Der Seon Ashram – Ein Vorbild für jede Gesellschaft

Von Morindian

Es war etwa halb vier am Nachmittag, da wurden mein Kollege Franz und ich von unserer Chefin, also der Leiterin des Waisenheims, der Jakin Mam, gefragt, ob wir nicht Lust hätten den Seon Ashram zu besuchen. Natürlich hatten wir Lust! Den Plan sich den Seon Ashram, das Mutterprojekt der Little-Flower-School anzuschauen und mehr über die Hintergründe und die Geschichte unserer täglichen Arbeit zu erfahren, hatten wir schon lange auf unsere ungeschriebene To-Do-List gesetzt. Dieser Plan sollte nun ganz schnell und vor allem für uns überraschend spontan in die Tat umgesetzt werden. Wir hatten ungefähr 15 Minuten Zeit, um unseren Rucksack für drei Nächte Ashram fertig zu packen und dann fuhren wir los.


In der Abulance auf dem Weg zum Ashram



Doch was ist der Seon Ashram eigentlich?!Für gewöhnlich versteht man unter einem „Ashram“ in Indien eher eine spirituelle, meist hinduistische Einrichtung, in der man zum Beispiel meditiert. Dieses Bild eines „Ashrams“ müssen wir ablegen, wenn wir vom „Seon Ashram“ sprechen. In erster Linie ist diese Einrichtung nämlich ein „Psychiatric Hospital“, also eine besondere Art von Krankenhaus. Doch wie gesagt nur in erster Linie. Auf dem Eingangsschild des Ashrams steht eine ganze Liste von Aufgaben, die den Ärmsten der Armen und Kranken zu Gute kommen.
  • Psychiatric Hospital
  • General Hospital
  • Mentally Retarded Home
  • Handicapped Home
  • Old Age Home
  • Destitutes Cottage
  • Self Help Group


Die Art der Patienten der Einrichtung sind sehr vielfältig und haben alle ihre eigene Geschichte: Es gibt behinderte Kinder, die von ihren Eltern ausgesetzt wurden, alte Menschen, die ohne Familie vereinsamt sind und sich aus der Not aus Mülltonnen ernähren mussten und so auf der Straße landeten. Manche behinderte Frauen wurden verstoßen, vergewaltigt und schwanger in den Ashram gebracht. Die meisten der Patienten leiden unter einer leichten oder oft schweren Behinderung physischer und / oder mentaler Art. Schizophrenie kommt daher bei vielen Patienten vor. Sie haben starke Stimmungsschwankungen binnen Minuten. Vor allem in den ländlichen, wenig entwickelten Gegenden sind diese Krankheiten Teil eines Aberglaubens. Die Familien der Erkrankten haben Angst, dass diese vom Teufel und Dämonen besessen sind. Der Ruf der Familie leidet in den indischen Dorfgesellschaften stark darunter. Ein für uns nur sehr schwer nachvollziehbarer aber gravierender Aspekt ist, dass durch ein behindertes Kind in der Familie der Heiratswert der gesunden Kinder sinkt. Die Tatsache, dass das Heiraten unter 30 Jahren in Indien zum ungeschriebenen Gesetz gehört, erhöht in den Familien den Druck, sodass der Verstoß von kranken Kindern und auch Jugendlichen keine Seltenheit ist. Damit lösen sich die Familien gleichzeitig auch von der finanziellen Last, die die wenigsten tragen könnten.

Der Seon Ashram gibt den behinderten, verwahrlosten, alten und kranken Menschen wieder ein menschenwürdiges Leben zurück. Drei warme Mahlzeiten am Tag, soziale Kontakte, Gemeinschaftsaktivitäten und eine medizinische Betreuung wären ohne diese Einrichtung wohl keinem der Patienten gewährt.
Die Einrichtung wurde von Mr. U.C. Poulose, einer wirklich extrem freundlichen Persönlichkeit gegründet. Für sein soziales Engagement in der indischen Gesellschaft hat er schon einige Auszeichnungen von verschiedensten Gremien erhalten. Die Fotos der Ehrungen schmücken als Erinnerung die vier Wände seines Wohnzimmers. In diesem Raum hatte vor zwölf Jahren einmal alles angefangen. Mr. Poulose, der großes Mitleid mit den vereinsamten Armen und Behinderten auf den Straßen und Slums Indiens empfand, entschloss sich dagegen etwas zu unternehmen. Nach einem Schlüsselerlebnis mit einem verwahrlosten Bettler entschied er sich Menschen, die sonst kein Gehör in der Gesellschaft finden und zum Teil wie Abschaum behandelt werden, bei sich zu Hause aufzunehmen und sie zu versorgen. Schnell wurde es voll und viel zu eng bei den Pouloses. Wie die bereits erwachsenen Töchter des Gründers, Shiny und Somya berichten, teilte sich die sechsköpfige Familie damals ein kleines Zimmer und schlief wie die Ölsardinen dicht an dicht gedrängt. Daraufhin wurde mit Spendengeldern ein heute vier-geschössiges Gebäude gebaut. Dieses Gebäude fungiert nun als Krankenhaus, Heim und neues Zuhause für die heute etwa 150 Patienten.Männer und Frauen sind jeweils in einer eigenen Etage untergebracht. In großen Räumen stehen dutzende Betten. Die Patienten haben nicht viel Eigentum.
Das, was sie besitzen, lagert in blauen Säcken unter ihren Betten. Leichtbehinderte Patienten betreuen wie in einem Patenschaftssystem die psychisch und physisch stark Eingeschränkten. Natürlich ist das keine optimale Lösung für die Patienten, aber sie funktioniert und spart vor allem Kosten. Aus finanzieller Hinsicht ist der Seon Ashram nämlich eine Meisterleistung. Ohne irgendein Kapital und jegliche Unterstützung vom Staat wurden das soziale Projekt allein durch Spenden und Leihgaben begonnen. Kein einfaches Unterfangen.
Im Laufe der Zeit sind durch U.C. Pauloses Engagement und durch seine einzigartige Weise auf Menschen zuzugehen immer mehr Spender dazu gekommen. Dadurch konnte der Seon Ashram im wahrsten Sinne des Wortes „aufstocken“ und mehr Möglichkeiten für die Patienten bieten. Aufgrund erneuten Platzmangels und zu gering gewordener Kapazitäten wurde ein neuer Bau in Angriff genommen. Dieser musste jedoch auf Grund der Finanzkrise 2008/09 auf Eis gelegt werden. Viele der potentiellen Spender, vor allem aus der Arabischen Welt sind weg gefallen. Nun gilt es die täglichen Kosten zu decken und erst einmal dafür Spender zu finden.

Das, was der Seon Ashram in der indischen Gesellschaft leistet, mag im Anbetracht des Elends der Welt, wie ein Tropfen auf den heißen Stein aussehen. In Wahrheit ist er jedoch ein Vorbild für jede Gesellschaft. U. C. Paulose und der Seon Ashram zeigen, wie höchstes soziales Engagement und respektvoller Umgang mit allen Mitglieder unserer Lebensgemeinschaft wirken kann.

Franz und ich mit den Töchtern von Paulose - Shiny (links) und Sowmya (rechts)


Auf der Internetseite des Seon Ashram erfahrt ihr noch mehr über diese wunderbare Einrichtung. Auch gibt es dort die Möglichkeit Spenden zu überweisen, denn ohne die, würde es den Seon Ashram heute nicht geben.
     

Bastel- und Handwerksraum

 

Storageroom (Gemüse-Lager)

Tierischen Mitbewohner

 

Franz und ich mit den Ashram-Volontären Aaron und Rebecca

U. C. Paulose kleines Haus zwischen den beiden Ashram-Bauten