Den Titel, eine Aussage des Sohnes von Arne Salig, finde ich sehr aussagekräftig und passend für das Stimmungsbild hochsensibler Kinder. Zu Beginn gibt es eine kurze Einführung mit einem kleinen historischen Rückblick sowie einen Test aus 31 Fragen, der alle relevanten Aspekte beinhaltet. Danach geht der Autor ausführlich auf die Hauptcharakteristika hochsensibler Kinder ein. Besonders schön und traurig fand ich die gesammelten Aussagen hochsensibler Erwachsener über ihre Gefühle als Kinder und Jugendliche (S. 31-33). Wer sich hier wiedererkennt, ist mit ziemlicher Sicherheit hochsensibel.
Arne Salig legt wie viele andere Autoren Wert darauf, festzustellen, dass es nicht das eine ausschlaggebende Merkmal hochsensibler Kinder gibt, sondern die verschiedenen Charakteristika ganz unterschiedlich ausgeprägt sein können. Für alle gilt jedoch: "Hochsensible Kinder nehmen Eindrücke und Emotionen deutlich intensiver wahr und verarbeiten diese aufgrund ihrer komplexen Art zu denken auch noch intensiver." (S. 41). Sind also gewissermaßen einer doppelten Reizüberflutung ausgesetzt. Oder wie es der Sohn von Salig beschreibt: "Mein Gehirn läuft gerade über!" (S. 41) Spannend jedoch auch die direkt darauffolgende Aussage: "Von außen betrachtet wirken ironischerweise jedoch gerade diese geistig hochaktiven Kinder oft antriebs- und lustlos." (S. 41) Das habe ich so noch nirgends gelesen, kann es aber aus eigener Erfahrung mit meinem Sohn nur bestätigen und habe oft Schwierigkeiten, diese Diskrepanz zu akzeptieren, weil sie den Familienalltag sehr beeinträchtigt. Leider geht er im Buch nicht weiter darauf ein.
Danach folgt ein Erfahrungsbericht einer Mutter eines 3 1/2-jährigen Mädchens, die eindeutig sagt, dass sie ihr Kind und dessen Besonderheiten nicht als negativ, aber als unglaublich anstrengend empfindet. Anhand ihrer Notizen aus dem Baby- und Kleinkindalter ihrer Tochter kann man ähnlich wie in einem Test versuchen zu erkennen, ob die Charakteristika zum eigenen Baby/ Kind passen. Das fand ich sehr hilfreich, wird doch auf die Babyzeit in vielen anderen Büchern nur sehr kurz eingegangen. Auch hier erkannte ich meinen Großen in unzähligen Aussagen, darunter auch solchen wie "... war von allem schnell gelangweilt" und "...brauchte schon immer viel Input" (S. 49) wieder. Aufgrund des Widerspruchs zur schnellen Überreizung brachten mich solche Aspekte immer etwas zum Zweifeln, deshalb ist es umso interessanter zu lesen, dass es bei anderen hochsensiblen Kindern auch so war/ist.
Es schließen sich weitere Erfahrungsberichte aus dem Alltag mit hochsensiblen Kindern an, die alle die vielfältigen Facetten dieser Kinder zeigen. Interessanterweise stammen alle diese Berichte von Müttern. Beobachten Väter ihre Kinder tendenziell nicht so intensiv, können sie mit dem Thema weniger anfangen oder sehen sie die Unterschiede zu nicht-hochsensiblen Kindern einfach nicht? Diese Fragen wären mal eine nähere Betrachtung wert. Erschreckend klangen einige Aussagen von Erzieherinnen, dass das Thema auch über zwei Jahrzehnte seit Beginn der Forschung nicht nur nicht bekannt ist, sondern sogar vom pädagogischen Personal belächelt wird. Selbst eine Erzieherin aus einer kirchlichen Kita berichtet, dass das Thema dort nicht ernst genommen, sondern "eher als ein esoterisches oder spirituelles wahrgenommen wird" (S. 61). Hier muss dringend Schulung und Umdenken erfolgen, ebenso im kinderärztlichen und therapeutischen Bereich, damit adäquat auf hochsensible Kinder, die keine Diagnosen und Therapien, sondern Verständnis, Akzeptanz und Unterstützung brauchen, eingegangen werden kann.
Das Buch schließt mit vielen praktischen Tipps für Eltern, Erzieher und Lehrer, die vor allem den folgenden Grundsatz beherzigen sollten: " Was die hochsensiblen Kinder statt selbstbemitleidender Entschuldigungsstrategien brauchen, sind Lebensstrategien, die auf Selbsterkenntnis und Selbstakzeptanz beruhen." (S. 100) Es ist eine "Gratwanderung zwischen Achtsamkeit, Rücksicht und Verständnis auf der einen Seite und einem entspannten Umgang mit der Hochsensibilität auf der anderen Seite" (S. 100). Die Grundlagen dafür werden zuhause gelegt. Doch auch in Betreuungseinrichtungen, wo ganz andere Dynamiken herrschen als zuhause, muss sich weitergebildet werden. Gerade die wichtige "Hilfe zur Selbsthilfe" (S. 75) kann man gut im Gruppenalltag vermitteln, unterstützen und üben. Doch dazu müsste das Thema erstmal in pädagogische Lehrpläne aufgenommen werden und eine Bereitschaft da sein, es nicht einfach als ein neues "Modethema" anzusehen. Dahin scheint es noch ein weiter Weg zu sein.
Das Buch ist trotz des geringen Umfangs sehr hilfreich, gut lesbar und mit interessanten Erfahrungsberichten gefüllt. Auf 106 Seiten kann natürlich auf viele Aspekte nur kursorisch eingegangen werden. Trotzdem ist es aber an keiner Stelle oberflächlich, sondern tatsächlich eine wertvolle Ergänzung zur schon vorhandenen Literatur über hochsensible Kinder (siehe rechte Seitenleiste).
Hier noch einmal der Link zum Buch (Affiliate Link): Der Regen kämpft mit meiner Fröhlichkeit: Die Seele des hochsensiblen Kindes, erschienen im Juli 2015 im Mellingburger Verlag.
Ich danke Arne Salig für das Rezensionsexemplar und wünsche ihm viele interessierte und engagierte Leser.