Der Sender gibt es und der Sender nimmt es

Von Robertodelapuente @adsinistram

Vor einigen Tagen half RTL wieder Kindern in Not. Spendenmarathon nennt sich das alljährliche Erflehen einiger Euro zur Verbesserung der Welt. Vielen Kindern in Deutschland und der ganzen Welt soll nun mit 8,8 Millionen Euro nachhaltig geholfen werden können. Es ist schon erstaunlich, wie dieser Sender von Bertelsmanns Gnaden erst nimmt, um dann als engagierter Geber moralisch punkten zu können.
Sind denn nicht auch stets Kinder Opfer des üblichen durchboulevardisierten Programms, das RTL rund um die Uhr so bietet? Dieser Sender war und ist wie kein anderer daran beteiligt, das Narrativ des faulen Sozialschmarotzers zu begründen. Er war der Broadcast-Flügel einer Kampagne, die alle Medien erfasste. Was Springer-Gazetten im Print-Sektor betrieben, bannte RTL vor die Kamera. Noch heute ist das so. Der Sender zeigt in einem wahnwitzigen Hype an Doku-Konzepten, wie sich das Leben in Hartz IV-Familien gestaltet. Um zu wenig Geld oder soziale Ausgrenzung geht es dabei nie - dafür um die Drückebergerei, um Blödheit und Unfähigkeit. Der Ableger RTL II führt indessen Familien aus der Unterschicht vor, die ihre Mütter tauschen. Dabei zeigt man dem Zuseher ein Leben im Dreck und arbeitsfreier Sorglosigkeit. Und bis vor einem Jahr schickte man beispielsweise Familien aus unteren Schichten eine Erziehungshilfe und zeigte hippelige, fettige und rotzfreche Kinder am Rande oder im Zentrum einer Bedarfsgemeinschaft. Immer sind da also auch Kinder im Spiel.

RTL trägt dafür Sorge, dass eine allgemeine Stimmung gegen arme Familien und deren Kinder entsteht, in denen Kinder und Jugendliche aus dieser Schicht wie Taugenichtse und Schwerenöter gezeichnet werden. RTL macht, dass nach wie vor Konsens einer breiten Allgemeinheit ist: Die Hartz-Schicht sei immer noch zu kostenintensiv, lernresistent und zudem auch noch zu anspruchsvoll. Opfer sind hierbei nicht nur erwachsene Leistungsberechtigte, sondern Kinder aus Bedarfsgemeinschaften. Sie wirken im Programm von RTL deplatziert, wie Wesen, die es besser nicht geben sollte; wie Ballastexistenzen, die bei aller Widerlichkeit und Frechheit von der Allgemeinheit durchgefüttert werden müssen. Man kann freilich nicht behaupten, dass RTL die sozialen Benachteiligungen von Kindern aus Familien in Armut begründet hat - aber der Sender hat seinen Teil dazu beigetragen, dieses ohnehin beliebte Narrativ zu verfestigen. Er hat daran mitgewirkt, jegliche Armutsdebatte schon im Keim zu ersticken, weil man immer plötzlich verdreckte und patzige kleine Scheißer vor seinem geistigen Auge hat, denen man nur widerwillig Unterstützung angedeihen lassen würde.
Nun aber bietet RTL Unterstützung für genau diese infantile Klientel. Der Sender nimmt und der Sender gibt. Das ist schier göttliche Anmaßung. Erst nahm man Würde, nahm man sich heraus, die wirklichen Sorgen der Armut zum lustigen Boulevard und Bashing zu machen - und nun gibt man einige müde Euro, die man sich bei den Zuschauern erbettelt hat, gibt man seinen Obolus wie eine Ablasszahlung, als ob man bei den armen Kindern, die vorher ein witziger und stimmungsmachender Inhalt des Programmes war, Abbitte leisten wollte. Erst nahm man den Kindern ohne deren Wissen jegliche gesellschaftliche Reputation, machte sie zu rotznasigen Unkostenfaktoren und Produkten einer angeblich sexuell enthemmten Unterschicht und jetzt gibt man etwas zur Linderung jener sozialen Missstände, an denen man fleißig mitboulevardisiert hat.
Überhaupt scheint das RTL-Hilfsfernsehen größtenteils auf der Prämisse Erst nehmen, dann geben! zu gründen. Aktuell wird Mobbingopfern geholfen. Das sind näher betrachtet Opfer eines enthemmten Geschwätzes, wie es in Bouelvardkonzepten des Senders Dauerthema ist. Da wurde unlängst ein schwuler Schüler unterstützt, weil er in der Schule aufgrund seiner Homosexualität gemobbt wurde. Aber schimmert aus dem Privatleben eines Schauspielers hervor, dass er vielleicht, unter Umständen und mit ganz viel Phantasie schwul sein könnte, dann bauscht man das zum ganz großen Thema auf, schwätzt darüber, fragt Society-Quatschköpfe und macht einen endlosen Rabatz darum. Natürlich, gemobbt wurde auch schon vor RTL, auch ohne diesen Sender hätte der schwule Schüler wahrscheinlich gelitten. Aber dass man sich über Belanglosigkeiten heute das Maul zerreißt, ist schon auch eine Folge von der Penetranz, mit der RTL seit Jahren von Nichtigkeiten berichtet, als seien es weltbewegende News.
Hin und wieder schickt man dann eine Anwältin in Hartz IV-Familien, die deren Rechte vertreten soll. Die Anwältin soll angeblich gar keine sein, liest man in einschlägigen Internetangeboten - dafür war sie vormals bei einem anderen Sender Sozialfahnderin und lief Sozialschmarotzern nach. Jetzt darf sie bei RTL Hilfsdienste anbieten. Sie soll die medial erzeugte Pogromstimmung, die in Jobcentern dazu führt, es mit Rechtsansprüchen nicht zu genau zu nehmen - schließlich haben Schmarotzer keine gesellschaftliche Lobby! -, quotenwirksam ausbaden. Bei RTL fragt man sich dann oft, wie es hat so weit kommen können, wieso wollte man Leistungsberechtigte prellen? Dass die jeweiligen Sachbearbeiter ihre emotionale Intelligenz möglicherweise bei RTL geschult bzw. entsorgt haben, dass sie sich dort angesehen haben, wie die Kundschaft, die sonst in ihrem Büro hockt, zuhause in Unrat, Untätigkeit und Ausschweifung lebt, ist als Antwort allerdings bislang noch nie genannt worden.