Hirschfeld-Gesetze der Liebe, Foto: Wikimedia, CC-BY-SA
Frauen dürfen heute unter bestimmten Bedingungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei abtreiben – das regelt der § 219, der eine Beratung vorsieht, deren unbedingtes Ziel es ist, die Frau dazu zu bringen, das Kind zur Welt zu bringen. Alice Schwarzer hat das ganz richtig eine „Gnade“ und kein „Recht“ genannt. Parallel zeigt sich gerade in den USA, wie restriktive Abtreibungsgesetze wieder auf dem Vormarsch sind. Die Kontrolle über die Gebärmutter, den Ort, an dem eine Schwangerschaft ausgetragen wird, ist ein mächtiges Herrschaftsinstrument, über das aktuell wieder heftig gestritten wird.
von Salome
Viel mehr als nur ein Organ
Ob man eine Gebärmutter hat, oder nicht, sucht man sich nicht aus. Und dennoch ist dieses Organ ein politisches Organ. Ein Organ, das Frauen schwach, irrational und hysterisch macht – Hystera ist das altgriechische Wort für Gebärmutter, aber eben auch das Organ, das reproduziert, Nachkommenschaft ermöglicht. Deshalb ist die Kontrolle ein so entscheidender Machtfaktor. In den frühesten Formen geschriebenen Rechts in Europa findet sich die Strafbarkeit von Abtreibungen, die Kirche verurteilte Abtreibungen schon früh und bis heute mit Nachdruck. Ihrem Einfluss ist es zu verdanken, dass Frauen in Krankenhäusern kirchlicher Trägerschaft die Pille danach nicht erhalten. Die Kirche hat auf die heftige Kritik nach dem Skandal bei einem Vergewaltigungsopfer reagiert und erklärt, dass die vorbeugende Gabe der Pille danach mit den kirchlichen Dogmen vereinbar wäre. Damit bleibt die Kirche genau auf dem Diskurs, den auch der Gesetzgeber aufmacht. Oder ist es eher andersrum? Gemeinhin oft geglaubt, die Haltung der Kirche, der katholischen Kirche im besonderen sei ein Relikt früherer Zeiten, eine besonders konservative Einstellung, die noch aus dem Mittelalter herrührt.
Tatsächlich hatte die Kirche allerdings lange Zeit gar kein Problem mit Abtreibungen. Lange Zeit ging man davon aus, dass der Fötus zumindest in den ersten Monaten im Mutterleib unbeseelt war und daher sündenfrei abgetrieben werden konnte. Ganz unumstritten war diese Position innerhalb der Kirche zwar nie, aber erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ab 1965 drehte sich die Haltung der Kirche endgültig. Abtreibung, egal zu welchem Zeitpunkt, wurde auf einmal eine Sünde. Erst 1995 erklärte der damalige Papst Johannes Paul II. schließlich, dass eine Abtreibung gleichbedeutend mit Mord sei und unterband die Schwangerenkonfliktberatung durch kirchliche Stellen.
Abtreibungsgegnerschaft ist kein Relikt
Kirche und Staat sind sich seltsam einig, wenn es um die körperlichen Angelegenheiten von Frauen geht. Eine Abtreibung ist in Deutschland bis heute strafbar, wenn eine befruchtete Eizelle nach der Einnistung in der Gebärmutter abgetrieben ist. Sie bleibt nur straffrei, wenn die Abtreibung nach Einhaltung eines Beratungsgesprächs gemäß Paragraf 219 durchgeführt wurde. Diese Trennung zwischen Geburtenkontrolle und Abtreibung ist willkürlich. Der Gesetzgeber behauptet zu wissen, ab welchem Punkt Leben beginnt. In Paragraf 218 steht, der Schutz des ungeborenen Lebens habe Vorrang und es wird von einer zumutbaren Opfergrenze der Frau gesprochen. Welche zumutbare Opfergrenze? Ein Kind groß zu ziehen, dass weder die Frau noch ihr Partner will? Für das dieser Staat aber auch nicht zahlen will? Was genau bedeutet das? In dem Moment also, wo sich jener Zellhaufen in der Gebärmutter einnistet, gehört die Gebärmutter nicht mehr der Frau, sondern dem Staat. Das Strafrecht regelt, was ab jetzt geschieht. Sie muss das Kind entweder bekommen, mit all den Konsequenzen für ihr Leben, die dazu gehören, oder aber, wenn sie es abtreiben möchte, sich strafbar machen. Denn eine Abtreibung ist strafbar. Sie bleibt nur straffrei, wenn sie zu einem der Beratungsgespräche geht. Dieses Gespräch hat nicht den Zweck, ihr zu helfen, sondern, und so steht es im Gesetzestext, das ungeborene Leben zu schützen und „eine Fortsetzung der Schwangerschaft“ zu erreichen, also der Schwangeren alle Möglichkeiten aufzuzeigen, die sie hat, um das Kind doch noch zu bekommen. Dann müssen drei weitere Tage vergehen, bis sie abtreiben darf. Drei Tage, die eine emotionale Achterbahn bedeuten können. Um abzutreiben hat die Frau drei Monate Zeit. Danach ist es auf legalem Weg nur noch möglich, wenn das Kind behindert zur Welt zu kommen droht oder Gefahr für ihre Gesundheit besteht. Eine Schwangerschaft bemerkt aber nicht jede Frau sofort. Meistens irgendwann so zwischen der 06. und 10. Woche. Dann bleiben auf einmal nur noch zwei Wochen für diese Entscheidung und dann schließt sich das Fenster für die Abtreibung bereits wieder. Und dann?
Die Pille danach und der Stellvertreterstreit um die Gebärmutter
Ähnliches gilt für die Pille danach. Erst im Mai scheiterte ein erneuter Versuch, die Pille danach auch in Deutschland endlich rezeptfrei zu machen, so wie fast überall sonst in Europa auch. Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU erklärte dazu, die Tabletten seien eben keine Smarties. Die Pille danach verhindert, dass sich eine befruchtete Eizelle in der Gebärmutter einnistet. Also doch eigentlich genau das, was laut Gesetzgeber und Kirche so unproblematisch ist. Anscheinend aber wohl doch nicht, die Pille danach gibt es in Deutschland weiter nur auf Rezept, und das obwohl die WHO, also die Weltgesundheitsorganisation die Rezeptfreiheit empfiehlt, um ungewollte Schwangerschaften zu verhindern. Was genau wird dabei eigentlich befürchtet? Dass Frauen einfach in die Apotheke gehen und selbst bestimmen, dass sie jetzt doch lieber nicht schwanger sein möchten? Verantwortung für Verhütungspannen übernehmen? Dass sie sich dem erniedrigenden Prozedere eines Arzt- oder Krankenhausbesuchs entziehen? Das ganze Gerede von den Nebenwirkungen ist hinfällig, wenn man betrachtet, dass es Schlaftabletten und Schmerzmittel ohne Rezept gibt und wir in einem Land mit einer halben Millionen Medikamentenabhängigen leben. Hier geht es nicht darum, Frauen vor Nebenwirkungen zu schützen. Hier geht es um die Kontrolle über die Gebärmutter.
Zeit für einen neuen Protest
Der US-Bundesstaat Wisconsin hat gerade versucht, ein Gesetz durchzubringen, bei dem sich eine Frau, bevor sie abtreibt, die Herztöne des Fötus anhören muss, um ihre Entscheidung zu beeinflussen. Die Marathon-Rede von Wendy Davis in Texas war ein Erfolg, aber sie ändert nichts daran, dass in Amerika die Abtreibungsgegner gerade wieder Boden unter den Füßen gewinnen, und auch in Deutschland setzt sich nur die Linkspartei in ihrem Wahlprogramm dafür ein, dass sowohl der § 219 mit seiner Beratungspflicht als auch der § 218, der Abtreibungen nach wie vor strafbar macht, abgeschafft werden.
Länder wie Kanada, in denen Abtreibungen bereits seit 1988 straffrei sind, zeigen, dass die Abtreibungszahlen sogar rückläufig sind. Zu behaupten, dass Frauen, sobald sie selbst über Abtreibungen oder den Zugang zur Pille danach bestimmen könnten, verantwortungslos damit umgingen, ist diskriminierend und abwertend und zeigt einmal mehr, wie sehr patriachales Denken die öffentliche Meinung im Umgang mit Abtreibung bestimmt. Es ist eine Tatsache, dass der Kampf um die Gebärmutter noch nicht ausgefochten ist, im Gegenteil er gewinnt gerade wieder eine neue Dynamik. Pro-Leben-Demonstrationen haben auch in Deutschland Zulauf und pflastern das Internet voll mit ihrer Propaganda. Die Fundamentalisten sind auf dem Vormarsch und es ist an der Zeit, sich dessen bewusst zu werden und dagegen zu protestieren, das Recht auf den eigenen Körper, den eigenen Bauch einzufordern.
Es gibt keine Freiheit für Frauen, so lange sie selbst im Jahr 2013 noch nicht über die Vorgänge in ihren eigenen Körpern bestimmen können.
[Übernahme von: Die Freiheitsliebe]