Der Ohrwurm – ein auditive Erinnerung

Von Lukas Röthlisberger @Adekagabwa

Erinnerung sind im Gehirn gespeicherte Sinneseindrücke, nach heutiger Kenntnis in Form von neuronalen Verknüpfungen. Wir sehen etwas, und das prägt sich irgendwie in unserem Kopf ein. Wenn wir die Erinnerung abrufen, so können wir uns die Sache in Gedanken mehr oder weniger vorstellen, und dann können wir es beschreiben. Aber meist sind visuelle Eindrücke ungenau, Gerüche und Geschmack können wir nur schwer benennen (dafür erkennen wir sie aber sofort wieder) und für die Erinnerung an Berührungen haben wir nur wenige, grobe Begriffe.

Eine Sonderform ist das Gehör: manchmal geht uns eine Melodie nicht aus dem Kopf und wir nennen sie Ohrwurm. Diese Erinnerung ist dann so lebendig und autonom, dass sie einen sogar lästig wird. Bei der visuellen Erinnerung ist das sehr selten und kommt meist nur bei wirklich  traumatischen Ereignissen vor.

Ich erinnere mich ganz lebhaft an bestimmte Geräusche aus meiner Jugend:
Ich denke da zuerst an die paar Schallplatten, die ich als Kind hatte. Zum Beispiel die Kasperli-Platte: einige Sequenzen kann ich heute noch im Originalton aufsagen. Oder die Musik bei Peter und der Wolf. Aber auch die Stimme des Sprechers bei der Vogelstimmenplatte (“Sumpfrohrsänger” sagte die Männerstimme zum Beispiel). Ich hatte sogar eine Single (sieben Minuten). Diese Mini-Schallplatte hatte ich mal an einem Bazar geschenkt bekommen. Es war die Hörspielfassung eines Karl-May Buches. Allerdings hatte das Hörspiel zwei Dutzend Platten und ich hatte nur eine einzige aus der Mitte. Gerade dort, wo die Indianer mit viel Geheul Santa Fe überfielen und ein Cowboy die “Roten Hunde” verfluchte. Ich höre Ihn heute noch. Da half natürlich die Wiederholung mit.

Genauso höre ich noch den Klang, wie mich mein indonesischer Freund in Banjarmasin (Indonesien) rief. Oder die Stimme meines Primarlehrers, Herr Witzig.

An was für Geräusche erinnerst Du dich noch?

Der Radiomoderator und Jazz-Kenner Joachim-Ernst Berendt (1922-2000) hat ein grossartiges Buch über das Hören geschrieben (Das Dritte Ohr, Vom Hören der Welt). Auf fünfhundert Seiten verdeutlicht er, dass das Gehör exakter, nachhaltiger und eigentlich wertvoller ist, als das Sehen. Dass sich das Gehör gegenüber dem Auge nur schwer täuschen lässt. Und dass wir vierdimensional hören aber nur dreidimensional sehen.

So lässt sich dann wohl auch unsere enorme Geräusch- Erinnerungsfähigkeit verstehen.


Santa Fe / 45cm x 65cm / Acryl auf Aquarellpapier / 2005, Nr. 05-031