Tag 9 - Kvikkjokk bis Metallsteg Bach (30 km - davon 4 km Bootsfahrt)
Als ich am Morgen Kvikkjokk erreiche, bin ich erst circa fünf Kilometer gelaufen und so mache ich mich nach einer kurzen Pause in der Fjällstation wieder auf die Socken.
In der Station herrscht Aufbruchstimmung, weil hier viele Wanderer ihre Tour beenden oder in die andere Richtung starten.
Ich habe das Gefühl der einzige Mensch zu sein, der weiter Richtung Süden läuft. Und das ohne Mückenspray.
So trotte ich etwas niedergeschlagen zum Bootssteg. Doch im Boot sitzt schon eine weitere Hikerin und ich sag zu ihr: also gibt es doch noch andere verrückte die weiter Richtung Süden laufen?
Und wenig später kommt sogar noch eine Dame hinzu.
Von einem lustigen Local werden wir im Motorboot über den See gefahren. Mit Umwegen. Direkt am Anfang fragt er uns, ob er uns noch ein paar interessante Ecken zeigen soll.
Naja, warum nicht, oder?
Und so fährt er uns kreuz und quer über den See und klärt uns über Flora und Fauna auf. Allerdings ist der Außenbordmotor relativ laut und er redet sehr leise, so dass ich mit Sicherheit ein paar interessante Fakten über die Naturwelt Schwedens verpasst habe.
Schlussendlich erreichen wir doch noch das andere Ufer und ich setze mir umgehend meinen neu erworbenen Moskito-Hut auf. In Puncto Fashion, kann ich damit wahrscheinlich nicht bei den Mädels punkten aber man muss Prioritäten setzen.
In der ersten Woche als das Wetter gut und die Luft mückenfrei war, war ich sehr froh alleine unterwegs zu sein.
Aber opportunistisch wie ich bin, freue ich auf diesem mühsamen Abschnitt sehr über meine Begleitung.
Dabei handelt es sich um zwei Lehrerinnen. Vanessa aus UK und Suzanne aus den USA. Ich habe auf meinen diversen Reisen schon feststellen können, dass die Fernwanderwege der Welt den LehrerInnen gehören.
Das dumme Aussehen ist nicht der einzige Nachteil des Mückenhuts. Zum einen staut sich darunter die Hitze und zum anderen ist die Sicht stark eingeschränkt.
Und so stolper ich weite Strecken, schwitzend durch den Wald.
Fast hätte ich mit meinem Wanderstock diesen putzigen Babyvogel aufgespießt. Die Eltern bauen gerne mal ihre Nester genau neben den Bohlen.
Unter den Bohlen flitzen außerdem oft Lemminge entlang. Versehentlich habe ich fast einen zermatscht, weil er darunter durch gelaufen ist und ich die Bohlen durch mein Gewicht nach unten gedrückt habe.
Nach einem langen Tag finden wir einen geeigneten Schlafplatz und bauen wie die Pioniere ein schönes kleines Fort.
Tag 10 - Metallsteg Bach bis Aussichtspunkt (25 Km)
Als ich am nächsten Tag aus dem Zelt steppe, sind die Mädels schon weitergezogen. Und regnen tut es auch. Im Regen das Zelt abbauen macht immer Laune (Nicht).
Dafür kann ich es mittlerweile in kürzester Zeit auf- und abbauen.
In voller Regenmontur laufe ich los.
Zur Mittagszeit hole ich an einem rauschenden Fluss, die Girls wieder ein. Die Beschaffenheit des Weges ist an vielen Stellen mehr als dürftig. Zugewachsen, holprig, schlammig.
Als ich gerade so vor mich hin stolpere, sehe ich vor mir jemanden nach vorne gebeugt im Regen stehen. Als ich näher komme, erkenne ich eine zweite Person, die vor ihm Schlamm liegt.
Die beiden sind ein etwas älteres Ehepaar aus Großbritannien. Die Frau ist gestolpert und im Schlamm stecken geblieben. Gemeinsam schaffen wir es sie zu befreien. Sie ist komplett voll Schlamm und blutet aus der Nase. Beide sehen ziemlich mitgenommen aus und ich denke nur, dass es nicht so leicht ist hier wegzukommen, wenn man mal einen Unfall hat.
Sie laufen in die andere Richtung und so verabschieden wir uns wieder voneinander.
Nach ein paar Stunden erreiche ich ein großes Boulderfeld. Mittlerweile sind meine Füße komplett nass und meine Hände fangen auch an zu frieren. Als ich meinen designierten Schlafplatz erreiche, stellt sich dieser als völlig ungeeignet heraus. Ich stratze also weiter bis ich eine ganz passable Stelle an einem Fluss finde.
Mit eiskalten Fingern baue ich mein Zelt auf, streife mir meine nassen Sachen ab und verkrieche mich erstmal mit trockenen Socken in meinem Schlafsack. Nach einem kleinen Schläfchen höre ich Vanessa und Suzanne ankommen.
Tag 11 - Aussichtspunkt über Hof Vuonatjviken bis Höchster Punkt der Etappe 3.4 (30 km - davon 7 km Bootsfahrt)
Ich weiß, dass das Boot am Hof Vuonatjviken nur zweimal am Tag übersetzt und möchte es gerne Vormittags nehmen. Um fünf Uhr morgens baue ich deshalb mein Zelt ab und hechte los. Circa 22 km Strecke stehen auf dem Plan.
Es regnet nicht mehr ganz so stark aber gemütlich ist etwas anderes.
Die Etappe bleibt relativ ereignislos. Einmal entdecke ich ein grünes MSR Zelt neben dem Weg und frage mich in welche Richtung die Person geht, um ausgerechnet hier zu übernachten.
Das ist nicht die erste kaputte Brücke, die ich auf dem Kungsleden sehe. Hier sind andere Naturgewalten am Werk und wir kleinen Menschen müssen flexibel bleiben.
Um zehn Uhr erreiche ich den Hof, der mir in meinem Reiseführer deutlich sympathischer verkauft wurde. Es sieht eher aus wie eine Mischung aus Zeltplatz und Baustelle. Und das Betreiber-Paar würde ich als mittelfreundlich bezeichnen.
Als ich mich an der Rezeption nach dem Boot erkundige, erfahre ich, dass es gerade weggefahren ist und der nächste Transfer um 18 Uhr stattfindet! Neeee...
So lange muss ich an diesem ungeilen Ort abhängen. Das Mückenaufkommen ist absolut brutal. Und kalt ist es auch. Immerhin, darf ich mein Zelt auf der Wiese aufstellen. Nach einem schönen Mittagsschlaf tauchen die Mädels auf. Und auch die Sonne kommt kurzzeitig raus. Lang genug, um unsere Kleidung zu trocknen. Das ist schon viel wert.
So geht der Tag rum, während wir auf das Boot warten und das Betreiber-Paar jede noch zu kurze Strecke auf dem Gelände per Quad zurücklegt.
Irgendwann ist es dann endlich soweit und wir denken: YES! Jetzt geht's endlich los.
Aber au contraire, mon frère.
Jetzt kommt erstmal der Hausherr seelenruhig mit einem Kran angefahren und lädt erstmal zwanzig Minuten irgendwelche Bauteile ab. Wissend, dass wir den gesamten Tag auf dieses Scheiß Boot gewartet haben. Die Uhren nördlich des Polarkreises ticken wohl anders und wir nehmen es mit Humor.
Am anderen Ufer erwartet uns ein etwas anderer Wald als gewohnt. Den lassen wir aber bald hinter uns, um unsere Zelte in luftige Höhe aufzuschlagen.
Tag 12 - Höchster Punkt über Jäkkvik bis Schutzhütte (17,5 km)
Ich habe kaum noch etwas zu essen. Zum Frühstück esse ich ein paar Gummibärchen. Die Kleiderwahl ist auch nicht kompliziert. Also Zelt abbauen, Zähne putzen und los geht's.
Es muss gar nicht regnen, damit man komplett nass wird. Es reicht schon wenn die Pflanzen am Wegesrand nass. Die sind so dicht am Trail, dass man keine Chance hat ohne Regenbekleidung trocken zu bleiben.
Heute geht es an ein paar wahnsinnig schönen Seen vorbei. Und einen davon gilt es per Ruderboot zu überqueren (siehe Video unten).
Dummerweise ist nur ein Boot an meinem Ufer. Ich muss also im Regen rüber rudern, um ein zweites Boot zu holen. Gerade als ich wieder da bin, kommen Vanessa und Suzanne aus dem Wald und so ruder ich uns drei auf die andere Seite.
Dort angekommen, gibt es eine überdachte Holzbank mit diesen lustigen Sprüchen drauf:
Nach unserer Wanderung haben Vanessa, Suzanne und ich eine Whatsapp-Gruppe gegründet, die „Three Sweaty Bitches" heißt.
Der Name war auf dem Kungsleden jedenfalls Programm.
Als wir da so auf dem Bank hocken und Snacks futtern, stelle ich zu meinem Erschrecken fest, dass ich meinen Moskito-Hut am anderen Ufer hab liegen lassen. Nein! Ich bin jetzt schon drei Mal die Strecke gerudert. Um ihn zu holen, müsste ich noch zwei weitere Male fahren.
Darauf habe ich wirklich gar kein Bock. Aber auf Mücken fast noch weniger. Also ich gerade so am Abwegen bin, taucht auf einmal ein Wanderer auf, der von Süd nach Nord läuft und sowieso auf die andere Seite muss. Ich fahre also mit ihm rüber, schnappe mir meinen Hut und muss dann nur noch einmal rudern. Reicht dann aber auch.
Durch die nassen Füße der letzten Tage, habe ich einen sehr schmerzhafte Blase am kleinen Zeh und ich schleppe mich die letzten Kilometer nach Jäkkvik. Seit Tagen träumen wir alle von dem Supermarkt, der uns dort erwartet.
Und diese eigentlich nur besser sortierte Tankstelle, hält unseren hohen Erwartungen stand. Dort gibt es alles, was das Herz begehrt.
Und damit meine ich nicht diese Salami aus der Tube.
Bevor wir strategisch unseren Proviant auffüllen, holen wir uns erstmal geile Snacks, die wir feierlich vor dem Laden verzehren. Mit vollem Magen, kaufen wir dann den Rest ein.
Lange Wanderung + Junkfood = Strahlende Gesichter.
Dann heißt es Abschied nehmen. Die Mädels bleiben in der Fjällstation und ich nutze das gute Wetter, um noch ein Stück weiterzugehen.
Zumindest denke ich das, denn schon bald fängt es in Strömen an zu regnen und ich war gerade froh, dass meine Sachen wieder trocken waren.
Einige Kilometer später erreiche ich eine Schutzhütte und da draußen der Wald so wild gewachsen ist, dass es keine Möglichkeit gibt sein Zelt aufzustellen, gehe ich hinein.
Drinnen treffe ich auf zwei junge Schweden, die etwas professioneller unterwegs sind. Sie laufen das so genannte Grüne Band bzw. Gröne Bandet. Das ist eine Challenge, bei der man die gesamte Bergkette Schwedens zu Fuß geht (circa 1300 km). Die Winter Version nennt sich das weiße Band und dann gibt es wohl auch noch das blaue Band, bei der man die gesamte Küste Schwedens paddelt. Damit hat man auf jeden Fall einiges zu tun. Cool!
Die beiden sind super organisiert, haben ultraleichte Rucksäcke und laufen im Schnitt 30 Km pro Tag, was bei dem Gelände echt nicht ohne ist. Vor dem Kungsleden, gibt es teilweise gar keine Wege oder nur Straßen.
Nach einer kurzen Pause, ziehen die Jungs in Regenmontur weiter. Jetzt habe ich die Hütte für mich allein. Es gäbe theoretisch auch einen Schlafbereich aber der ist abgeschlossen (den Schlüssel bekommt man bei Anmeldung im Ort). Erstmal feuer ich den Ofen an und hänge meine Wäsche zum trocken aus. Dann lege ich meine Isomatte auf den Boden und bin schon bald eingeschlafen.
Mitten in der Nacht, höre ich auf einmal Stimmen und sehe wie zwei komplett nasse Damen die Hütte betreten. Sie erschrecken sich wohl etwas als sie mich auf dem Boden schlafen sehen. Eigentlich wollten sie zelten aber wie schon erwähnt gibt es draußen keinerlei Möglichkeit ein Zelt aufzuschlagen und die nächsten Orte sind relativ weit weg. Die Hütte ist groß genug für uns alle aber irgendwie ist denen das wohl unheimlich. Jedenfalls ziehen sie nach einer Pause weiter.
Mir soll es recht sein. Der Ofen ist warm und ich schlafe wie ein Stein.
Hier meine kleine Instagram-Video-Zusammenstellung der letzten Tage.
Als ich am See vor dem Boot stehe, sieht man ganz gut die Mücken vor der Linse rumfliegen.
Aufgrund von Wetter, Wegbeschaffenheit und Insektenaufkommen, war dieser Teil der bislang härteste. Es wäre ja auch irgendwie enttäuschend, wenn es bis zum Ende ein Spaziergang wie in der ersten Woche geblieben wäre. Wenn man erstmal so richtig leidet, weiß man die kleinen Dinge im Leben auch mehr zu schätzen.
Zudem war ich in den letzten Tagen in guter Gesellschaft. Und geteiltes Leid ist halbes Leid. Genau dafür macht man solche Trails. Man erinnert sich schließlich nicht an die guten Tage.
Was mich ein wenig gestört hat, waren die Boot-Transfers. Man muss sich auf die Zeiten einstellen, planen wann man die Seen erreichen wird und kann nicht einfach so frei drauflos laufen.
Deswegen bin ich auch froh, dass ich nun die Seen hinter mir lasse und ab jetzt wieder wandern kann wie mir lustig ist.
Unterwegs auf dem nördlichen Kungsleden
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