Der Präsident nervt

5.1.2012 – Als politischer Blogger ist man in den letzten Wochen hin- und hergerissen: Fast jeden Tag gibt es neue Berichte, weitere Enthüllungen und kleinschrittige Details über den angeschlagenen Bundespräsidenten und seine Affäre. Soll man sich selber regelmäßig hierzu äußern und, wie große Teile der deutschen Presse, den „Run auf Bellevue“ mitmachen oder sich lieber heraushalten und abwarten?

Der Präsident nervtWir erleben einen Christian Wulff, der sich mit Verzweiflung am Amt festhält. Über einen Rücktritt will er in den vergangenen Wochen nicht einmal nachgedacht haben. Medien, Opposition und auch Teile der Regierung sind kurz davor, endgültig die Geduld mit  dem Mann zu verlieren, der eigentlich die politisch routinierte Antwort auf Horst Köhler sein sollte. Aber könnte man ihn gegen seinen Willen überhaupt loswerden?

Der Präsident nervt

Vom Kämpfer zum Pudel

Gestern Abend nahm die Affäre um Wulffs Person und Amtsverständnis ihren vorläufigen Höhepunkt. Im Doppelinterview stellte sich der Bundespräsident 21 Minuten lang den Fragen der Chefredakteure Ulrich Deppendorf (ARD) und Bettina Schausten (ZDF).

Neue Erkenntnisse ergaben sich aus dem vordergründig kontrovers inszenierten Gespräch nicht. Jeder der drei Gesprächsteilnehmer agierte und reagierte exakt so, wie man es erwartet hatte. Die Fragen der beiden Journalisten wurden zwar in forderndem Ton und ohne erkennbare Demut vor dem Präsidenten vorgetragen. Ihr Inhalt entsprach jedoch allem Anschein nach dem, was man im Vorfeld mit dem Bundespräsidialamt abgesprochen hatte.

Christian Wulff selber wechselte für das Gespräch das Rollenfach. Hatte er sich bei seiner ersten öffentlichen Erklärung noch kämpferisch und selbstbewusst gegeben, so schlüpfte er gestern in die Rolle des gekränkten Staatsoberhauptes, das die Menschenrechte für sich reklamiert, darauf besteht, zwar Fehler gemacht aber doch nicht Unrecht getan zu haben und für sich in Anspruch nimmt, bis zum Ende der offiziellen Amtszeit Präsident zu bleiben.

Aus kostenlosen Urlaubsaufenthalten auf den Luxusanwesen vermögender Gönner wurden Übernachtungen im Gästezimmer von Freunden, aus dem Versuch, die Presse unter Druck zu setzen wurde die Bitte um einen kleinen Aufschub, zum Schutz der eigenen Familie. Und die Taktik, immer nur das zuzugeben, was ohnehin schon in die Öffentlichkeit gedrungen ist, erklärte Wulff schließlich zum verantwortlichen Abarbeiten von 400 Anfragen an ihn und seine Anwälte.

Der Präsident räumte, wie schon zuvor, zwar Fehler ein. Die Entschuldigung hierfür richtete sich jedoch nicht an die Bürger, die er zu vertreten hat sondern eher an die Freunde, die durch seine Affäre jetzt in der Öffentlichkeit stehen, an den BILD Chefredakteur Kai Diekmann, den er unter Druck setzte und vor allem an sich selber und seine Familie.

Der Präsident nervt

Spielen Details noch eine Rolle?

Die Causa Wulff besteht mittlerweile aus drei Teilen. Auslöser und Basis bilden die Enthüllungen über die Finanzierung und spätere Umschuldung seines Hauses. Hinzugekommen sind seine mehrfachen Versuche, die Presse davon abzuhalten, bestimmte Berichte über ihn, seine Familie und seine Freunde zu veröffentlichen.

Die eigentliche Affäre besteht mittlerweile allerdings längst in dem konkreten Umgang des Präsidenten mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen.

Der ganze Fall ist von Tag zu Tag vielschichtiger geworden und umfasst inzwischen unzählige Details. Und natürlich gibt es zu jeder neuen Information auch eine mehr oder weniger schlüssige Erklärung. Es stellt sich nur die Frage, ob es sinnvoll ist, die Affäre tatsächlich detailgetreu zu betrachten, wenn doch im Prinzip längst jeder weiß, womit man es eigentlich zu tun hat:

Christian Wulff hat sowohl während seiner Amtszeit als Ministerpräsident von Niedersachsen als auch in seiner Funktion als Bundespräsident Fehler begangen. Jedem ist mittlerweile klar, dass es sich bei ihm um jemanden handelt, der nicht abgeneigt ist, Vorteile in Anspruch zu nehmen, die ihm als Privatperson nicht zustehen würden.

Der Chef einer Fluggesellschaft würde nicht im Traum auf den Gedanken kommen, mir einen stark vergünstigten Flug zu vermitteln. Carsten Maschmeyer würde mir weder anbieten meine Urlaube auf seinen Anwesen zu verbringen noch mehrere zehntausend Euro in die Vermarktung meiner Publikationen investieren. Und meine Möglichkeit, mich über einen Bericht in der BILD oder der WELT zu beschweren scheitert bereits daran, dass ich nicht im Besitz der privaten Handynummern von Kai Diekmann oder den Vorständen von Springer bin.

Wir müssen uns mit den Details der Affäre nicht mehr befassen, weil doch längst klar ist, dass sie nicht dem entsprechen, was wir mit Recht von einem Bundespräsidenten erwarten, wenn wir dieses Amt überhaupt noch ernstnehmen können und wollen.

Der Präsident nervt

Die Geister, die ich rief

Wenn wir uns schon das antiquiert wirkende Repräsentationsamt eines präsidialen Staatsoberhauptes leisten, dann sollte es sich bei dem Präsidenten um jemanden handeln, der in großer Distanz zum politischen Tagesgeschäft über den Verstand und die Weisheit verfügt, Dinge von grundsätzlicher Bedeutung anzusprechen und zu moderieren.

Ein Präsident, der sein Amt vor allem dem Ausfall seines Vorgängers zu verdanken hat, der aus parteipolitischem Kalkül einer machtbezogenen Kanzlerin gewählt wurde und der vielschichtig mit Personen verstrickt zu sein scheint, die wir nur aus der Boulevardpresse kennen wollen, kann den hohen Erwartungen nicht entsprechen.

Das alles war übrigens bereits zum Amtsantritt von Christian Wulff bekannt und es gab ausreichend kritische Stimmen, die das, was wir jetzt erleben, rechtzeitig vorausgesagt haben. Der Bundespräsident führt uns zur Zeit vor, dass wir ihn gegen seinen Willen kaum loswerden können. Wenn Wulff weiterhin nicht zurücktritt, dann bleibt nur der Weg einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

Hierzu müssten jedoch zwei Drittel des Bundestages oder des Bundesrates den Vorwurf der vorsätzlichen Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes erheben.

Abgesehen von der höchst unwahrscheinlichen Mehrheit hierfür, weiß Christian Wulff selber, dass ein solcher Schritt rechtlich kaum darstellbar wäre. An dieser Stelle, ganz am Ende des gestrigen Interviews, kann er deshalb wieder selbstbewusst reagieren:

„Ich habe weder jetzt im Amt als Bundespräsident gegen irgendein Gesetz verstoßen noch vorher. Es geht nicht um Rechtsverstöße, sondern es geht um die Frage von Transparenz, von Darlegung, von Erklärung.“

Dass es um Darlegung, Erklärung und Interpretation geht, haben wir alle längst verstanden. Geholfen hat das bisher allerdings nicht.

 



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