Der Schlaf hat seinen eigenen Tag. Ich mag diese Form der unbeabsichtigten Ironie, die manche sofort und andere niemals als solche empfinden. Der Tag des Schlafes fällt in Deutschland auf den 21. Juni. Das ist auf der nördlichen Hälfte der Erdkugel zugleich der längste Tag des Jahres, die so genannte Sommersonnenwende. Diese traumhafte Ironie muss jetzt aber jeder erkennen. Dessen ungeachtet verdient es der Schlaf ganz ohne Frage, mit einem eigenen Datum gewürdigt zu werden. Seine Bedeutung für Geist und Körper, seine Mysterien und seine Auswirkungen auf unsere Kultur sind unbestreitbar.
Es gibt eine alte Faustregel, die besagt, dass ein erwachsener Mensch mindestens acht von 24 Stunden schlafend verbringen sollte. Dem widerspricht der Schweizer Chemiker Roger Herger, wenn er erklärt, dass "mehr als vier Stunden Schlaf heißt, das Leben zu verschwenden." Dagegen befand einst der deutsche Philosoph Novalis: "Der Schlaf muss die Folgen der übermäßigen Reizung der Sinne für den übrigen Körper wieder gutmachen." Seit ihren ersten wachen Minuten hat die Menschheit über den Schlaf sinniert, ihn wissenschaftlich untersucht und ihn in ihre Mythen eingewoben. Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung mit dem Phänomen Schlaf sind so vielseitig wie unsere Träume.
In der Antike galt der Schlaf als Bruder des Todes. Hypnos, der Gott des Schlafes, und Thanatos, der Totengott, waren im griechischen Glauben der vorchristlichen Zeit die Söhne der Nacht (Nyx) und der Finsternis (Erebos). Ebenfalls zur Familie des Schlafes gehörten der Gott des Verhängnisses (Moros), der Gott des Tadels (Momos) und der Gott des gewaltsamen Todes (Ker). Diese verwandtschaftlichen Verhältnisse rückten den Schlaf in ein erkennbar düsteres Licht. "Der Schlaf ist das Bild des Todes" bemerkte dazu der römische Philosoph und Politiker Marcus Tullius Cicero. Diese antike Perspektive basierte auf der medizinisch mittlerweile entkräfteten Annahme, dass der menschliche Körper während des Schlafes in einer Starre ruht und dem Tod gleicht wie ein Zwilling dem anderen.
Obwohl wir heute wissen, dass ein Mensch während des Schlafes verschiedene aktive Phasen durchläuft, darunter den REM-Schlaf, bei dem es zu schnellen Augenbewegungen hinter den geschlossenen Lidern kommt, ist die enge Verknüpfung von Schlaf und Tod noch immer gegenwärtig, wird oft aber auf andere Ebenen verlagert. So fasziniert und ängstigt viele Menschen die Vorstellung, dass vom Tod zu träumen bewirken kann, tatsächlich zu sterben. Einige Horrorgeschichten wie die bekannte "Nightmare on Elm Street"-Filmreihe greifen diesen Albtraum auf.
Das Verhältnis der Menschen zum Schlaf ist ein zwiespältiges, so viel steht fest. Ein altes deutsches Sprichwort besagt, dass es keinen größeren Dieb als den Schlaf gäbe, da er uns das halbe Leben raubt. Gleichwohl widerspricht sich der Volksmund selbst, denn ebenso verbreitet ist das Sprichwort vom Schlaf als beste Medizin. Mal ein Krimineller und mal ein Heilmittel zu sein, - und von Heinrich Heine als "köstlichste Erfindung" bezeichnet zu werden -, bedarf schon besonderer Qualitäten. Grundsätzliche Einigkeit herrscht darüber, dass ein Lebewesen während des Schlafes keinen Schaden anrichten kann. "Wer schläft, sündigt nicht" meint ein Sprichwort-Klassiker dazu. Deshalb sollten wir niemals schlafende Hunde wecken. Noch interessanter drücken es die Japaner mit einer alten Volksweisheit aus:
Eine Schlange, einen Fürsten, einen Tiger, einen Greis, ein Kind und einen fremden Hund; diese sechs sollte man nicht aufwecken, wenn sie schlafen.
Von Tieren und Langschläfern
Mich sollte man ebenfalls nicht aufwecken, wenn ich schlafe. Neben meinem Bett steht, in einem weißen Rahmen, eine Karte mit dem Spruch "Eigentlich bin ich ein Frühaufsteher in der falschen Zeitzone!" Ich fühle mich oft wie auf der falschen Seite der Uhr, habe ich doch den Hang, viel zu spät ins Bett zu gehen, um morgens so spät wie nur möglich aufzustehen. Dadurch weiß ich nie so recht, ob ich nun ein Langschläfer bin oder nicht. Laut Uli Löchner ist für den Langschläfer "die Welt länger in Ordnung". In Afrika hingegen kennen die Menschen seit Jahrhunderten die Weisheit: "Vom zu vielen Schlafen hat die Schlange ihre Füße verloren." Äußerst plastisch warnt uns außerdem ein altes slawisches Sprichwort davor, nicht bis in den hellen Tag zu schlafen, "sonst kriegst du Maden in die Augen". Schlangen und Maden, wer denkt zum Einschlafen oder Aufwachen nicht gerne an diese Tiere? Da klingt "Mit den Hühnern schlafengehn, aufstehn, wenn die Hähne krähn" schon etwas angenehmer. Die Italiener sagen dazu: "Wer schläft, fängt keine Fische."
Nun ist der Mensch natürlich kein Tier und muss sich nicht an dessen Lebensweise halten. So findet das lange Schlafen durchaus viele Befürworter, darunter den großen Kurt Tucholsky:
"Gebt den Leuten mehr Schlaf,
und sie werden wacher sein,
wenn sie wach sind."
Da wäre sie wieder, die Zwiespältigkeit des Schlafes. Nun gut, im antiken griechischen Glauben war Eris, die Göttin der Zwietracht, eine weitere Schwester des Schlafes.