyptischem Vorbild, den meroitischen Löwentempel und die griechisch-hellenistische Hathor-Kapelle. "Eine Kulisse, die die Weltarchitektur Revue passieren ließ", erklärt mir später, zuhause in Deutschland, der Leiter des Forschungsprojekts Naga des Staatlichen Museums für Ägyptische Kunst in München, Dietrich Wildung. Mich interessieren vor allem die Nomaden, die ihr Vieh zu dem Brunnen führen, den es hier in dieser Zivilisationsverlassenheit tatsächlich gibt.

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Der Sudan und die Suche nach dem letzten AbenteuerNomaden beim Tempel von Naga.

Ahmed fährt mich nach einer Stunde wieder durch die Wüste zurück zur Hauptstraße und von dort weiter in die Stadt. Essan wartet im Gasthaus, es wird dunkel. Ich gehe abends in den Ort hinaus und esse Falafel. Nichts kommt mir mehr so fremd und abweisend vor wie heute Mittag, als ich nach zwei Stunden Busfahrt meine Füße in den Staub setze und von nichts eine Ahnung hatte.

Es ist der Abend des 13. März, und am nächsten Morgen, als die Sonne von einem klaren Himmel in den Hof scheint, in dem die Männer auf Bettgestellen unter dem freien Himmel geschlafen haben und in dem einer jetzt, bevor der Tag noch richtig begonnen hat, nach Mekka betet - an diesem Morgen bin ich ein Jahr älter.

Essan schaut mir zum Abschied tief in die Augen. "Ma'a as-salāma - you are a good man", sagt er und legt dabei seine Hand auf meine Schulter.

Ein schöner Geburtstag war das. Ich spüre wieder einmal: Das Leben ist eine großartige und berauschende Angelegenheit.

Im Niltal nördlich von Khartoum herrscht arides Wüstenklima. Angenehm sind die Temperaturen von Dezember bis März. In den übrigen Monaten liegt die Tagestemperatur regelmäßig bei mehr als 40 Grad im Schatten.

Mehrere Airlines fliegen die Hauptstadt Khartoum aus Deutschland mit einem Zwischenstopp an, zum Beispiel Turkish Airlines über Istanbul.

Ja. Reisende aus Deutschland müssen das Visum in der Botschaft des Sudans in Berlin beantragen.

In Khartoum gibt es vor allem Hotels für Geschäftsleute, die gemessen am Lebensstandard und allgemeinen Preisniveau recht teuer sind. Empfehlenswert ist das German Guesthouse, 839 Block Nr. 22, Al Taif, Khartoum ([email protected]). Außerhalb der Hauptstadt ist die Infrastruktur äußerst dürftig, man ist im Wesentlichen auf lokale Gästehäuser angewiesen.

Außerhalb der Kriegsgebiete in Darfur und im Süden des Landes ist der Sudan ein für afrikanische Verhältnisse sicheres Reiseland. In Khartoum können sich (männliche) westliche Staatsangehörige frei bewegen, es gibt so gut wie keine Gewaltkriminalität. Auch in den kleinen Städten und Dörfern braucht man sich nicht zu fürchten.

Wenn man die lokale Infrastruktur (Herbergen, Busse, Restaurants) nutzt, ist das Preisniveau äußerst niedrig. Ein traditionelles Frühstück aus Bohnenpaste und Salat ( ful) gibt es für weniger als einen Euro. Eine Nacht in einem lokanda kostet in einem einfachen Zimmer kaum mehr als fünf Euro. Sobald man ausländische Hotels oder Restaurants nutzt, zahlt man annähernd europäische Preise.


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