Der Reichstagsbrand • Am 27. Februar 1933

Von Renajacob @renajacob
Mit dem brennenden Reichstag ging nicht nur das Symbol des Parlamentarismus in Flammen auf, auch die Weimarer Republik war verglommen. Seit einem Monat war Adolf Hitler Kanzler. Trotz Minderheit im Parlament ist er neben Reichspräsident Paul von Hindenburg der wichtigste Mann im Staat. Die Vorbereitungen zur Wahl, die den Nationalsozialisten die ersehnte Mehrheit bringen soll, laufen auf Hochtouren und das auf allen Ebenen. Eine Woche vor der Wahl, in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933, rückt die Berliner Feuerwehr zum Einsatz aus. Der Reichstag steht in Flammen. Der Brand beruhte auf Brandstiftung. Diese beiden Fakten sind unbestritten. Am Tatort festgenommen wurde Marinus van der Lubbe. Allerdings konnten die Umstände und vor allem die Täterschaft nicht einwandfrei geklärt werden; sie sind auch heute noch Gegenstand einer Kontroverse. Schon zwei Tage zuvor hat sich Marinus van der Lubbe mit vier Paketen Kohleanzünder der Marke Odin eingedeckt. Doch die Brände, die er im Neuköllner Wohlfahrtsamt, im Berliner Rathaus und im Stadtschloss legt, werden von aufmerksamen Passanten rechtzeitig bemerkt und gemeldet. Aufrütteln will er seine proletarischen Genossen, gegen das erstarkende Regime der Nationalsozialisten, die, aus seiner Sicht, schon zu lange ungestört voranpreschen. Am Morgen des 27. Februar 1933 kauft er nochmals vier Pakete des bereits erprobten Kohleanzünders und kundschaftet sein nächstes Ziel aus. Am Abend, kurz vor 21 Uhr, steigt van der Lubbe durch ein Fenster auf der Westseite ins Reichstagsgebäude ein. Auch bis hierher ist der Tathergang weitgehenst unbestritten. Zu den Fakten hinzuzufügen ist auch, dass es mehrere Brandherde gegeben habe, was zum einen eine hervorragende Ortskenntnis voraussetzte und sollte van der Lubbe als alleiniger Täter gelten, so hätte er diese Brandherde innerhalb von 20 Minuten entzünden müssen. Also im Laufschritt durch den Reichstag.  Die polizeilichen Ermittlungen und gerichtlichen Voruntersuchungen richteten sich neben van der Lubbe auch gegen den angeblichen Anstifter, den deutschen Kommunisten Ernst Torgler und drei bulgarische Kommunisten, Georgi Dimitrow, Blagoi Popow und Wassil Tanew. Insgesamt wurden bei der Voruntersuchung über 500 Zeugen vernommen. Die Ergebnisse aus 32 Aktenbänden wurden in einer umfangreichen Anklageschrift zusammengefasst. Die Regierung beeinflusste das Verfahren von Anfang an. Der die Untersuchung leitende Richter wurde zu Beginn durch einen Mann des Regimes ersetzt, der konsequent alle Entlastungsanträge der Beschuldigten ablehnte. Noch einen Punkt, der völlig unbestritten ist, dass Marinus van der Lubbe sich schuldig bekannte und als alleiniger Täter gelten wollte. Ein psychologisches Gutachten, auch aus den Erkenntnissen der damaligen Zeit über die Person van der Lubbes gibt es nicht, so dass seine Persönlichkeit und sein Handeln immer im Bereich der Vermutung bleiben müssen. Die sozialdemokratische Zeitung Vorwärts berichtete am 28. Februar 1933 vom Vortag, dass in den Abendstunden ein Riesenfeuer den Himmel über der Innenstadt rötete und dass die Kuppel des Reichstages in hellen Flammen gestanden habe. Feuerwehr und Polizei hätten übereinstimmend als Ursache Brandstiftung genannt, da an verschiedenen Stellen Brandnester gefunden worden waren. Kurz nach 21 Uhr sei im Reichstag Feueralarm gegeben worden. Zunächst wurde ein Feuer im Restaurant gemeldet. Dort konnten die Flammen rasch erstickt werden. Aber kurz danach wurden mehrere weitere Brandherde entdeckt. In kurzer Zeit brannte der Sitzungssaal des Gebäudes lichterloh. Die Feuerwehr war inzwischen mit 15 Löschzügen vor Ort. Diese nahmen den Kampf gegen den Brand mit zahlreichen Spritzen von verschiedenen Seiten auf. Allerdings war es anfangs wegen der Hitze unmöglich, an das Zentrum des Brandes heranzukommen. Daher beschränkte sich die Feuerwehr darauf, ein Ausbreiten der Flammen zu verhindern. Erst gegen 0:25 Uhr hatte sie das Feuer weitgehend gelöscht. Im Laufe der Zeit sammelten sich mehrere tausend Schaulustige an. Mehrere Hundertschaften der Schutzpolizei führten Absperrungen durch, da man annahm, unter den Zuschauern Komplizen ausfindig zu machen. Das Blatt berichtete weiter, dass im Polizeipräsidium eine Sonderkommission gebildet worden sei. Diese habe eine Vernehmung des festgenommenen geständigen Täters Marinus van der Lubbe durchgeführt. Dieser sei 24 Jahre alt, von Beruf Maurer und stamme aus dem niederländischen Leiden. Er blieb auch bei der ersten Vernehmung dabei, allein gehandelt zu haben. Der Vorwärts war allerdings der Meinung, dass der Täter gute Ortskenntnisse gehabt haben müsse und schloss indirekt eine Mittäterschaft der Kommunisten nicht aus. Dass der NSDAP kommunistische Täter gerade recht kamen, da ihr Wahlkampf stark gegen den ‚Marxismus’ geführt wurde, kann in diesem Zusammenhang nicht verwundern. Eher verwundert, dass nach dreimaligen missglückten Versuchen der Brandstiftung, der stark sehbehinderte van der Lubbe so ‚erfolgreich’ gewesen sein sollte. Der Chef der preußischen politischen Polizei, Rudolf Diels, der unmittelbar nach der Meldung an den Tatort geeilt war, berichtete im Rückblick über die Umstände der Festnahme und des Geständnisses van der Lubbes, die Überzeugung, dass es sich nach Meinung der Polizei um einen verrückten Einzeltäter handele. Damit stieß er bei den führenden Nationalsozialisten auf Ablehnung, die auf die Ausrufung des Ausnahmezustandes und Verhaftung von sozialdemokratischen und kommunistischen Funktionären drängten. Hermann Görings erste Äußerung nach einem Treffen mit Diels und den Größen der NSDAP: „Das ist der Beginn des kommunistischen Aufstandes, sie werden jetzt losschlagen! Es darf keine Minute versäumt werden!“ Adolf Hitlers noch schärfere Formulierungen, nach diesem Treffen: „Es gibt jetzt kein Erbarmen; wer sich uns in den Weg stellt, wird niedergemacht. Das deutsche Volk wird für Milde kein Verständnis haben. Jeder kommunistische Funktionär wird erschossen, wo er angetroffen wird. Die kommunistischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden. Alles ist festzusetzen, was mit den Kommunisten im Bunde steht. Auch gegen Sozialdemokraten und Reichsbanner gibt es jetzt keine Schonung mehr.“ Unbestritten sind die politischen Folgen. Bereits am 28. Februar 1933 wurde die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat, die Reichstagsbrandverordnung, erlassen. Damit wurden die Grundrechte der Weimarer Verfassung praktisch außer Kraft gesetzt und der Weg frei geräumt für die legalisierte Verfolgung der politischen Gegner der NSDAP durch Polizei und SA. Diese Reichstagsbrandverordnung war eine entscheidende Etappe in der Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur. Bald waren die Gefängnisse überfüllt, der Beginn der Hatz gegen den politischen Feind, vornehmlich waren das Kommunisten und auch Sozialdemokraten. Dies war auch der ‚Startschuss’ für die so genannten ‚wilden’ Konzentrationslager, in denen die reinste Willkür herrschte. Bis Mitte Mai1933 wurden allein in Preußen über 100.000 politische Gegner, darunter auch mein Großvater, verhaftet. Obwohl die Politik alles tat um gegen van der Lubbe und seine Mitangeklagten einen Schauprozess zu inszenieren, so waren noch nicht alle demokratischen Schranken gefallen. Hinzukam, das breite öffentliche Interesse und die hohe Präsens von Medienvertretern aus aller Welt. Als Staatsschutzsache kam der Fall zum Reichsgericht in Leipzig. Der Angeklagte Dimitrow war fünf Monate lang ständig mit eisernen Handschellen gefesselt, die Schmerzen verursachten. Er musste sogar Briefe an das Gericht und seinen Anwalt in diesen Fesseln schreiben. Das Gericht bestellte einen Anwalt für Dimitrow. Mehrere Versuche Dimitrows, einen Anwalt seines Vertrauens zu erhalten, scheiterten. Am 21. September 1933 wurde der Prozess vor dem IV. Strafsenat des Reichsgerichts eröffnet. Der Vorsitzende Richter war Wilhelm Bünger, ehemals Mitglied der DVP, Landesminister in Sachsen und kein Anhänger des neuen Regimes. Die Verhandlungen waren in weiten Teilen geprägt von politischen Auseinandersetzungen. Dimitrow hatte sich in der Haft intensiv mit dem deutschen Strafrecht und der Strafprozessordnung vertraut gemacht und lieferte sich als guter Rhetoriker heftige Redeschlachten mit den Vertretern der Anklage, versuchte die Belastungszeugen in Widersprüche zu verwickeln und stellte eine Vielzahl von Beweisanträgen. Durch die zahlreichen in- und ausländischen Pressevertreter konnte er sich seiner medialen Wirkung sicher sein. Die Richter, sowohl von der Presse wie auch der Regierung kritisch beobachtet, erwiesen sich gegenüber Dimitrow als hilflos. Ihre einzige Waffe war dessen mehrfacher Ausschluss vom Verfahren. Bemerkenswert ist, dass einige Zeugen, die als Inhaftierte in Konzentrationslagern unter Druck gegen die Angeklagten ausgesagt hatten, vor Gericht ihre Aussage widerriefen. Ein Gutachter kam zwar im Verlauf des Prozesses zu dem Urteil, dass van der Lubbe unmöglich der alleinige Täter sein könne; insbesondere die ausländische Öffentlichkeit blieb aber skeptisch. Beim Angeklagten van der Lubbe vertiefte sich der Eindruck, dass er dem Prozessgeschehen nicht immer folgen konnte. Die Wende sollte der Auftritt von Goebbels und Göring bringen. Göring griff die Kommunisten scharf an, ließ sich aber von Dimitrow aus der Fassung bringen. Geschickter verhielt sich Goebbels; aber auch ihm gelang es nicht, den Eindruck eines nationalsozialistischen Schauprozesses zu entkräften. Die zehn Verhandlungen, die am meisten internationales Aufsehen erregten, fanden im Saal des Haushaltsausschusses im weitgehend unzerstörten Reichstagsgebäude statt. Das Urteil, zu dem keine Revision möglich war, erging am 23. Dezember 1933. Danach wurde zwar die These einer kommunistischen Verschwörung aufrechterhalten, doch die Angeklagten Torgler, Dimitrow, Popow und Tanew wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Der Angeklagte van der Lubbe wurde wegen Hochverrats in Tateinheit mit aufrührerischer Brandstiftung und versuchter einfacher Brandstiftung zum Tod und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Das Urteil in Hinsicht auf die angeblichen Verschwörer wurde im Ausland mit Erleichterung, von der nationalsozialistischen Presse, mit Entrüstung aufgenommen. Van der Lubbe wurde am 10. Januar 1934 durch die Guillotine hingerichtet. Aus nationalsozialistischer Sicht erfüllte der Prozess nicht ihren Anforderungen, die Konsequenz daraus war die Einrichtung des Volksgerichtshof; hier konnten dann Schauprozesse nach ‚Gutdünken’ vollzogen werden. Das Terrorregime begann Formen anzunehmen. Meinungen zum Geschehen um den Reichstagsbrand gab es viele, je nach politischer Einstellung. Mein Großvater erzählte mir einen Witz, der damals hinter vorgehaltener Hand erzählt wurde: Eine Familie sitzt beim Mittagessen am Tisch, da fragt der Sohn des Hauses: „Papa, wer hat eigentlich den Reichstag angezündet?“ Der Vater schaut missmutig hoch, die Mutter zuckt zusammen und beide antworten im Chor: “Ess, ess, mein Sohn…“ Vielleicht spiegelt dieser Witz die Meinung des ‚Mannes auf der Straße’ recht gut wider, wie das häufig bei politischen Witzen ist. Natürlich weitaus eleganter spottete Sebastian Haffner 1939 im englischen Exil: „Komisch allerdings auch, dass die Nazis sich gerade über den Reichstag so aufregten. Bis dahin hatten sie ihn immer ‚Quatschbude’ genannt, und jetzt auf einmal war es die Schändung des Allerheiligsten, dass ihn einer angezündet hatte.“ Bis heute gibt es keine abschließende Historikerforschung zu diesem Fall, nach dem Krieg machten sich zwar einige auf, den ‚Fall Reichstagsbrand’ historisch zu klären, doch gab es zu viele politische Einflussnahmen, zu viele vage ‚Expertisen’ und zu wenig Bestrebungen den Fakten auf den Grund zugehen. Auch sind die Leipziger Akten erst nach dem Fall der Mauer für alle deutschen Historiker einsehbar. Es wäre durchaus an der Zeit, dies nachzuholen, vielleicht von einer unabhängigen Kommission, berufen durch den Reichstag. Der Mühe wäre es alle Mal, auch um auch diese Lücke historisch zu schließen.

Weiterlesen: ➼ Nationalsozialismus: Beginn des Terrors im Lager-System

➼ Geheimtreffen von NSDAP + Wirtschaft am 20. Februar 1933

darüber hinaus:

➼ Wie alles begann: Grundstein für ein Terrorregime

➼ 30. Januar 1933 • Beginn eines Terrorregimes

➼ Machtübergabe►30. Januar 1933►Und Heute: 30. Januar 2013

➼ Das Heimtückegesetz vom 20. Dezember 1934

zur Moritat:

➼ Ernst Busch • Der Mann der Arbeiterlieder 

Bild 1: Reichstagsbrand 27.02.1933 – Quelle: wikimedia.org · Bild 2: Zuschauer beim Löschen des Reichstags – Quelle: berliner-feuerwehr.de · Bild 3: NSDAP Zeitung vom 28.02.1933 – Quelle: vulture-bookz.de · Bild 4: van der Lubbe vor Gericht – Quelle: mahnung-gegen-rechts.de · Bild 5: Gericht in Leipzig, Vernehmung von Goebbels – Quelle: histor.ws