Der Schokoladenspieß
Erstellt am 20. September 2013 von Lanasilny
Nachdem mein Autorenhirn für einige Wochen fast heiß gelaufen ist, weil ich unbedingt eine Geschichte für die Weihnachtsanthologie der eWriters herbeizaubern wollte, brannte sich das Thema Weihnachten wohl ziemlich stark in mein Unterbewusstsein ein. Die Tage fiel mir nämlich eine ganz besondere „weihnachtliche“ Geschichte ein. Dafür muss ich mal wieder ein wenig ausholen … Wie immer …
Wie die meisten Autoren habe ich neben der Schriftstellerei noch einen anderen Beruf – sozusagen meinen Brötchenberuf. Eine solide Beschäftigung, die dafür sorgt, dass weder die Wohnung noch die Küche kalt bleiben, ich überhaupt ein Dach über dem Kopf besitze und ich genauso wenig am Hungertuch nagen muss. In meinem Hauptberuf bin ich als Drehstuhlpilotin in einem Krawattenbunker tätig - ich bin kaufmännische Angestellte im Verwaltungsgebäude eines Unternehmens. Warum ich das aber hier überhaupt erwähne, wird wohl während meiner Geschichte klar. Ich liebe Weihnachtsmärkte. Vor allem am Abend. Das einzige Problem, das ich mit den Weihnachtsmärkten habe, besteht darin, dass sie zwangsläufig immer in der Vorweihnachtszeit stattfinden, was zugleich die arbeitsintensivste Zeit in meinem Brötchenberuf ist. Meistens schaffe ich es nicht, vor 19:00 aus dem Büro zu kommen. Dies hat zur Folge, dass mir die lange Arbeitszeit regelmäßig die Möglichkeit nimmt, über den Weihnachtsmarkt unserer Stadt zu schlendern. Die Alternative, dies am Wochenende zu tun, habe ich längst ad acta gelegt, da wohl 99% der Bevölkerung meines Wohnortes jährlich von dem gleichen Geistesblitz heimgesucht wurden. Mal abgesehen von dem Senf, der Zuckerwatte und sonstigen Speisen, die sich plötzlich an der eigenen Winterjacke befinden, obwohl man nichts davon zu sich nahm, hat der wochenendliche Weihnachtsmarktbesuch noch einen ganz anderen Nachteil. Die schmalen Gänge zwischen den Ständen sind so voll, dass man sich glücklich schätzen kann, wenn man dort vor Silvester überhaupt wieder herauskommt. Von dem Wunsch, auch nur einen kleinen Blick auf irgendeinen der Stände zu erhaschen, wollen wir erst gar nicht reden. Und dennoch, vor ein paar Jahren gelang es mir tatsächlich einmal, mich an einem Abend spontan mit einer Freundin dort zu verabreden. Gesagt, getan – Frau Silny stand gegen 18:00 Uhr am abgesprochenen Treffpunkt und freute sich wie ein kleines Kind auf ihre Freundin. Ich konnte es gar nicht mehr abwarten und obwohl meine Messlatte ziemlich hoch hing, wurde es ein toller Abend! Einfach alles passte. Wir Damen schlenderten durch die Gänge, kauften das eine oder das andere Teil ein und futterten uns durch die Essensstände. Nachdem wir unsere hungrigen Bäuche besänftigt und uns jeder zwei Kinderpuntsch gegönnt hatten – man musste ja schließlich noch nach Hause fahren – kamen wir kurz vor dem Parkhaus an einem Süßigkeitenstand vorbei. Und was sah ich da? Schokobananen! Binnen weniger Sekunden spielten sich die schönsten weihnachtlichen Kindheitserinnerungen vor meinem geistigen Auge ab und obwohl ich pappsatt war und dank dem Kindergesöff nichts annährend Süßes mehr sehen konnte, war eine Sache sicher: Die Schokobanane musste mit! Ohne diesen Nachtisch würde ich mich nicht einmal einen Milimeter in Richtung Auto bewegen! Ich ließ sie mir einpacken und fuhr selig nach Hause. Dass ich die Schokobanane an dem Tag nicht mehr essen würde, war mir bereits beim Kauf klar, aber was solls – es gab ja Kühlschränke. Am nächsten Morgen, gerade als ich mich auf ins Büro machen wollte, öffnete ich die Kühlschranktüre, um mir ein Joghurt und etwas Obst als Frühstück mitzunehmen. Da fiel mir die Errungenschaft des letzten Abends ins Auge. Mein Herz hüpfte höher. Joghurt und Obst? Wer brauchte denn sowas? Kurzerhand machte ich mich über meine Schokobanane her. Gesundes Frühstück? Das wurde doch sowieso völlig überbewertet. Verspätet, aber glücklich, schnappte ich mir meine Handtasche und meinen Laptop und machte mich auf den Weg in die Arbeit. Als ich auf dem Parkplatz ankam, traf ich meinen Kollegen Stefan. Stefan, der ungefähr in meinem Alter war und einen Stock über mir arbeitete, hatte immer ein Smalltalkthema parat, über das man sich die paar Minuten bis zum Büro prima unterhalten konnte. So auch an besagtem Tag. Wir gingen zusammen über den Parkplatz, überquerten die Straße, betraten schnatternd das Firmengebäude und fuhren mit dem Aufzug in Richtung unserer Büros. Ich denke, es ist unnötig zu erwähnen, dass Stefan zum einen – ganz gentlemanlike – einer Frau bei der Unterhaltung immer in die Augen schaute und ihr zum anderen jede Tür öffnete. Wir quatschen noch ein wenig, wünschten uns gegenseitig einen schönen Tag und machten uns dann auf in unsere Büros.Ich schloss meine Tür auf, öffnete den Garderobenschrank und hing meinen Mantel auf. Dann rückte ich im Spiegel, der sich auf der Innenseite der Garderobentür befand, meine Anzugsjacke zurecht. Perfekt ! Der Arbeitstag konnte beginnen. Wirklich perfekt? Irritiert schaute ich erneut in den Spiegel und was ich da sah, ließ mir das Blut in meine Adern gefrieren. Ich konnte es nicht glauben. Das schnelle Verputzen meiner Schokobanane hatte offensichtlich seine Spuren hinterlassen. Ich blinzelte ein paar Mal, doch dieser klägliche Versuch verwischte leider das böse Bild der Realität kein bisschen. An beiden Mundwinkeln in Richtung Ohr befand sich sich je ein langer, schokoladener Strich. Ich sah aus wie die kleine Schwester von Joker. Mit dem Unterschied, dass ich Batman eigentlich ziemlich gut leiden konnte. Nun wurde mir auf einmal heiß. Von gefrorenem Blut konnte nicht mehr Rede sein. Sofort dachte ich an Stefan, der sich die letzten zehn Minuten locker, flockig mit mir unterhalten und mir ständig ins Gesicht geschaut hatte. Nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde hatte er an meinem Mundwinkel verweilt! Die Hoffnung, dass er die Schokoladenspuren nicht gesehen hatte, brauchte ich gar nicht erst in mir aufkeimen zu lassen. Die Hinterlassenschaften waren so deutlich, dass Stefan so gut wie blind hätte sein müssen, um das nicht zu sehen. Und nein, diese Chance bestand leider nicht. Stefan arbeitete mit ausgedruckten Excelfiles, deren Inhalt teilweise so klein war, dass man Augen dafür benötigte, die denen eines Adlers in nichts nachstanden.Mit hochrotem Kopf ging ich an die Arbeit, wobei ich weitaus lieber im Erdboden versunken wäre, wenn ich die Wahl gehabt hätte. Ich schaffte es doch immer wieder - ich hatte mich völlig blamiert. An diesem Tag glitten meine Gedanken noch unzählige Male zu Stefan in den fünften Stock und wann immer dies geschah, war ich kurz davor, ihn anzurufen. Selbstverständlich tat ich es nie. Was hätte ich denn auch sagen sollen? Stefan arbeitet übrigens nicht mehr bei uns. Ich denke aber nicht, dass das etwas mit meinem Jokergesicht zu tun hatte. Und dennoch, bis heute beeindruckt mich ernsthaft, dass dieser Mann sich nichts anmerken ließ. Kein bisschen. Nicht einmal ein kleines Zucken, geschweige denn ein Grinsen. Und das, obwohl er meine exotische Gesichtsmalerei direkt vor sich hatte. Auch wenn ich wenn ich einen dezenten Hinweis bevorzugt hätte.Lana Silny PS: Seit diesem einschneidenden Erlebnis weise ich selbst nun immer mein Gegenüber dezent auf ein unbemerktes Missgeschick hin. Sei es nun der Chef mit einem Kugelschreiberstrich auf der Stirn oder der Verkäufer, dessen Hosenstall offensteht. Wie gesagt, dezent - aber ohne Rücksicht auf Verluste ...