Der abermalige Streik der Lokführer ist lästig. Er wird mich am Freitag nicht rechtzeitig von der Provinz in die große Stadt lassen und mir so zeitbedingt etwa drei bis acht Küsse meiner Partnerin kosten, die dort auf mich wartet. Und das ist echt ärgerlich. Wer verzichtet schon gerne auf Stunden mit seiner Liebsten? Gleichwohl ist eines klar: Das Streikrecht ist eine unantastbare Entität innerhalb einer Demokratie. Wer es aufgibt, damit Typen wie ich pünktlich zum Küssen kommen, gibt wesentliche Aspekte des demokratischen Grundverständnisses auf.
Diesen Braunen, die die Demokratie als Plauderbude bezeichneten, war es eines der größten Anliegen, die Gewerkschaftsbewegung an die Kandare zu nehmen. Die Zerschlagung der freien Gewerkschaften war für die Demokratiefeinde wichtiger als das Ende der Demokratie selbst. Oder chronologischer gesagt: Das Ende der Demokratie konnte nur über den Umweg der Zerschlagung der Gewerkschaften entstehen. Freie und selbstbewusste Gewerkschaften waren für sie ein Sinnbild intakter demokratischer Gesinnung. Wer also das demokratische Selbstbewusstsein der Angestellten und Arbeiter untergraben wollte, der musste nicht zuerst das Wahlrecht einschränken oder dergleichen - der musste Gewerkschaften, Streik und Arbeitskampf verunmöglichen. Das haben die Faschisten hierzulande gut begriffen. Der Weg zur Diktatur führte über die Gewerkschaften und deren endgültiger Einschränkung als autonome Verbände. Das war dann auch eine der ersten Maßnahmen, die man ergriff.
Kurzer Exkurs: Man legt heute so viel Wert auf das Gedenken an das, was einst geschah. Auschwitz und so. Nie wieder und der ganze Sermon. Der 1. Mai 1933 war erstmals ein Feiertag. Am 2. Mai 1933 ließ man dann die Gewerkschaftshäuser stürmen und beendete die Existenz der Gewerkschaften. Denkt man viel daran in diesen Tagen? Eher nicht. Man will das Streikrecht kappen und damit der Demokratie eine überbraten. So viel zum Gedenken in diesem Lande.
An die Leine genommene Gewerkschaften sind kein Anzeichen von Vernunft. Sie sind Demokratieabbau. Denn wer Menschen die Chance nehmen will, mit einem Akt der Verweigerung von Arbeitsleistung für ihre Interessen einzustehen, der hält sie gefangen in ihrem Arbeitsalltag. Dann gibt es aus schlechten Arbeitsverhältnissen kein Entrinnen mehr und muss sich damit abfinden. Wenn Arbeit nicht niedergelegt werden kann, weil es das träge Streikmonopol großer angepasster Gewerkschaften nur in Ausnahmefällen zulässt, dann ist das ein erheblicher demokratischer Schaden. Demokratie ist, wenn man jederzeit eine realistische Chance darauf hat, sich der Arbeit zu verweigern. Wenn das Selbstbewusstsein einer Gewerkschaft Lohnabhängige schafft, die sich ihrer machtvollen Position bewusst sind und sich kampfbereit geben, dann ist klar, warum starke Gewerkschaften unbeliebt sind. Sie schafft Staatsbürger, die nicht untertänig sind, sondern souverän. Untergräbt man diesen Umstand, schadet man diesem Selbstwertgefühl und damit auch der Demokratie. Denn letztere braucht autonome Bürger, die nicht dumm abnicken, sondern sich aktiv engagieren.
Die großen Gewerkschaften, die nun alles regeln sollen, wenn es nach der Regierung geht, scheuen den Streik. Sie sind opportunistisch geprägt und quaken das nach, was Minister und Kanzleramt vorgeben. Widerstand gegen die Agenda gibt es bestenfalls marginal. Diese Gewerkschaften haben ihren Mitgliedern schon lange das Selbstwertgefühl aus den Knochen gesaugt. Und damit den demokratischen Anspruch, den jede Gewerkschaft haben sollte.
Drei bis acht Küsse weniger. Schade. Aber die Sache ist es wert. Man muss nicht mal eine Meinung dazu haben, ob dieser Streik in dieser Weise richtig oder angemessen ist. Dass aber gestreikt werden muss, wenn ein Dialog scheitert, das steht außer Frage. Und darum geht es. Ich werde lieber in so einer Gesellschaft drei- bis achtmal weniger geküsst, als in einem Gemeinwesen, in dem Arbeitsniederlegung ausgeschlossen ist. In Diktaturen küsst man zwar auch. Aber ich nehme an, weitaus weniger entspannt.
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Diesen Braunen, die die Demokratie als Plauderbude bezeichneten, war es eines der größten Anliegen, die Gewerkschaftsbewegung an die Kandare zu nehmen. Die Zerschlagung der freien Gewerkschaften war für die Demokratiefeinde wichtiger als das Ende der Demokratie selbst. Oder chronologischer gesagt: Das Ende der Demokratie konnte nur über den Umweg der Zerschlagung der Gewerkschaften entstehen. Freie und selbstbewusste Gewerkschaften waren für sie ein Sinnbild intakter demokratischer Gesinnung. Wer also das demokratische Selbstbewusstsein der Angestellten und Arbeiter untergraben wollte, der musste nicht zuerst das Wahlrecht einschränken oder dergleichen - der musste Gewerkschaften, Streik und Arbeitskampf verunmöglichen. Das haben die Faschisten hierzulande gut begriffen. Der Weg zur Diktatur führte über die Gewerkschaften und deren endgültiger Einschränkung als autonome Verbände. Das war dann auch eine der ersten Maßnahmen, die man ergriff.
Kurzer Exkurs: Man legt heute so viel Wert auf das Gedenken an das, was einst geschah. Auschwitz und so. Nie wieder und der ganze Sermon. Der 1. Mai 1933 war erstmals ein Feiertag. Am 2. Mai 1933 ließ man dann die Gewerkschaftshäuser stürmen und beendete die Existenz der Gewerkschaften. Denkt man viel daran in diesen Tagen? Eher nicht. Man will das Streikrecht kappen und damit der Demokratie eine überbraten. So viel zum Gedenken in diesem Lande.
An die Leine genommene Gewerkschaften sind kein Anzeichen von Vernunft. Sie sind Demokratieabbau. Denn wer Menschen die Chance nehmen will, mit einem Akt der Verweigerung von Arbeitsleistung für ihre Interessen einzustehen, der hält sie gefangen in ihrem Arbeitsalltag. Dann gibt es aus schlechten Arbeitsverhältnissen kein Entrinnen mehr und muss sich damit abfinden. Wenn Arbeit nicht niedergelegt werden kann, weil es das träge Streikmonopol großer angepasster Gewerkschaften nur in Ausnahmefällen zulässt, dann ist das ein erheblicher demokratischer Schaden. Demokratie ist, wenn man jederzeit eine realistische Chance darauf hat, sich der Arbeit zu verweigern. Wenn das Selbstbewusstsein einer Gewerkschaft Lohnabhängige schafft, die sich ihrer machtvollen Position bewusst sind und sich kampfbereit geben, dann ist klar, warum starke Gewerkschaften unbeliebt sind. Sie schafft Staatsbürger, die nicht untertänig sind, sondern souverän. Untergräbt man diesen Umstand, schadet man diesem Selbstwertgefühl und damit auch der Demokratie. Denn letztere braucht autonome Bürger, die nicht dumm abnicken, sondern sich aktiv engagieren.
Die großen Gewerkschaften, die nun alles regeln sollen, wenn es nach der Regierung geht, scheuen den Streik. Sie sind opportunistisch geprägt und quaken das nach, was Minister und Kanzleramt vorgeben. Widerstand gegen die Agenda gibt es bestenfalls marginal. Diese Gewerkschaften haben ihren Mitgliedern schon lange das Selbstwertgefühl aus den Knochen gesaugt. Und damit den demokratischen Anspruch, den jede Gewerkschaft haben sollte.
Drei bis acht Küsse weniger. Schade. Aber die Sache ist es wert. Man muss nicht mal eine Meinung dazu haben, ob dieser Streik in dieser Weise richtig oder angemessen ist. Dass aber gestreikt werden muss, wenn ein Dialog scheitert, das steht außer Frage. Und darum geht es. Ich werde lieber in so einer Gesellschaft drei- bis achtmal weniger geküsst, als in einem Gemeinwesen, in dem Arbeitsniederlegung ausgeschlossen ist. In Diktaturen küsst man zwar auch. Aber ich nehme an, weitaus weniger entspannt.
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