Die FAZ, und im Speziellen, ihr Feuilleton, öffnen ihren LeserInnen immer wieder die Augen für Details in Kunst und Politik, für die Zusammenhänge zwischen Ästhetischem und oft brutal Realem. Ein wunderbarer Beleg dafür findet sich in der Samstagausgabe (6.7.13): Julia Voss reflektiert über das "berühmteste Gemälde der Türkei" mit dem Titel "Der Schildkrötenerzieher". Berühmt ist das Gemälde übrigens erst seit 2004: es wurde damals zum internationalen Gesprächsstoff , weil es auf einer Auktion für umgerechnet 3,5 Millionen Dollar versteigert wurde, und zwar von der privaten „Suna und Inan Kiraç-Stiftung“, in deren Besitz auch das Pera-Museum in Istanbul ist.
Das Gemälde in der Tradition der französischen Salonmalerei des 19. Jahrhunderts, gilt fortschrittlichen Kräften in der Türkei als Symbol für die Überwindung des politischen Stillstands in der Türkei. Andere deuten es als Ikone des Stillstands: Schildkröten lassen sich nicht erziehen.
Die Recherchen von Julia Voss ergaben, dass der Maler des Bilds, Osman Hamdi Bey (geb. 1842 in Istanbul, gestorben 1910 ebda) sich von einem japanischen Druck inspirieren ließ, auf dem ein koreanischer Schausteller zu sehen ist, der mit einer Trommel Schildkröten dressiert.
Kommentar von Julia Voss: " 'Mann mit Schildkröten', wie das Gemälde ursprünglich hieß, ist das Bild eines türkischen Künstlers, der sich für eine koreanische Tradition begeisterte, die ein Japaner aufgezeichnet hatte - und die er nach Frankreich exportierte. Verrückter kann ein Bild eigentlich nicht sein."
Die Kunst ist bekanntlich das Rätsel und nicht die Lösung. Vor dem Hintergrund der Protestbewegung um den Istanbuler Gezi-Park lässt das seltsame Gemälde jedenfalls genug Fragen offen...
"Der Schildkrötenerzieher": Das berühmteste Bild der Türkei
Autor des Artikels : verdin
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