Der perverse Zusammenhang zwischen Angst und Information: Fukushima

Der perverse Zusammenhang zwischen Angst und Information: Fukushima
Der perverse Zusammenhang zwischen Angst und Information: Fukushima

Einer der wesentlichen Grundpfeiler der Aufklärung war die Überzeugung, dass Wissen (Information) dem Menschen die Angst nehmen kann:

Solange jeder Donner als Willensäußerung der Götter gilt ängstigt uns unsere scheinbare Hilflosigkeit,
wenn wir die dahinter stehenden Mechanismen verstehen, verliert der Donner seinen Schrecken
und wir können unsere Sicherheit durch den Bau von Blitzableitern nachweislich vergrößern.

Dass dieser Ansatz in vielen Fällen nicht stimmt, scheint eine aktuell vom Meinungsforschungsinstitut "market" veröffentlichte Studie zu belegen, die Der Standard so zusammenfasst:
Die Angst der Österreicher, dass sie in ihrem Land von einer Atomkatastrophe heimgesucht werden könnten, ist seit dem Super-GAU von Fukushima regelrecht explodiert. Während unmittelbar nach den Reaktorunfällen im Frühling 2011 in Japan nur 27 Prozent glaubten, dass sie ein derartiges Szenario betreffen könnte, tun das mittlerweile 78 Prozent. Das zeigt eine Umfrage des Linzer "market"-Instituts, deren Ergebnisse am Mittwoch veröffentlicht wurden.
http://derstandard.at/1350258660435/Angst-vor-Atomkatastrophe-in-Oesterreich-explodiert

Die Studienautoren fassen ihre Ergebnisse so zusammen:
Die Nähe zu Europa´s Kernkraftwerken und die medialen Berichterstattung über zum Teil große Sicherheitsmängel der AKW hat den Österreichern Angst gemacht.
Die Angst verstärkt sich noch mit höherem Alter, niedrigerem Bildungsstand und auch in den ländlicheren Regionen ist das Vertrauen in die Kernkraftwerke der Nachbarländer massiv gesunken. Fukushima war weit weg und die dramatischen Bilder von damals lehrten uns nicht das Fürchten. Erst die Ergebnisse der Stresstests haben die Einstellung der Österreicher zu Atomstrom wirklich massiv verändert.

http://www.market.at/de/market-aktuell/news/entity.detail/action.view/key.781.html

Jetzt entzieht es sich meiner Kenntnis, wer diese Studie bei market in Auftrag gegeben hat und welche Absicht damit verbunden war.
Die Behauptung, dass erst die "Stresstests" bzw. deren Ergebnisse die Menschen beunruhigt hätten entspricht nicht ganz der eigenen Erfahrung unmittelbar nach dem Supergau von Fukushima, wo bisweilen der helle Wahnwitz Leute in Österreich getrieben hat, Kaliumjodidtabletten zu schlucken,
jedoch bleibt der beunruhigende Eindruck, dass 
rationale Information Menschen ängstigt -  und wie schon hier ausgeführt- ,
dass diese Angst zum falschen Zeitpunkt -nämlich zu früh im Sinne einer Ejaculatio präcox (http://wp.me/p1kfuX-39) - auftritt.

Dass dafür neben der hysterisierende medialen Berichterstattung (Nach 100% ist es aus, das Kasperltheater http://wp.me/p1kfuX-cc)
auch die Lust am Fremdfürchten (http://wp.me/p1kfuX-27) und
unsere prinzipielle Unfähigkeit mit statistischen Informationen über Risiko umzugehen verantwortlich ist wurde hier schon ausgeführt (http://wp.me/p1kfuX-1M).

Ich komme im Zuge der jetzigen Veröffentlichung noch einmal auf das Problem zurück, weil es beispielhaft zeigt, dass wir
zuerst lustvoll in Panik geraten,
weil wir keine Informationen haben,  um das Allerschlimmste auszuschliessen aber innerlich wissen, nicht direkt betroffen zu sein (Fremdfürchten)
dann aber,
wenn wir durch zwischenzeitliche Information die Dimension eines Problems eingrenzen könnten,
überschiessend reagieren, weil uns die Informationen klar machen, dass wir doch persönlich - wenn auch in geringem Ausmaß - betroffen sind.

Ich kann mich noch an unzählige, hektische Reporter erinnern, die in den Tagen nach dem Unfall in Fukushima von allen österr. Interviewpartnern nur hören wollten, dass nun Japan für Generationen unbewohnbar sein wird und eher unwillig darauf reagierten, wenn man ihnen vorrechnete, dass die maximale Zunahme der Karzinomrate im einstelligen Prozentbereich liegen wird (Bei einem Ausgangswert von etwa einem Drittel der Menschen in den Industriestaaten, die bereits bisher an einem Karzinom versterben.)

Inzwischen haben wir sehr detailierte Analysen, wie hoch die Strahlenexposition der Japaner (vom Tepco-Mitarbeiter bis zum Bewohner der südlichsten Insel) war und ist (eine von vielen rezenten Zusammenfassungen z.B.:  http://www.world-nuclear.org/info/fukushima_accident_inf129.html) und unter Berücksichtigung aller strahlenbiologischen Erkenntnissen des letzten Jahrhunderst können sagen, dass die initiale Abschätzung wichtig war:

Eine expositionsbedingten Zunahme an Karzinomen in der japanischen Allgemeinbevölkerung wird quantitativ so gering sein, dass sie sich dem statistischen Nachweis enziehen wird.
Das heißt nicht, dass hier "nichts passiert ist", denn auch der statistisch nicht erfassbare zusätzliche Todesfall ist einer, zu dem es ohne der Katastrophe nicht gekommen wäre und selbst Prozentwerte weit in den Rechtskommastellen sind hochgerechnet auf eine große Population eine große Anzahl.

Aber wer will von der "Normalbevölkerung"  verlangen hier adäquat zu reagieren, wenn in der aktuellen Ausgabe der Österr. Ärztezeitung (http://www.aerztezeitung.at/archiv/oeaez-2012/oeaez-18-25092012/politische-kurzmeldungen-ebola-fukushima-stevia-produkte-mutter-kind-pass.html) zu lesen ist:

Fukushima: erster Fall von Schilddrüsen-Krebs
 Nach der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 wurde nun der erste Fall von Schilddrüsen-Krebs bei einem Jugendlichen bestätigt. Da die Behörden es verabsäumten, Jodtabletten an Kinder im Umkreis von 100 bis 150 Kilometern auszuteilen, werden seit der Katastrophe alle 360.000 Kinder und Jugendlichen der Region untersucht. Von den bis März 2012 untersuchten 38.000 Kindern hatten 13.382 (36 Prozent) Zysten und Knoten in der Schilddrüse. Hochgerechnet könnten damit insgesamt mehr als 100.000 Kinder bereits Zysten und Knoten haben und im schlimmsten Fall 25.000 ein Karzinom entwickeln. Nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 wurden offiziell 4.000 Fälle von Schilddrüsen-Krebs registriert; die Dunkelziffer war allerdings viel höher.

Damit bezog man sich auf eine auch in der japanischen Presse diskutierten Report der Forschergruppe, die die Schilddrüsenreihenuntersuchungen von 360,000 Bewohnern organisiert hat, die am 11.3.2011 > 18 Jahre alt waren und bislang 80.000 Personen untersucht hat, aber explizit keinen Zusammenhang zwischen dem gefundenen Fall von Schilddrüsenkrebs (der schließlich auch außerhalb von Japan auftritt) und der Strahlenexposition durch die Freisetzung aus den havarierten Reaktoren herstellt:
 Shinichi Suzuki, a professor at Fukushima Medical University performing the medical checks, said that there was no confirmed link between the case and radiation released during the nuclear crisis. "Even in the case of Chernobyl, it took at least four years" before residents developed thyroid cancer symptoms, Suzuki said.
http://www.japantimes.co.jp/text/nn20120913b7.html 
Na, da soll sich nun der Laie noch auskennen! Trotzdem ein Versuch:

Erstens entspricht 1/80.000 = 0,0013%  der Rate jugendlicher Schilddrüsenkarzinome auch in anderen Ländern.
Zweitens, wie schon in der japanischen Stellungnahme angeführt, wissen wir, dass zwischen Strahlenexposition und Krebsentstehung eine gewisse Latenzzeit verstreicht.
Natürlich scheint diese kürzer, wenn man durch intensive Untersuchungen (Screening), das Karzinom schon früher entdeckt, aber trotzdem wäre eine Latenzzeit von 1,5 Jahren sehr kurz.

Nochmals, das schließt nicht aus, dass gerade diese Person ihr SD-Karzinom dem J-131 aus dem Reaktor von Fukushima "verdankt", aber es beweist es auch nicht!

 
Die an 46/62 Personen aus dem Unfallgebiet gemessene mediane Äquivalenzdosis der Schilddrüsen wird bei Kindern mit 4,2 mSv und bei Erwachsenen mit  3,5 mSv angegeben (http://www.nature.com/srep/2012/120712/srep00507/pdf/srep00507.pdf).
Die Werte unter den Evakuierten nach dem Unfall in Chernobyl lagen um den Faktor 4-5 höher, so dass aus diesem Grunde zu erwarten wäre, dass Anzahl der statistisch auf das in Fukushima freigesetzte Radiojod  zurückzuführenden Schilddrüsenkarzinome nicht höher sondern eher niedriger sein müsste, wenn man eine lineare Wirkungsbeziehung postuliert.
Auch hier kann eingewendet werden, dass exakte Messungen nur an einer im Vergleich zur betroffenen Gruppe kleinen Anzahl an Personen vorliegen, jedoch wurden sehr viele Menschen aus der Region grob gemessen und deutlich höhere Werte wären dabei aufgefallen.
Natürlich sind andere Faktoren (Messungenaugigkeiten, Jodversorgung im Unfallgebiet, bewußte Falschmessungen, unterschlagene Daten, ... etc.) zu bedenken, aber aus den 38% Knoten und Zysten auf 25.000 Karzinome hochzurechnen ist unzulässig, da aus dem Vorliegen von kleinen strukturellen Veränderungen (Knoten < 5 mm und Zysten < 20 mm) nicht geschlossen werden darf, dass es sich hierbei um Vorstufen eines Karzinoms handelt. Die Berechnung von 25.000 Karzinome basiert aber darauf, dass etwas jede 4. dieser Veränderungen ein Karzinom darstellt und dafür fehlt die Evidenz.
Die Voraussage der Ärztezeitung ist einfach unwissenschaftlich, nicht weil sie nachweislich falsch, sondern weil sie rein spekulativ,
d.h. ohne naturwissenschaftliche Basis ist.

Richtiger wäre darauf hinzuweisen, dass die intensive Untersuchung von jugendlichen Schilddrüsen im Unfallgebiet eine deutlich höhere Frequenz von morphologischen Organveränderungen gezeigt hat, als in dieser Altersgruppe erwartet wurde und diese Probanden somit weiter in engmaschiger Kontrolle bleiben müssen,
um einerseits auftretende Karzinome frühzeitig identifizieren zu können
(Knoten und Zysten < 5 mm sind durch Feinnadelpunktion und zytologische Untersuchung nicht sicher abklärbar, so dass es einer Verlaufsbeobachtung bedarf) und
in den nächsten 5-15 Jahren vielleicht eine exakte Aussage über die durch den Supergau verursachten Schilddrüsenkarzinome bei Jugendlichen Unfall möglich wird.
 Weiters hätte erklärt werden müssen, dass das nun entdeckte Schilddrüsenkarzinom, ebenso wie die kindlichen Schilddrüsenkarzinome die auch in Österreich seit Jahrzehnten dokumentiert sind, wissenschaftlich nicht durch den Supergau in Fukushima erklärt werden können.

Wenn aber die Österr. Ärztezeitung, eine Publikation die sich ausschließlich an Ärzte richtet, auf Schlagzeilenjournalismus und nicht die naturwissenschaftlichen Grundlagen unseres Berufs setzt, wird verständlich, dass die Menschen durch jede Information verängstigt werden.

Link:
Vergleiche kritische Analyse des Problems (engl.) http://www.japanfocus.org/-Iwata-Wataru/3841
http://www.japantimes.co.jp/text/nn20120828a5.html
 


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