Chloé (Audrey Tautou) und Colin (Romain Duris) auf Wolke Sieben.
Dass der französische Filmemacher Michel Gondry ein Retro-Faible hat, merkt man recht schnell, wenn man sich seine Filme ansieht. ‚Quirky‘ ist eines dieser Worte, die sich kaum übersetzen lassen, aber geradezu hervorragend auf ihn zutreffen. Vielleicht kann ihm dahingehend nur Regisseur Wes Anderson das Wasser reichen, der ebenso wie der Franzose hübsch bebilderte moderne Märchen zu erzählen vermag. Bei Gondry nennen sich solcherlei Werke dann poetisch Eternal Sunshine of a Spotless Mind (verliert in der deutschen Übersetzung als Vergiss mein nicht eine Menge Charme), The Science of Sleep (Anleitung zum Träumen) oder Be Kind Rewind (Abgedreht), seiner Huldigung an die VHS. Wer der Videokassette einen ganzen Film widmet, tut sich auch nicht schwer damit, in die französische Literatur der 1940er Jahre hinab zu tauchen und dort in dem Autor Boris Vian ein ebensolches ‚quirky‘-Hirn zu finden, geradezu prädestiniert für jemanden wie Gondry, eines seiner Werke auf die Filmwelt zu übertragen.
Dabei handelt es sich um den 1946 erschienenen Roman L’Écume des jours, eine Fortführung der poetischen Titelgebung: Der Schaum der Tage. Die Geschichte erzählt von dem Tagträumer Colin, der Partys und den Jazz liebt, dem es aber an Liebe in seinem Leben fehlt. Da bieten ihm auch die kulinarischen Skurrilitäten seines Hauskochs Nicholas keine Ablenkung. Er möchte mit der Frau seines Lebens in einer Wolke durch die Lüfte schweben. Chloé ist genau die richtige Frau dafür. Colin lernt sie auf der Geburtstagsfeier des Pudels einer Freundin kennen und lieben. Recht schnell kommt es zur rasanten Hochzeitsfeier, noch viel schneller erkrankt Chloé an einer Seerose, die sich auf ihrer Lunge niederlässt.
Romain Duris, Audrey Tautou und Omar Sy (v.l.n.r.)
Das mag anfangs noch ein romantisch anmutendes Bild sein, wenn sich die Rose wie ein Eiskristall, der von Chloé eingeatmet wird, in ihr niederlässt, doch die Konsequenzen sind nicht nur für das Liebesglück schon bald zu spüren, sondern auch für die Zuschauer. Die bunten Bilder die das Filmmärchen vorher bestimmen nehmen beständig ab, die Farbe weicht aus dem Leben, weicht aus dem Film. Mit lauter verrückten Ideen setzt Gondry die Literaturvorlage um. Von einen Fließband voller Schreibmaschinen, an dem von vielen Autoren diese Geschichte geschrieben wird, über ein Piano, mit dem Cocktails gemixt werden können, wenn man denn die richtigen Töne spielt, bis hin zu dieser Wolke, in die sich Colin und Chloé setzen wie in ein Auto, um damit über die noch frühlingshaft sonnige Landschaft zu schweben.
Es ist, als habe der Regisseur eine gänzlich neue Welt zum Leben erweckt, in der nichts mehr so funktioniert, wie wir es aus unserer Realität gewohnt sind. Dass das nicht wie Science-Fiction wirkt, sondern wie ein Märchen, ist diesem eigenwilligen Gondry-Charme zu verdanken. Seine Stop-Animation, eine Türklingel die regelmäßig wie ein Käfer ihren Platz über der Tür verlässt, nur um zertreten, zerschmettert, zerschlagen zu werden – oder aber das bunte Essensgedeck, dass von Omar Sys (Ziemlich beste Freunde) Nicholas gezaubert wird, darunter ein sich windender Aal, der sich selbst auf dem Teller zurecht legt um möglichst schmackhaft zu wirken, sind nicht etwa sauber animiert, sondern versprühen diesen frühen Look, bei dem jedes zweite Bild zu fehlen scheint, so stockend wirken die Animationen. Nur bei Gondry kann das als etwas Positives gesehen werden.
Audrey Tautou und Romain Duris.
Die Darsteller, neben Romain Duris (Madame Populaire, Der Auftragslover) spielt Everybody’s Darling Audrey Tautou mit verzaubernder Einfühlsamkeit, verrückt wie in Die fabelhafte Welt der Amélie, wirken so zufrieden, so sonnig verspielt, so bunt und in Ekstase, dass das letzte Viertel umso mehr bedrückt. Hier entzieht Gondry seinem Film einfach alles, was zuvor so viel Wonne beschert hat. Fast bekommt man ein schwarz/weiß-Film Gefühl, nicht minder zum Retro-Fanatismus dieses Regisseurs passend. Aber ohne unsere Audrey, mit einem am Boden zerstörten Duris, gehen wir nun einmal bedrückt aus dem Kino, haben die schönen Zeiten von vor wenigen Minuten ebenso vergessen, wie Colin die frohen Tage seines Lebens. Vom Lachen zum Weinen, das alles ruft Emotionen hervor, wie es ein Film nun einmal zu leisten im Stande sein sollte. Kein seelenloses Werk, ganz im Gegenteil, ein gefühlsechtes Freude/Leid-Gemisch aus französischer Hand geschaffen.
Das alles wirkt vom ersten Moment an so ‚quirky‘, so märchenhaft Verrückt und Verdreht, so dem Autor Boris Vian gerecht werdend. Michel Gondry hat die Freiheiten genutzt, die ihm zuletzt beim Hollywood Schmarrn The Green Hornet verwehrt geblieben ist. Fernab vom amerikanischen Studiosystem hat er für Der Schaum der Tage all seine erzählerische Kraft aufgebracht um zu alter Größe zurück zu finden. Und das ist am Ende trotz aller Traurigkeit doch noch Wonne genug.
“Der Schaum der Tage“
Originaltitel: L’Écume des jours
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Produktionsland, Jahr: F / B, 2013
Länge: ca. 94 Minuten
Regie: Michel Gondry
Darsteller: Romain Duris, Audrey Tautou, Omar Sy, Gad Emaleh, Charlotte Lebon, Aïssa Maïga, Sacha Bourdo, Philippe Torreton
Kinostart: 3. Oktober 2013
Im Netz: studiocanal.de/der_schaum_der_tage