Aus dem Streiflicht der SZ (Anfang August):
Um sich für Rainer Maria Rilkes Wort „Der Sommer war sehr groß“ zu qualifizieren, muss ein Sommer heutzutage mehr bieten als Festspiele, Rückreisestaus und die sogenannte Megahitze. Die wahr Größe eines Sommers erkennt man an seinen bukolischen Einlagen, an dem Aufwand an Tieren, die teils Mitleid, teils Schrecken erregen. [Anm. von mir: Eben nicht!], immer aber von einem dreifachen Geheimnis umgeben sind: Wo kommen sie her, wo gehen sie hin und was wollen sie überhaupt? Auch wenn wir auf diese Frage so gut wie nie eine Antwort bekommen, behalten wir die Tiere doch in freundlichem Gedächtnis:Tierfreunden fällt auf, dass hier stets das gleiche Stück gespielt wird, wenn auch mit wechselnden Repräsentanten. Stets stellt das Tier dem Menschen nach, stets wirkt es lästig. Und stets wirkt der dem Tiere nachstellende Mensch etwas unwürdig. Man denkt an Stoiber mit Flinte, unrasierte Männer mit Halbglatzen und Leine, deren anderes Ende verwaist ist. Was fehlt, ist auch hier die Umkehrung aller Werte. Die Anmut der stillen Delphine Wittenberges, der brillierende Geist eines Elches, der Zen-Zustand der Kühe auf einem Feld, das nur vom Getöse des ICE durchschnitten wird.
Den Brillenkaiman Sammy, der sich bei Dormagen herumtrieb, das Krokodil Klausi, die Kuh Yvonne, diese Freibeuterin der bayerischen Wälder, der Killerwels Kuno, der einen Dacken gefressen haben soll, und natürlich der Problembär Bruno, dem nach Lage der Dinge auf Erden nicht zu helfen war. [???]
Mag ihr Tun und Treiben gleich sinnlos angemutet haben, unseren Sommern, die ja auch ihre waren, haben sie jedenfalls einen Hauch von Abenteuern verliehen.
Für 2013 hatten wir schon die Hoffnung aufgegeben, doch nun hat sich doch noch ein Monster des allmählich dahinschwindenden Sommers erbarmt: Die Aligatorschildkröte Lotti, die vor allem dadurch fasziniert, dass sie Lotti heißt.
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Hätte Rilke gedichtet, „Der Ärger war sehr groß“, wir hätten den Menschen neben der Kuh schlecht aussehen lassen können. Die gleichmütige Kuh, die auf die zeternden Passagiere eines absaufenden ICEs schaut. Dann wären Gewinner und Verlierer des "Klimawandels" erkennbar geworden. Aus dem Wald wäre eine Gestalt getreten. Wortlos, obgleich der Sprache mächtig. Auf die Sonnenuhren der Altstadt hätte sie ihren 12-endigen Schatten geworfen und wir stillen Beobachter hätten uns verneigt und wären beschämt ob unserer Gattung von dannen gezogen.