Der Staat als Beute

Der Staat als Beute
Der Blick in den Blumentopf, er kann zum Alptraum werden. Eben noch war die Welt in Ordnung, ein paar Blätter am Benjaminus Ficus nur leuchteten in einem traurigen Gelb. Die Jahreszeit, natürlich. Das geht schon wieder weg. Nichts Beunruhigendes. Blattgold!
Dann aber eben dieser Blick in den Topf, dessen oberste Erdschicht kalkig wirkt. Alte Erde, deutscher Mutterboden. Mittendrin eine Bewegung, kaum zu erahnen. Der Kopf sinkt tiefer, das Auge fokussiert. Wo eine Bewegung ist, ist bald noch eine. Die Laus, im ersten Moment für ein Täuschung und im zweiten für das Einzelkind eines längst verstorbenen Lauspaares gehalten, wird zu zwei, drei, vielen Läusen. Ein Gewimmel, je näher, desto mehr. Der Blumentopf ist in fremder Hand, das Land erobert von Feinden, die Blattpflanze bedroht.
Man hat es nur immer nicht wahrhaben wollen, dass es im richtigen Leben läuft wie in der Zimmerbotanik. Ein paar Blätter leuchten nicht mehr so richtig grün. Ein paar Zweiglein wirken verkümmert. Die Kanzlerin besetzt den Posten des Bundesbank-Chefs im Alleingang, ein 13-Jähriger entwirft die Kompromisslinien für die Hartz-4-Regelung, Ministerpräsidenten setzen ihre Nachfolger auf dem Weg der Thronfolge ein. Nichts, was ein paar zünftige Wahlen mit hoher Beteiligung nicht wieder hinbiegen könnten!
Holger Hövelmann, ein früherer NVA-Offiziersschüler, der in Sachsen-Anhalt seit Jahren als Innenminister sein Geld verdient, indem er vor der verheerenden Wirkung von Rockmusik auf junge Seelen warnt, würde als Erster zustimmen. Dabei hat der SPD-Mann gerade ein schönes Beispiel dafür geliefert, wie sehr die Generation der visionslos angetretenen Erbverwalter der deutschen Demokratie den Staat, der ihnen in den Schoß gefallen ist, als ihren eigenen betrachten. Und ihre eigenen Interessen also als die Interessen des Staates verstehen.
Hövelmann hat nur einem Parteifreund einen Gefallen getan. Nachdem eine Magdeburger Theaterintendantin gegen Polizisten mit fremdenfeindlichen Bemerkungen ausfällig geworden war, forderte deren Vorgesetzter, der Magdeburger Oberbürgermeister Lutz Trümper, von seinem SPD-Genossen Hövelmann die Ermittlungsakten an. Die der als Innenminister weder haben sollte noch haben darf. Doch Hövelmann hat. Und er gibt: Nicht nur Auskünfte, sondern gleich die ganze Akte. An den Arbeitgeber der mutmaßlichen Täterin.
Für Hövelmann, an der Offiziershochschule der Landstreitkräfte der NVA in Zittau zum Diplompolitikwissenschaftler ausgebildet, ein ganz normaler Fall von Amtshilfe, der nichts mit der gemeinsamen Parteizugehörigkeit zu tun hat. Jeder, der bei ihm nach staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten frage, bekomme die entsprechenden Ordner nach Hause geschickt, versichert der 43-Jährige. "Sie müssen nur formlos einen Antrag schreiben, dann kopieren wir alles, was wir haben."
Ein Übermittlungsfehler. Hövelmanns Routineüberprüfung einer Tatverdächtigen, weil die bei einem Kumpel beschäftigt ist, ist eine Ausnahme. Aber eben eine, die viel über das Staatsverständnis der Beteiligten erzählt: Recht und Gesetz sind, nur 21 Jahre nach dem Mauerfall, schon wieder dazu da, zur Durchsetzung der Interessen einer kleinen Gruppe von Politikern benutzt zu werden, die sich der gesellschaftlichen Kontrolle längst entzogen haben.
Im Blumentopf wimmelt es nur so vor lauter lustigem Leben: Der Kultusminister besetzt den Führungsposten der Landeskulturstiftung mit einer Vertrauten, als wäre er ein Landgraf und habe das Stiftungsvermögen aus dem eigenen Erbe abgezweigt. Der Staatssekretär übt sich im Versuch, sich selbst einen Bürgermeisterposten zuzuschanzen, scheitert und kehrt unwidersprochen ins Ministerium zurück. Der Finanzminister verspricht der größten Stadt im Land ein Stadion, koste es, was es wolle. Und als sich herausstellt, dass es zuviel kosten wird, weist er an, dass dennoch gebaut werden soll - im Einverständnis mit dem .Innenstaatssekretär, der festlegt, dass Recht zu sein hat, was die Politik für Recht erkennen will. Schließlich hat Parteigenosse Lutz Trümper, der Bürgermeister, der von Hövelmann Strafakten anfordern kann, in seiner Stadt auch ein Stadion gebaut, das viel zu teuer wurde. Regiert wird nur noch in Symbolen, wenn es herausgeht zum Kampf gegen Battke, den Staatsfeind Nummer ein, für den zu werben sich alle Spitzenkräfte der Parteien bei jeder Gelegenheit eifrig bereitfinden.
Leider spielt die Justiz nicht immer mit, wenn Posten verschachert und Pfründe verteilt werden. Schön miteinander ausgemacht hatten SPD und CDU, dass der bei den letzten Europawahlen gescheiterte SPD-Verkehrsexperte Ulrich Stockmann mit der Stelle als Stasi-Unterlagenbeauftragter abgefunden wird. Dann aber klagte ein Konkurrent, seitdem kommt das Land ohne Stasi-Chef aus. Bis man sich auf eine neue Abmachung geeinigt hat, tief unten im Blumentopf, wo der Staat Beute ist.
In den Eingeweiden der Arbeiterpartei: Wann wir streiten Seit an Seit
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