Der ruinöse Friedenslauf

Heute ist wieder Friedenslauf in Berlin. Eine tolle Veranstaltung, bei der Schülerinnen und Schüler Geld für einen guten Zweck erlaufen. Dieses Jahr kommt das Geld der Friedensarbeit für syrische Flüchtlinge zugute. Die folgende Geschichte hat sich beim letztjährigen Friedenslauf zugetragen. Oder so ähnlich.

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Freudestrahlend empfangen mich Tochter und Sohn abends an der Tür und erklären mir, sie wollen mit ihrer Schule beim Friedenslauf teilnehmen. Nicke wohlwollend, da ich körperliche Ertüchtigung auch schon in jungen Jahren begrüße und auch gegen Frieden prinzipiell nichts einzuwenden ist (sofern man sein Geld nicht mit der Produktion von Panzern und Sturmgewehren verdient).

Meine Zustimmung löst Jubelstürme bei den Kindern aus. Sogleich erklären sie mir, ich müsse ihr Sponsor werden. Muss zugebenen, dass für Frieden bezahlen zu müssen, sich nicht mehr ganz so attraktiv anhört. Erkläre ihnen, dass ich doch bereits mit meinen Steuergeldern die Bundeswehr mitfinanziere, die angeblich am Hindukusch den Frieden verteidigt, und ob dies nicht reiche. Die Kinder schauen mich mit fragenden Augen an als hätte ich Klingonisch gesprochen. Erkundige mich daher, für wen das Geld bestimmt sei. Sie zucken mit den Achseln und sagen, so genau wissen sie das auch nicht, es sei halt für den Frieden.

Willige schließlich ein und bekomme erläutert, dass ich einen Betrag in ihre Spendenkarten eintragen müsse und dann für jede Runde, die sie innerhalb von 90 Minuten rennen, diesen Betrag zu spenden habe. Nachdem ich erfahre, dass eine Runde 1,2 km lang ist, notiere ich jeweils generös zehn Euro in den Karten. In Abschätzung der dauerläuferischen Leistungsfähigkeit der Kinder sollte dies eine Spende von 20 Euro bedeuten, was ich für einen angemessenen finanziellen Beitrag zum Weltfrieden meinerseits erachte.

Nach diesem ersten Coup telefonieren die Kinder die Verwandtschaft ab und akquirieren mit der Hartnäckigkeit und Penetranz von Strukturvertrieblern, die von Carsten Maschmeyer persönlich geschult wurden, weitere Sponsoren – darunter auch die Freundin, der sie mit besorgniserregender klandestiner Energie verschweigen, dass ich bereits eine Spende zugesagt habe. Mit Verweis auf die Länge der Strecke und die Höhe des väterlichen Spendenbetrags schaffen sie es, ihre Karten mit weiteren Zusagen in Höhe von fünf bis zehn Euro aufzufüllen, so dass sie beide auf eine recht stattliche Spendensumme pro Runde kommen.

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Am Vorabend des Laufs teilt mir der Sohn lapidar mit, dass ich ihn zu begleiten habe, da er als Erstklässler noch zu klein sei, um alleine teilzunehmen. Die Aussicht, den Vormittag mit einer Horde pubertierender Schulkinder verbringen zu müssen, macht mir mehr Angst als die Aufforderung zu einem Bareknuckle-Fight mit den Klitschko-Brüdern. Anscheinend muss ich nicht nur mit meinem Geld, sondern vor allem mit meinen Nerven für den Weltfrieden bezahlen.

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Am nächsten Tag erscheinen die Kinder und ich pünktlich um 8.30 Uhr in der Schule beim vereinbarten Treffpunkt. Dort hat sich schon eine Gruppe von ungefähr 50 Schülerinnen und Schülern eingefunden, die die Teilnahme am Friedenslauf dem regulären Unterricht vorziehen. Ihre dermatologisch bedenklichen Hautunreinheiten sowie ihr abnormes Sozialverhalten lassen auf einen weit fortgeschrittenen Pubertätsgrad schließen, der Ungutes für die kommenden Stunden ahnen lässt.

Nachdem ich die jugendlichen Soziopathen zehn Minuten beobachtet habe, reift bei mir die Erkenntnis, dass es gute Gründe dafür gibt, die Abschaffung der Prügelstrafe nicht bedingungslos zu begrüßen. Mache mir außerdem große Sorgen, ob diese Kinder später in der Lage sind, einer geregelten Arbeit nachzugehen, durch die genügend Geld in die Rentenkasse gespült wird, damit ich einen sorgenfreien und von Altersarmut unbelasteten Lebensabend verbringen kann. Beschließe, mich abends intensiv mit dem Thema private Altersvorsorge auseinanderzusetzen

Eine schrille Trillerpfeife reist mich aus meinen Gedanken. Die Sportlehrerin nordet die Schülerinnen und Schüler ein, sich auf dem Weg zum Lauf gefälligst zu benehmen. Dies gelingt erstaunlicherweise und wir erscheinen pünktlich, vollzählig und unversehrt im Startbereich. Frage den Sohn, ob ich mit ihm laufen soll, was er mit einer abschätzigen Handbewegung zurückweist. Auch die Tochter lehnt mein freundliches Angebot dankend ab und quittiert dies mit einem augenrollenden „Papa, das wär total peinlich!“. Schönen Dank auch!

Da ertönt schon der Startschuss und die Tochter läuft mit sechs Klassenkameradinnen in gemächlichem Tempo los, das ihnen erlaubt, sich über den neuesten Klatsch und Tratsch auszutauschen. Der Sohn dagegen spurtet in einer Geschwindigkeit los, mit der er problemlos mit dem 100m-Weltrekordler Usain Bolt mithalten könnte. Rufe ihm hinterher, die Runde sei länger als er denke und er solle langsamer machen, aber er ist schon außer Hörweite.

Nehme eine Position am Ende des Kurses ein, wo die Kinder ihre Stempel abholen, um die Anzahl der gelaufenen Runden zu dokumentieren, damit ich sie dort gleich in Empfang nehmen kann. Nach ein paar Minuten rennt der Sohn um die Kurve und ich frage ihn, ob er wirklich noch genügend Puste für eine zweite Runde habe. Er winkt nur verächtlich ab und holt sich seinen ersten Stempel ab. Kurz danach taucht auch die Tochter auf, deren Laufgruppe sich auf fünf Mädchen reduziert hat. Sie diskutieren intensiv das Finale von „Germany’s next Topmodel“ und machen keine Anstalten aufzuhören, sondern begeben sich auf die nächste Runde.

Etwas später kommt auch schon wieder der Sohn vorbei und ich erkläre ihm, es sei für einen Erstklässler keine Schande, nach zwei Runden aufzuhören. Er schüttelt nur mit dem Kopf und ruft, er laufe doch für den Frieden. Mir kommt der Gedanke, dass er vor allem gegen meinen Geldbeutel läuft. Inzwischen passiert mich auch die Tochter wieder, deren Gruppe auf vier Läuferinnen geschrumpft ist. Während sie sich abstempeln lassen, unterhalten sie sich über „The Voice Kids“ und das es toll wäre, da mal mitzumachen. Allmählich dämmert mir, dass meine Spende für den Weltfrieden wohl größer ausfällt, als ich ursprünglich dachte. Vor diesem Hintergrund erscheint mir die Teilnahme der Kinder an einer Casting-Show, aus der wir einen finanziellen Vorteil schlagen könnten, als eine Option, die wir durchaus Betracht ziehen sollten.

Kurze Zeit später rennt der Sohn rhythmisch und ausdauernd wie der Duracell-Hase an mir vorbei und reckt dem Stempelmann seinen Arm entgegen. Möchte mich nach seinem Wohlbefinden erkundigen, aber sein erstaunlich schnelles Tempo verhindert eine gepflegte Unterhaltung. Die Laufgruppe der Tochter besteht inzwischen nur noch aus drei Personen. Leider ist nicht sie es, die den Lauf beendet hat. Verfluche innerlich meinen naiven Leichtsinn, der mich zu dem generösen Spendenbetrag hat hinreißen lassen. Was nützt es dem Weltfrieden, wenn wir pleite sind und für den Rest des Monats nur noch Tütensuppen essen können? Halte hektisch nach leeren Pfandflaschen Ausschau.

Bald darauf zischt ein Kondensstreifen an mir vorbei, den ich von hinten anhand der blonden Locken als meinen Sohn identifiziere, der sich einen weiteren Stempel abholt. Mit etwas Verspätung erscheint auch die Tochter wieder, die mittlerweile nur noch mit einer Freundin läuft. Sie unterhalten sich über den süßen Jannis aus der fünften Klasse. Angesichts unseres allmählich ins uferlose steigenden Spendenbetrags versuche ich den Stempelmann davon zu überzeugen, nur noch jeden zweiten Durchlauf meiner Kinder mit einem Stempel zu dokumentieren. Er erweist sich jedoch als prinzipientreuer Kleingeist und lehnt ab, obwohl ich ihm fünf Euro für jeden ausgelassenen Stempel anbiete.

Da sehe ich in der Ferne schon wieder den Sohn ankommen, der sich mit raumübergreifenden Schritten wie ein olympischer Marathonläufer beim Zieleinlauf nähert. Bedauerlicherweise macht er aber keine Anstalten, seinen Lauf zu beenden, sondern biegt zielstrebig in seine nächste Runde ein. Die Tochter ist anscheinend auf der letzten Runde mit ihrer Freundin über den süßen Jannis in Streit geraten und läuft nur noch alleine. Wutschnaubend holt sie sich einen letzten Stempel ab und bricht den für sie nicht mehr ganz so friedlichen Lauf ab. Ich begrüße das sehr.

Der Sohn verfügt dagegen anscheinend über das Lungenvolumen und die Ausdauerfähigkeit eines Rennpferdes zu verfügen. Er absolviert Runde um Runde, bis der Stempelmann Schwierigkeiten hat, noch eine freie Stelle auf seinem Arm zu finden. Schließlich hat der Sohn ein Erbarmen und beendet seinen Lauf mit den Worten, nun habe er genügend Geld für den Frieden gesammelt. Ich weine vor Freude.

Versuche im Kopf den von uns zu errichtenden Spendenbeitrag zu errechnen, scheitere aber an den großen Zahlen. In diesem Moment kommt die Schulleiterin auf mich zu und erklärt mir freudig erregt, dass meine beiden Kinder aufgrund ihrer tollen Leistung und unserer großzügigen Sponsoringbeträge die größte Spende aller Berliner Schulen erlaufen hätten. Wegen der hohen Summe wäre es aber wohl besser, den Kindern das Geld nicht mit in die Schule zu geben, sondern den Betrag zu überwiesen. Meine Nachfrage, ob wir die Spendensumme auch in Raten zahlen könnten, wird abschlägig beschieden.

Werde auf dem Heimweg bei unserer Bank vorbeigehen und eine Erhöhung des Kreditrahmens beantragen. Was tut man nicht alles für den Weltfrieden!


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