Der Schlaflose: Uberman, Everyman und „The Art of Mittagsschlaf“

Von Sebastian Kuehn

Ist der 8-Stunden-Schlaf einer von vielen Mythen, denen wir so unbewusst folgen? Was passiert, wenn wir die Nachtruhe über den Tag verteilen? Als Uberman habe ich alle 4 Stunden für 20 Minuten geschlafen. Dabei hat sich zum wiederholten Male ein Bereich meines Lebens auf den Kopf gestellt.

„Vier Stunden schläft der Mann, fünf die Frau, sechs ein Idiot" - Napoleon

Durchschnittlich schläft der Mensch sechs bis acht Stunden am Tag. Je nach Kulturkreis und Land gibt es verschiedene Überzeugungen. In Deutschland haben die meisten von uns ein monophasisches Schlafmuster oder die sogenannte 8-Stunden-Kultur.

Das war nicht immer so. Aufzeichnungen und Studien lassen erkennen, dass unsere Vorfahren zwei Schlafphasen hatte. Nach gut vier Stunden wachten sie von alleine auf und blieben für eine Weile wach, bevor sie für wieder eingeschlafen sind.

Erst mit der industriellen Revolution und dem Einzug der Glühbirnen in die Haushalte wurde dieser Rhythmus durch den monophasischen Schlaf ersetzt. Babys und Kleinkinder haben immer noch ein natürliches polyphasisches Schlafmuster, was spätestens mit dem Eintritt in die Schule abtrainiert wird.

Heute verändert sich unser Schlaf wieder durch die ständige Erreichbarkeit, die abnehmende Bedeutung des Wochenendes und dem Internet. Das blaue Licht, dem wir durch unsere Bildschirme, ständig ausgesetzt sind, bringt die Hormone genauso durcheinander wie Kaffee, Schlaftabletten und Schichtarbeit.

Ist der 8-Stunden-Schlaf wirklich ein körperliches Grundbedürfnis oder soziale Konditionierung? Kann es sein, dass der monophasische Schlaf zwar eine weitverbreitete, aber nicht die beste Wahl ist? Sind nicht auch die gängigen Diäten weit entfernt von der optimalen Ernährung? Genau das wollte ich im Rahmen der Lifestyle X Experimente herausfinden.

Die Schlafrhythmen: Monophasisch bis Uberman

Gehen wir davon aus, dass du jede Nacht zum Einschlafen, für Toilettenbesuche und den wenig erholsamen Leichtschlaf jeweils zwei Stunden benötigst. Jetzt stelle dir vor, du kannst diese zwei Stunden Schlaf pro Tag einsparen. Das wäre ein Monat pro Jahr. Hochgerechnet auf 60 Jahre gewinnst du ganze fünf Jahre Lebenszeit.

Was wäre, wenn vier Stunden Schlaf für deine Regeneration ausreichen? Du würdest alle sechs Jahre ein zusätzliches Jahr an Wachzeit haben. Verrückte Vorstellung, oder?

Den Schlaf von acht auf sagen wir vier Stunden zu reduzieren, klingt erstmal absolut unsinnig. Wir brauchen ihn schließlich zur Erholung. Aber was ist mit Leuten, die einen Monat lang fasten? Sie gehen von drei Mahlzeiten am Tag zu einer spärlichen Diät über. Die positiven Auswirkungen auf den Körper sind bei richtiger Anwendung bekannt. Kann es sein, dass es mit dem Schlaffasten ähnlich ist?

Ist die allgemeine Ablehnung zur Schlafreduzierung wirklich Bedenken gegenüber der Gesundheit geschuldet oder fühlen wir uns in tiefsitzenden Glaubenssätzen angegriffen? Auch hier können wir Parallelen zur Diskussion um Veganismus oder Fasten ziehen.

Berühmte Persönlichkeiten sind oder waren Anhänger des polyphasischen Schlafs. Napoleon, Edison, Clinton und Reagan sind einige Beispiele. Leonardo da Vinci soll in seinen Hochphasen alle vier Stunden 15 Minuten geschlafen haben. Der Fußballprofi Ronaldo schläft 5 x 90 Minuten über den Tag verteilt.

Nach dem monophasischen Schlafmuster richten sich die meisten von uns. Wir schlafen sieben bis neun Stunden am Stück und sind 15 - 17 Stunden wach. Neben dem Leistungstief am Mittag hat dieser Rhythmus den Nachteil, dass so langes Liegen für den Körper nicht gut ist.

Das biphasische Schlafmuster kennen wir aus südlichen Ländern. In der „Siesta-Kultur" fällt der Nachtschlaf etwas kürzer aus, dafür wird sich tagsüber nochmal hingelegt. In wärmeren Regionen ist das vor allem sinnvoll, um sich in den heißen Mittagsstunden nicht zu überanstrengen.

Spannend wird es beim polyphasischen Schlafmuster, dass den Nachtschlaf in mehr als zwei Teile aufteilt. Hier gibt es gleichmäßige und ungleichmäßige Ausprägungen:

  • Triphasische Schlafmuster: dreimal täglich wird für je 1,5 Stunden geschlafen, was einem Schlafzyklus entspricht.
  • Everyman: eine 3-stündige Hauptschlafphase und dazu drei 20-minütige Nickerchen über den Tag verteilt. Die gesamte Schlafzeit liegt also bei gut 4 Stunden.
  • Uberman: 6 x 20-minütige Nickerchen werden auf 24 Stunden verteilt. Der Schlüssel für das Funktionieren dieses Schlafmusters ist die Einhaltung fester Zeiten.
  • Dymaxion: Architekt Richard Fuller prägte den Begriff für einen Schlaf, der auf 4 x 20 Minuten aufgeteilt wird. Insgesamt also nur noch 80 Minuten Schlaf pro Tag.

Schichtarbeiter, Trucker und Flugbegleiter bekommen selten acht Stunden Schlaf am Stück. Sportsegler schlafen bei Weltumrundungen nur 2 x 30 Minuten am Tag, und das für eine Dauer von drei Monaten. und kamen angeblich ihr Leben lang ohne Schlaf aus, womit sie nur zwei Beispiele dafür sind, dass es keine einheitliche Konfektionsgröße für die Nachtruhe gibt.

Zu den gesundheitlichen Auswirkungen von polyphasischen Schlafmustern gibt es nur wenige Erkenntnisse. Umso mehr hingegen zu den Konsequenzen von Schlafmangel.

Das Gehirn benötigt die Schlafphasen, um das Kurzzeitgedächtnis zu leeren und damit Platz für neue Informationen zu schaffen. Diese Arbeit findet zwischen der Tiefschlafphase (Non-REM-Schlaf) und der Traumphase, der sogenannten Rapid-Eye-Movement-Phase (REM-Phase), statt.

Wird nun durch Schlafmangel diese Schlafphase nicht erreicht, nimmt die Aufnahmefähigkeit schnell ab. Wahnvorstellungen, ein zitternder Körper, fallende Körpertemperatur und Halluzinationen sind die Folgen, weshalb andauernder Schlafentzug auch als Foltermethode eingesetzt wird.

Der Tagesablauf: Unsere natürliche Uhr

Wo wir über den richtigen Schlafrhythmus noch streiten können, ist uns der Tagesablauf durch die Sonne vorgegeben. Dieser 24-Stunden-Zyklus, auch circadianer Rhythmus genannt, steuert Schlaf- und Essmuster sowie Hormonproduktion, Appetit und Verdauung, Blutdruck, Körpertemperatur, Aufmerksamkeit und mentaler Leistungsfähigkeit. Neben diesem körpereigenen Kreislauf wird Schlaf durch den ständig zunehmenden Schlafdruck reguliert.

Der Hauptauslöser für die innere Uhr ist das Tageslicht. Sobald es dunkel wird, setzt die Zwirbeldrüse Melatonin frei. Dieses Hormon bereitet uns auf den Schlaf vor. Während wir schlafen, produziert der Körper Wachstumshormone, die beschädigte Zellen reparieren, Körperfett reduzieren und das Gehirn aufräumen.

Die Produktion von Melatonin wird durch Tageslicht und künstliches Licht unterdrückt. Da die Photorezeptoren in der Haut genauso Signale an den Kopf senden wie unsere Retina, sollte das Schlafzimmer so dunkel wie möglich sein, um die Produktion von Melatonin zu fördern.

Hier entsteht auch das Problem mit dem blauen Licht von Smartphone, Laptop und Fernseher. Die künstliche Beleuchtung, der wir oft vor dem Schlafengehen ausgesetzt sind, sorgt für die Produktion von Cortisol, Dopamin und anderen Hormonen, die uns in einen Alarmzustand versetzen, den wir am Abend nicht gebrauchen können. Ein guter Grund dafür, die Geräte eine Stunde vor dem Schlafengehen auszulassen.

Am empfänglichsten für Sonnenlicht ist der Körper von 6 bis 8 Uhr am Morgen. Im Schlaf werden zwischen 22 und 2 Uhr die wichtigsten Hormone produziert. Je weiter wir uns von dem natürlichen Zyklus entfernen, desto höher die Qualitätseinbußen bei der Nachtruhe.

Cortisol (Stresshormon) wird mit dem Tageslicht freigesetzt und mit dem Dunkelwerden wieder verringert. Es ist gewissermaßen das Anti-Schlafhormon, welches uns aktiv macht. Der Abbau von Cortisol und die gleichzeitige Ausschüttung von Melatonin am Abend dauert eine Weile, was als Schlafvorbereitung verstanden werden kann.

Müdigkeit sorgt dafür, dass der Körper ein Verlangen nach Schlaf auslöst. Wenn er diesen nicht bekommt, sind seine zweitbeste Alternative schnelle Kalorien, um alle Grundfunktionen aufrechtzuerhalten. Sofortige Energie steckt vor allem in Eiscreme, Schokolade und Keksen.

Bei Schlafentzug übernimmt der emotionale Teil des Gehirns die höheren Funktionen des Frontal Cortex. Leider ist dieses nicht für rationale Entscheidungen bekannt. Die Resultate sind Essattacken und andere Verhaltensweisen, die unser langfristiges Wohlbefinden beeinträchtigen.

Angewohnheiten wie Spätschichten, Technologie und künstliches Licht haben in den letzten Jahrhunderten dazu geführt, dass wir uns von dem natürlichen Tagesablauf entfernen. Das scheint zum ernsthaften Problem für den Körper zu werden.

Bei Schlafentzug stößt der Körper mehr Cortisol aus, wodurch die Insulinproduktion und damit der Blutzucker außer Kontrolle geraten. Kaffee verstärkt die Produktion von Cortisol und Adrenalin noch zusätzlich. Der kurzfristige Energieschub sorgt dafür, dass wir nicht müde werden. Das Gehirn bekommt keine Chance, sich auszuruhen, und schüttet als Reaktion weitere Stresshormone aus.

Ein Teufelskreis, der bei lang anhaltendem Schlafmangel das Risiko für Krebs, Diabetes und Herzkrankheiten erhöht. Wissenschaftler wollen herausgefunden haben, dass Schlaf starke Auswirkungen auf Gewicht, Alterungsprozess, Leistungsfähigkeit und sogar chronische Krankheiten hat.

Der Schlaf: Was nachts passiert

Während eines „normalen" Nachtschlafes wiederholen sich fünf Zyklen, die eine Dauer von jeweils 90 Minuten haben. Die einzelnen Schlafphasen verändern sich dabei mit der Schlafdauer. Am Anfang der Nacht ist der Anteil an Tiefschlaf höher, zum Ende hin nimmt der REM-Schlaf zu.

  • In der Einschlafphase verweilen wir ein paar Minuten zwischen Wach- und Schlafzustand. Wir sind noch völlig bei Bewusstsein, bereiten uns aber auf den Schlaf vor.
  • Die Leichtschlafphase beginnt nach dem Einschlafen. Muskeln entspannen sich, das Gehirn verarbeitet Informationen, wir sind aber immer noch leicht aufzuwecken. Diese Phase macht ungefähr die Hälfte des Schlafes aus.
  • Danach folgt die Tiefschlafphase (Phase 3 und 4), in der der Körper in den Standby-Modus geht. Körpertemperatur und Blutdruck sinken, Atemfrequenz und Herzschlag werden langsamer. Das Gehirn produziert die niederfrequenten Delta Wellen. Es werden zunehmend Wachstumshormone freigegeben, die für die Regeneration des Körpers sorgen. In dieser Phase, die mit Dauer des Schlafes abnimmt, sind wir schwer aufzuwecken. Hier gehen auch Schlafwandler auf ihre Streifzüge.
  • Erst am Ende der des Schlafzyklus folgt die Traumschlafphase oder der REM-Schlaf (Rapid Eye Movement), die ca. 20 % am Gesamtschlaf ausmacht. Wir begeben uns aus dem Tiefschlaf zurück in eine leichtere Schlafphase, bevor wir die Traumwelt erreichen. Das Nervensystem ist sehr aktiv, das Gehirn in einem konstanten Alarmzustand und die Muskeln völlig schlaff. Wir übergeben an unser Unterbewusstsein, wobei sich die Augen unter den Lidern bewegen. Diese Phase soll die Kreativität fördern. Mit zunehmender Schlafdauer nimmt der REM-Anteil zu.

Nach der Traumschlafphase wachen wir kurz auf, woran wir uns in der Regel nicht erinnern können. Dann beginnt der nächste Zyklus, mit weniger Anteilen an Tiefschlaf und mehr REM-Schlaf.

In der Nacht regenerieren Immunsystem, Gewebe, Organe, Muskeln und Knochen. Schlechter Schlaf führt zu schnellerer Alterung (und mehr Falten). Direkte Auswirkungen hat die Schlafqualität auch auf Gehirnfunktionen, Verdauung und den Hormonhaushalt.

Die chemischen Prozesse, die im Wachzustand ablaufen, sind andere als solche in der Nacht. Schlafen wir zu wenig, hat der Körper nicht genug Zeit für seine „Aufräumarbeiten".

Wir haben jeden Tag um die 50.000 Gedanken. Der Kopf ist tagsüber so beschäftigt mit der Aufnahme und Verarbeitung neuer Informationen, dass dabei Nebenprodukte entstehen. Nachts wird Glucose ins Gehirn zurückgeführt und das glymphatische System (Entsorgungssystem für Abfallstoffe) arbeitet auf Hochtouren, um tote Zellen und giftige Rückständen zu entfernen.

Nachts geschieht außerdem etwas, das sich Memory Processing nennt. Erinnerungen und Erlebnisse aus dem Kurzzeitgedächtnis werden in Langzeiterinnerungen umgewandelt. Das passiert vor allem in den REM-Schlafphasen.

Der Uberman: I have a dream

Die wohl bekannteste Ausprägung für polyphasischen Schlaf ist der Uberman, den ich in meinem Experiment ausprobiert habe. Alle vier Stunden wird 20 - 25 Minuten geschlafen. Eine Abweichung von den festen Zeiten von mehr als 15 Minuten resultiert in Schlafmangel. Die Adaptionsphase dauert ungefähr einen Monat, wobei der schlimmste Schlafentzug nach maximal zwei Wochen vorbei sein sollte.

Mein Körper hat sich 35 Jahre lang daran gewöhnt, acht Stunden am Stück zu schlafen. Der gelegentliche All-Nighter hat am Folgetag Spuren hinterlassen. Was der Körper über so lange Zeit gelernt hat, wollte ich ihm in kürzester Zeit abtrainieren.

Das Ziel bei den 20-minütigen Nickerchen ist es, schnellstmöglich in die erholsame REM-Schlafphase zu gelangen, die ich in einer normalen Nacht erst nach ungefähr zwei Stunden erreiche. Sobald das gelingt, stellt sich der Schlafentzug ein. Verglichen werden kann diese Übergangszeit vielleicht mit dem vorübergehenden Hungergefühl beim Umstellen der Diät.

In den ersten Tagen war viel Willenskraft nötig, um mein Gehirn von dem neuen Modus zu überzeugen. Oft lag ich während meiner ersten Nickerchen um 4, 8, 12, 16, 20 und 24 Uhr nur wach auf dem Bett. Das Ergebnis nach drei Tagen war harter Schlafentzug.

Ich hatte Probleme zwischen Wach- und Schlafzustand zu unterscheiden. Der fehlende REM-Schlaf sorgte für einen Zombi-ähnlichen Zustand, der bis zum Ende der ersten Woche andauerte. Dann sah sich mein Körper wohl gezwungen, das beste aus den zwanzig Minuten zu machen. Nach einer Woche habe ich bei einem Nickerchen zum ersten Mal geträumt, was ein Zeichen für REM-Schlaf ist.

Normalerweise kann ich mich nur alle paar Wochen an einen Traum erinnern. In dieser zweiten Woche des Schlafexperiments träumte ich intensiv bei jedem einzelnen Nickerchen. Ich schlief innerhalb von Sekunden ein, fühlte mich nach dem 20-minütigen Schlaf sehr erholt und hatte das Gefühl, für Stunden geträumt zu haben. Oft hörte ich bereits beim Einschlafen real erscheinende Stimmen in meinem Kopf, was schon etwas gruselig war.

Dieses anfängliche Verschwimmen von Wach- und Schlafzustand sorgte in den ersten beiden Wochen für Halluzinationen. Da ich besonders in der Nacht Probleme mit dem Wachbleiben hatte, unternahm ich stundenlange Spaziergänge, auf denen ich Dinge sah, die nach genauem Hinsehen wieder verschwanden.

Zeitweise war auch mein Gehirn recht langsam. Vor den Augen lag ein leichter Schleier. Ich verspürte oft einen Druck zwischen Stirnlappen und Augenhöhle. Meine Koordination und das Gedächtnis waren beeinträchtigt. Ich lief in die Küche und fragte mich dort, was ich eigentlich wollte. Auf dem Rückweg stieß ich mir den Fuß am Bett an, was mir sonst nie passiert.

Zudem kämpfte ich in der Eingewöhnungsphase mit Verdauungsproblemen. Nach zwei Wochen hatte ich sechs Kilogramm zugenommen, was an den zusätzlichen ein bis zwei Mahlzeiten in der Nacht lag. Mein Körper hatte selten zusammenhängend mehr als vier Stunden, in denen er verdauen konnte. In der zweiten Monatshälfte konnte ich mich daran gewöhnen, zwischen Mitternacht und morgens um acht Uhr nichts zu essen.

Eine riesige Herausforderung in den ersten beiden Wochen war die Narkolepsie. Mehr als einmal bin ich im Sitzen weggeknickt. Was geholfen hat, sind Aufstehen und Bewegen. Außerdem waren kleine Snacks, kalte Duschen, frische Luft und Spaziergänge ein gutes Mittel gegen die Müdigkeit.

Nach der ersten harten Woche habe ich mich an den neuen Schlafrhythmus gewöhnt. Mit Hilfe von Schlafmaske und Noise Cancelling Kopfhörern konnte ich fast überall schlafen. Konzentration und Leistungsfähigkeit nahmen wieder zu. Nach den Nickerchen war ich frisch im Kopf, bis die Müdigkeit ein paar Minuten vor dem nächsten Schlaf wieder zunahm.

Dabei war meine Laune aber überraschend gut, phasenweise sogar total euphorisch. Es gab Tage, an denen ich mich fühlte, als ob ich den Schlaf besiegt habe. In dieser Phase war ich unglaublich produktiv. Nachts erledigte ich meine Arbeit, tagsüber machte ich andere Dinge, die mir Spaß bringen.

To-Do-Listen haben sich geändert. Sie wurden zu Aufgaben je Zyklus. Alle vier Stunden begann quasi ein neuer Arbeitstag mit ganz unterschiedlichem Fokus.

Was mir während dieser Zeit auch bewusst wurde, ist die begrenzte Kapazität meines Gehirns. Ich kann keine 20 Stunden am Tag arbeiten oder Informationen aufnehmen. Irgendwann ist der Kopf voll und benötigt Ruhe. Trotzdem kann ich mich durch Spaziergänge, Lesen, Musik hören und Müßiggang an den zusätzlichen Wachzeiten erfreuen.

Andere polyphasische Schläfer berichten, dass sie nach ein paar Wochen keinen Wecker mehr brauchten, da sie nach 20 Minuten von allein aufwachen. Diesen Punkt habe ich nicht erreicht. Ohne Wecker hätte ich mehrere Stunden durchgeschlafen. Ein klares Zeichen dafür, dass ich über den Schlafentzug noch nicht hinaus war.

Zweimal habe ich in den ersten beiden Wochen verschlafen. Ich wachte erst nach ein paar Stunden auf, was kurzfristig sehr erholsam war. Aber schon beim folgenden Nickerchen führte der fehlende Schlafdruck dazu, dass ich nicht in die REM-Phase kam. Das setzte sich weiter fort, wodurch ich mich am Folgetag schlecht fühlte.

Mindestens genauso herausfordernd wie die körperliche Adaption war die mentale Umgewöhnung. Wann beginnt und endet mein Tag? Wann putze ich mir Zähne? Wie viele Mahlzeiten esse ich am Tag? Was mache ich nachts, wenn der Rest der Welt schläft? Zeit bekommt eine ganz neue Perspektive, sobald der Tag nicht in 8-Stunden-Schlaf und 16-Stunden-Wachzeit unterteilt ist.

Auch wenn ich mich in dieser zweiten Woche an den positiven Konsequenzen des Uberman erfreuen konnte, hat mich die soziale Unverträglichkeit sehr gestört.

Alle vier Stunden brauchte ich ein Bett (oder einen Sitz im Zug, einen sonnigen Park oder ein Sofa). Sobald ich ein Nickerchen ausließ, kam der Schlafentzug. Dann dauerte es mindestens einen Tag, bis sich mein Körper wieder regeneriert hat. Das bedeutete, dass ich nicht länger als drei Stunden am Stück an sozialen Aktivitäten teilnehmen konnte.

Aufgrund dieser Einschränkungen auf meinen Tagesablauf entschied ich mich nach zwei Wochen für die Umstellung des Schlafrhythmus.

Der Everyman: I have a life

Das Schlafmuster des Everyman teilt sich in einen Kernschlaf von drei Stunden und zwei bis vier über den Tag verteilte 20-minütige Nickerchen. Anders als beim Uberman können die einzelnen Schlafblöcke ruhig eine Stunde variieren, ohne große Konsequenzen zu befürchten. Die Adaptionsphase dauert laut Erfahrungsberichten in etwa zwei Monate. Länger als beim Uberman, dafür ohne extremen Schlafentzug.

Der Vorteil bei diesem Modus ist die Flexibilität. Meine Kernschlafzeit dauerte von Mitternacht bis drei Uhr. Nickerchen machte ich jeweils gegen 8, 13 und 19 Uhr. Ich konnte länger am Stück rausgehen und mein Körper verzeiht mir kleinere Abweichungen. Selbst ein ausgelassenes Nickerchen hatte nicht so extreme Auswirkungen wie beim Uberman.

Das Aufwachen nach drei Stunden, also zwei kompletten Schlafzyklen, fiel mir nicht schwer. Das Aufstehen aus dem Bett jedoch sehr. Mental war ich fit, mein Körper wollte aber liegenbleiben. Das Gleiche galt für die 20-minütigen Nickerchen. Insgesamt fühlte ich mich als Everyman dennoch deutlich wohler als mit dem strikten Uberman-Modus.

In der letzten Woche hatte ich viele Termine. Workshop-Tage verhinderten, dass ich mich tagsüber einfach mal für 20 Minuten zurückziehen konnte. Selbst wenn sich die Gelegenheit bot, war mein Kopf so aufgewühlt, dass ich nicht von einem Moment auf den anderen zur Ruhe kam.

Mindestens 15 Minuten vor dem geplanten Nickerchen muss ich meinen Geist durch Meditation, Spaziergänge oder Musik beruhigen. Wenn ich das schaffe, wirkt der Mittagsschlaf viel besser als jeder Red Bull.

Mittagsschlaf fetzt

Churchill, Napoleon, Franklin, Einstein und Edison sollen es getan haben. Die Südländer tun es heute noch. Der Mittagsschlaf. Bis vor diesem Monat habe ich mir selbst eingeredet, dass ich nicht der Typ dafür bin. Nach dem Aufstehen war ich platt, anstelle einen erfrischenden Effekt zu spüren.

Dabei habe ich früher zwei Fehler gemacht. Erstens, ich habe zu lange geschlafen. Bei mir liegt die magische Grenze bei 20-25 Minuten. Schlafe ich länger, bin ich im Tiefschlaf und fühle mich nach dem Aufwachen miserabel.

Zweitens, ich habe mich geärgert, wenn ich während des Power Nap nicht einschlafen konnte. Dabei reicht es völlig aus, Körper und Geist eine Verschnaufpause zu gönnen. Der positive Effekt stellt sich auch ein, wenn ich wachliege.

Die Zeit reicht aber aus, um einen Energieschub zu bekommen. Nach dem natürlichen Tagesablauf haben wir eine Müdigkeitsphase am Nachmittag zwischen 13 und 15 Uhr. Das ist die perfekte Zeit für einen Power Nap oder sogar einen kompletten Schlafzyklus von 90 Minuten.

Auf einmal scheint es mir absurd, 16 Stunden am Stück wach zu sein. Der Mittagsschlaf ist etwas, das ich mir beibehalten werde. Vielleicht auch zwei oder drei Power Naps über den Tag verteilt.

Den gesamten September über habe ich meine Schlafzeiten mit verschiedenen Apps gemessen. Über Geräusch- und Bewegungserkennung werten sie die Schlafqualität aus. Am besten erschienen mir Pillow und Sleep Cycle, wobei selbst diese nur bedingt aussagekräftig sind. Die Daten weichen teilweise stark voneinander ab, zeigen aber zumindest Tendenzen auf.

In den letzten Tagen habe ich meinen Kernschlaf wieder langsam aufgestockt. Letzte Nacht schlief ich erstmals wieder acht Stunden am Stück durch. Die Anpassung scheint nicht schwerzufallen, wobei ich beim Schreiben dieses Absatzes zu meiner Mittagsschlafzeit eine leichte Müdigkeit verspüre.

Zur Vollbildansicht der Schlafstatistiken

Best Practices für den Schlaf

In seinem empfehlenswerten Buch schreibt Schlafcoach Nick Littlehales über seine R90-Methode. Die absolute Basis für guten Schlaf scheint demnach eine konstante Aufwachzeit zu sein. Ausgehend von dieser Zeit am Morgen kann dann rückwärts in 90-Minuten-Zyklen gerechnet werden.

Ein Beispiel: ich stehe jeden Morgen um 7 Uhr auf, egal ob Wochenende oder lange Partynacht. Optimal wären fünf Schlafzyklen á 90 Minuten, also müsste ich gegen 23.30 Uhr ins Bett gehen. Wenn es am Vorabend später wird, lege ich mich erst um 1 Uhr oder 2.30 Uhr hin.

Verpasste Schlafzyklen in der Nacht können durch Power Naps mit 20-30 Minuten Länge ausgeglichen werden. Dabei gleicht ein Nickerchen einen 90-Minuten-Zyklus.

Diese Schlafstrategie hat gleich mehrere Vorteile. Erstens, ich mache mir nicht ständig Gedanken, dass ich acht Stunden Schlaf bekomme. Zweitens, ich kann meine Nachtruhe gut Vorausplanen. Drittens, ich kann die benötigten 35 Schlafzyklen pro Woche (7 Tage á 5 Zyklen) etwas flexibler verteilen, wenn ich ein paar Nächte weniger Schlaf bekomme.

Optimal sind 35 Zyklen pro Woche, wobei 28 für manche Menschen auch okay sein können. Die Zyklen sind flexibel, wobei an vier Tagen in der Woche die gezielte Anzahl von vier oder fünf volle Zyklen pro Nacht erreicht werden sollten.

Etwas worüber ich mir vorher nie bewusst Gedanken gemacht habe, war meine Schlafposition. Unter anderem sind Blutzirkulation, Stabilität der Wirbelsäule, Luftzufuhr und Muskelfunktionen davon betroffen.

Gerade auf dem Rücken zu schlafen gibt der Wirbelsäule und allen Organen die Möglichkeit, sich voll auszustrecken. Außerdem beugt es der Faltenbildung vor, da die Haut im Gesicht atmen kann. Der Knackpunkt hier ist das Kissen. Die Blutzufuhr zum Gehirn sollte nicht bergauf laufen, sondern der Kopf niedriger liegen als das Herz.

Auf dem Bauch zu schlafen ist eine sehr schlechte Angewohnheit, wie ich lernen durfte. Die Wirbelsäule nimmt eine unnatürliche Biegung am Nacken ein, die Luftzufuhr wird erschwert und die Haut im Gesicht kann nicht gut atmen.

Wie ein Fötus auf der Seite zu schlafen, scheint die natürlichste Schlafposition zu sein. Wichtig dabei ist, dass die Beine nicht um 90-Grad angezogen werden, sondern eher im 45-Grad-Winkel. Das beugt Schnarchen sowie Sodbrennen und hilft auch der Verdauung. Außerdem fühlen wir uns sicherer, wenn Herz und Genitalien nicht so ausgeliefert sind, wie auf dem Rücken.

Zur Erhöhung der Qualität meines Schlafes nehme ich aus diesem Monat die folgenden weiteren Erkenntnisse mit:

  • Eine Schlafmaske ist großartig, um selbst im Zug oder Park schnell einzuschlafen. Optimal für Zuhause ist eine komplette Abdunkelung aller Lichtquellen.
  • Kein blaues Licht durch Bildschirme vor dem Einschlafen. f.lux für den Laptop oder die Einstellungen der Farbtemperatur in Smartphones helfen beim Filtern des Blaulichts. Noch besser ist die Reduzierung von Bildschirmzeit.
  • Die Investition in In-Ear Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung von Bose (QuietComfort 20) hat sich ausgezahlt. Nicht nur zum Arbeiten in lauten Umgebungen, sondern vor allem auch für den erholsamen Schlaf zwischendurch.
  • Meine optimale Zeit für einen Power Nap sind 20 Minuten. Das Aufwachen nach der Kernschlafzeit fällt mir nach einem Vielfachen von 90-Minuten-Zyklen am leichtesten.
  • Die Unterteilung der Nachtruhe in eine Kernschlafzeit und über den Tag verteilte Nickerchen wirken wir eine Batterie, die regelmäßig aufgeladen wird.
  • Je weiter ich mich von meiner inneren Uhr bzw. dem natürlichen Tagesablauf entferne, desto unwohler fühle ich mich auf lange Sicht. Mein Wohlbefinden steigt, je mehr ich mich nach Sonnenuntergang und Sonnenaufgang richte.
  • Da die Körpertemperatur nachts abnimmt, sind abendliche Workouts, die die Temperatur kurz vor dem Schlafengehen erhöhen, nicht empfehlenswert.

Das Fazit: Schlaf ist keine Einheitsgröße

Anhand der persönlichen Rückmeldungen und Kommentare in E-Mail oder Facebook merke ich ganz gut, wie die einzelnen Experimente aufgefasst werden. Gemeinsam mit dem Frutarier im Februar hat der Schlaflose das kritischste Feedback erhalten.

Von „das geht doch gar nicht" bis hin zu „was tust du deiner Gesundheit da nur an" war alles dabei. Für mich ein Zeichen dafür, dass an besonders tiefsitzenden Überzeugungen gerüttelt wird.

Dieser einheitliche 8-Stunden-Schlaf scheint ein universeller Standard zu sein, der selten hinterfragt wird. Das ist im Grunde so, als wenn wir alle die gleiche Kleidergröße und Ernährung hätten.

Genauso wie viele meiner Leser habe ich mir vor diesem Monat nicht vorstellen können, mit nur zwei Stunden Schlaf auszukommen. Mit diesem Experiment durfte ich mich mal wieder vom Gegenteil überzeugen. Meine Vorstellungskraft und damit mein Handlungsspielraum haben sich vergrößert.

Es ist ein sehr gutes Gefühl zu wissen, dass ich zumindest kurzfristig das Potenzial habe, meine Wachzeit um mehrere Stunden zu verlängern, ohne dabei wie ein Zombie herumzulaufen.

Die spannende Frage bleibt, ob polyphasischer Schlaf eine langfristige Wahl für einen Lifestyle sein kann?

Ich kann mir absolut vorstellen, dass sich dadurch die Schlafqualität erhöht, ohne dass es gesundheitliche Schäden geben muss. Die soziale Unverträglichkeit des strikten Schlafplans ist für mich jedoch der Dealbreaker.

Außerdem gibt es einen starken Widerspruch zwischen dem natürlichen Tagesablauf und polyphasischen Schlafmustern. Mit dem heutigen Wissensstand glaube ich, dass weder der Uberman noch der 8-Stunden-Schlaf die besten Ansätze sind.

In den kommenden Monaten versuche ich, einen festen Zeitpunkt zum Aufstehen sowie einen Kernschlaf von 4,5 bis 6 Stunden zu etablieren. Dazu werde ich schauen, wie flexibel ich mit zusätzlichen ein bis zwei Nickerchen über den Tag verteilt klar komme.

„The Art of Mittagsschlaf" zu erlernen, war wohl der wertvollste Zugewinn in diesem Selbstversuch. Ich habe das Gefühl, mich auch in Zukunft immer und überall hinlegen und in 20 Minuten meine Akkus tagsüber aufladen zu können.

Ich habe feinere Fühler dafür entwickelt, wann ich wirklich müde bin und wann eine Nachtruhe gut oder schlecht war. Natürlich dachte ich auch vor diesem Monat schon, dass ich das wusste. Aber so ist das ja immer mit dem Wissen ...