Der Nyiragongo hat den größten Lavasee der Welt. Die Besteigung des Vulkans führt in eine Region, die nicht nur von Naturgewalten bedroht ist. Hier schwelt ein Krieg, der einfach nicht aufhören will.
Der Weg auf den Nyiragongo birgt Gefahren. Aber es sind andere, als die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes nahelegt. "Auf dem losen Vulkangestein kann man leicht ausrutschen und sich verletzten", sagt Ranger Julien Katembo. "Bitte passt auf." Wir sind unterwegs im Ostkongo, in einer der instabilsten Regionen Afrikas, und der Guide warnt vor der Beschaffenheit des Weges.
Wo sind nun die Rebellen? "Sie hocken in den Bergen rund um Goma", erklärt mir ein kanadischer Soldat der UN-Friedensmission Monusco, die in der Stadt ihr Hauptquartier hat. Tatsächlich? Ist das nicht bedenklich? Schließlich befinden wir uns zweifellos an einem Berg außerhalb von Goma.
Der Kanadier - an diesem Tag im Freizeiteinsatz unterwegs - sieht das offenbar gelassen: "Was heißt schon Rebell?" Der Milizionär von morgen sei heute nur ein frustrierter Dorfbewohner, ein unterbezahlter Soldat, ein Polizist ohne Soll. Das leuchtet mir ein, aber ist das jetzt beruhigend?
Ranger Julien beim Aufstieg auf den Vulkan.
Julien trägt stets eine Kalaschnikow über der Schulter: Standard für die Ranger von Virunga, die den ältesten Nationalpark Afrikas vor marodierenden Milizen und Wilderern zu schützen versuchen. Die Parkhüter begleiten auch jede Besuchergruppe zu den seltenen Berggorillas, das touristische Highlight.
Unser Tagesziel ist ein anderes. Nur wenige Vulkane auf der Welt haben einen offenen Lavasee. Der Nyiragongo hat den größten: 250 Meter Durchmesser.
Was schon bei Tageslicht schwer beeindruckt, erscheint in der Schwärze der Tropennacht endgültig wie das epochale Naturschauspiel eines längst vergangenen Erdzeitalters. Das Lavabecken des Nyiragongo glüht auf einer Temperatur von etwa 1100 Grad in der Dunkelheit. Es sieht aus wie die Schmiede eines hitzköpfigen Kriegsgottes, der Waffen für eine apokalyptische Schlacht herstellt. Geschmolzenes Gestein spritzt meterhoch. Die zerstörerischen Kräfte in den Tiefen des Berges lassen sich nur erahnen. Wenn sie sich entfalten, hält sie nichts und niemand auf.
Der Nyiragongo ist einer der aktivsten Vulkane der Welt. Als er 2002 ausbrach, walzte die Lava durch Goma und zerstörte ein Drittel der Stadt. Mehr als 100 Menschen starben, etwa 120.000 wurden obdachlos. "Wohlhabende Leute waren von einem auf den anderen Tag plötzlich arm", erzählt Julien. Doch die Kongolesen sind pragmatisch: Aus der erkalteten Lava haben sie neue Mauern und Häuser errichtet, wie man in Goma überall sehen kann.
Das schwarze Gestein bedeckt auch den Trampelpfad hinauf zum Kraterrand. Dort werden wir in Hütten ohne Strom und Wasser übernachten, in Schlafsäcken auf billigen Matratzen. Das Wetter für die Wanderung ist optimal: nicht zu heiß, nicht zu schwül. Die Landschaft ist von betörender Schönheit: Tropisches Grün, am dunstigen Horizont erheben sich Vulkane wie gemalt.
Unsere Gruppe besteht aus etwa 25 Frauen und Männern, die aus unterschiedlichen Gründen im Ostkongo sind: Blauhelme der UN-Friedensmission Monusco - die größte weltweit - wahren hier den brüchigen Frieden. NGO-Mitarbeiterinnen kümmern sich um Notleidende und Kriegsversehrte. Und eine Handvoll abenteuerlicher Reisender nimmt das Risiko einer "volatilen Sicherheitslage" in Kauf, um einmal die Berggorillas und den brodelnden Lavasee zu sehen.
Vorsicht lose Steine: Weg auf den Nyiragongo.
Begleitet wird unsere Gruppe von Rangern, aber auch von zwölf Trägern aus den umliegenden Dörfern. Jeder von ihnen bekommt für die zweitägige Tour 16 US-Dollar, eine stattliche Summe Geld in einer Region, in der katastrophale Armut herrscht. Rund 600 Frauen und Männer stehen auf der Warteliste, erzählt mir Julien. Es wird immer rotiert, damit jeder regelmäßig dabei ist. Außerdem fließen noch einmal 8 Dollar pro Teilnehmer in eine Kooperative, die Dörfer rund um Goma unterstützt.
Wer auf einer geführten Tour den Nyiragongo besteigt, bringt sauberes Geld in den Ostkongo, was wichtiger ist, als es zunächst klingt: Hat jemand ein solides Auskommen, braucht er sich keiner Miliz anschließen. Der bescheidene Tourismus in Virunga kann dazu beitragen, den Zerfall der Region zumindest hinauszuzögern. Dauerhafter Frieden bleibt trotz aller Bemühungen der sogenannten internationalen Gemeinschaft ein unwahrscheinliches Szenario.
Der Osten der Demokratischen Republik Kongo ist Schauplatz des vielleicht kompliziertesten Konflikts der Welt. Den Krieg im Kongo in wenigen Sätzen zu skizzieren, ist praktisch unmöglich und immer nur eine unzureichende Vereinfachung der geschichtlichen Abläufe.
Alles begann mit einem Völkermord - allerdings im Nachbarland. In Ruanda ermordeten die Hutu 1994 in wenigen Wochen rund 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu. Viele der Täter flohen ungestraft über die Grenze in den Osten des Kongo. Der Konflikt zwischen Hutu und Tutsi bestimmte seitdem die Geschichte des Kongo mit. Ruanda und Uganda bauten die Rebellengruppe AFDL auf, die 1997 den kongolesischen Diktator Mobutu stürzte. Der Erste Kongokrieg endete mit einem Regimewechsel in Kinshasa. Rebellenführer Laurent Kabila wurde Präsident des Kongo. Auch er war ein Diktator - und stellte sich gegen seine Nachbarn. Er verwies die ruandischen und ugandischen Truppen des Landes. Und so fielen die beiden Länder 1998 erneut in den Kongo ein und bekämpfen mithilfe einheimischer Rebellen die Regierung - dieses Mal nicht Mobutu, sondern Kabila. Sie hatten keinen Erfolg.
Ortsschild mit Einschusslöchern und Virungas altem Namen: Albert-Nationalpark.
Der Zweite Kongokrieg dauerte offiziell bis 2013. Der Versuch, Kabila zu stürzen, misslang, weil dieser Hilfe von ausländischen Truppen bekam. Ein Friedensabkommen wurde geschlossen, doch der Krieg setzte sich fort. Er ging in seine zweite Phase über: Ruanda und Uganda gaben den Sturz Kabilas auf, setzten sich mithilfe örtlicher Milizen im Kongo fest und beuteten die reichen Rohstoffe aus. Das lohnte sich mehr. Kabila wurde ermordet, sein Sohn übernahm die Macht. Wieder gab es ein Friedensabkommen, 2002 in Pretoria, doch wieder brachte es keinen Frieden. Der Krieg ging in die dritte Phase über: In den Provinzen Kivu und Ituri im Osten des Landes kämpfen Rebellen weiter in wechselnden Allianzen.
Der Zweite Kongokrieg wird auch als Great African War bezeichnet. Zeitweise mischten neun afrikanische Länder und rund 30 Milizen mit. Die Soldateska verübte Gräueltaten, deren Details man nicht aussprechen möchte. Es war der Krieg mit den meisten Toten seit dem Zweiten Weltkrieg. Niemand verstand ihn wirklich. Und weil es nicht "die Guten" und "die Bösen" gab, interessierte sich die Weltöffentlichkeit bald nicht mehr für diesen Konflikt.
Es gab zahlreiche Gründe dafür, warum der Krieg so lange andauerte, angefangen beim Völkermord in Ruanda über die praktische Abwesenheit des kongolesischen Staates bis zum Zaudern der Weltgemeinschaft. Ein ganz wichtiger Faktor waren die Bodenschätze. Der belgische Historiker und Schriftsteller David Van Reybrouck schreibt: "Der Westen ist daran gewöhnt, Kriege als furchtbar teure, geldverschlingende Unternehmen zu betrachten, die für die Wirtschaft eines Landes desaströs sind. In Zentralafrika war es genau umgekehrt: Kriege zu führen war relativ billig, vor allem in Anbetracht der sagenhaften Gewinne, die mit der Ausbeutung von Rohstoffen erzielen ließen." Diese "Plünderökonomie" war attraktiver als Frieden. "Geschäft und Krieg hielten einander im Klammergriff."
Kraterrand des Nyiragongo.
Dieses Prinzip greift im Osten des Kongo bis heute. Der Krieg war dort nie ganz vorbei, er wurde höchstens noch unübersichtlicher. Das Land zerfiel weiter, seine Infrastruktur löste sich auf. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, warum viele militante Gruppen auch heute kein Interesse am Erfolg des Virunga-Nationalparks haben. "Wenn überhaupt etwas funktioniert in Virunga, dann ist es wegen der Ranger", sagt Julien.
Zum Zeitpunkt meines Besuchs, im September 2017, funktioniert immerhin so viel, dass wir den Nyiragongo besteigen können.
Der Pfad zum Kraterrand gewinnt auf den letzten paar Hundert Metern an Steigung. Auf den losen Steinen verliert man leicht den Halt. Eine Frau stürzt, aber es ist nicht allzu ernst. Und dann sind wir oben. Aus Spalten im Fels treten Gase aus, der Schwefel beißt in der Nase. Unter uns dampft die Lava, doch noch hebt sie sich nicht allzu stark von den Felsen ab. Noch nicht.
Blick in den Krater auf den Lavasee.
Das ändert sich, als die Nacht hereinbricht. Wir alle harren jetzt am Kraterrand aus, trotz der aufziehenden Kälte, und starren in den lodernden Schlund des Berges, als hätte uns dieser hypnotisiert. Der Lavasee stahlt nun als gigantisches Feuerbecken in die Dunkelheit. Ich fühle mich wie Frodo Beutlin im "Herr der Ringe", der den Einen Ring ins Feuer des Schicksalsberges werfen muss, um die Welt vom Bösen zu befreien. So einfach ist es im Ostkongo leider nicht.
Die englische Originalbezeichnung des Schicksalsberges trifft es besser: Mount Doom - Berg des Unheils, des Verderbens. Denn genau das ist der Nyiragongo für die Bewohner von Goma: Bräche der Vulkan wieder aus, würde die Lava die Millionenmetropole binnen weniger Minuten erreichen. Magmaleitungen reichen bis direkt unter die Stadt. Warnschilder weisen zwar auf die aktuellen Gefahrenstufe hin, aber eine schnelle Evakuierung wäre kaum möglich.
Nachts strahlt die Lava wie ein gigantisches Feuer.
Als wir morgens in der Früh aufstehen und unsere Sachen zusammenpacken, liegt Dunst über dem Land. Der Nyiragongo ist in eine Mischung aus Dampf und Wolken gehüllt. Unten im Krater brodelt die Lava vor sich hin. Man möchte fast sagen, das Land unter uns liegt friedlich da. Wir steigen ab.
Am Ausgangspunkt unserer Tour holt mich ein Guide und Fahrer David mit seinem klapprigen Auto ab, um mich zurück nach Goma zu fahren. Kurz vor dem Ortseingang steht wieder eine Polizeikontrolle. David weiß genau, wie viele Kongolesische Franc er dem Beamten durchs geöffnete Fenster reichen muss. Wer weiß, denke ich, vielleicht wird dieser Polizist einmal ein Rebell.
Sonnenaufgang am Nyiragongo.