Der Norden Indiens: Delhi

Inzwischen bin ich wieder zurück in der Schweiz. Und das ist gut so. Die letzten zwei Wochen meiner Reise waren sehr spannend – und sehr anstrengend. Sie haben mein Bild von diesem Subkontinent deutlich verändert. Es hat an Farben gewonnen, wobei auch dunklere, düstere Farben hinzu gekommen sind. – Ein nachdenklicher Reisebericht in mehreren Teilen.

Allein Delhi war eine Reise Wert. Noch nie habe ich eine so grosse Stadt so intensiv wahrgenommen: ihre überraschende Weltgängigkeit, ihre Monstrosität … Nähert man sich von Varanasi her kommend mit dem Zug von Südosten her der Hauptstadt Indiens, erscheinen am Horizont als erstes – man befindet sich noch auf ländlichem Gebiet, wo die Zeit irgendwo zwischen Vorzeit und Moderne still gestanden zu sein scheint – dunkle Silhouetten von Trabantenstädten: gigantische Bauprojekte mit riesigen, eng aneinander gefügten Hochhäusern, die schwarz und bedrohlich wie Schmeissfliegen am Horizont auftauchen. Ein paar Kilometer weiter hockt schon ein Dutzend dieser Schmeissfliegen am Horizont. Und die meisten der Trabantenstädte sind noch im Bau. Dazwischen Brachland – Niemandsland. Und ein paar zusammengezimmerte Hütten oder eingezäuntes, parzelliertes Land. Bei diesem Anblick überfällt mich eine Trauer über die Entwicklung der Menschheit. Sollen hier dereinst Menschen leben? Ist in dieser apokalyptischen Megawelt menschliches Leben, eine menschliche Entwicklung hin zu mehr innerer Freiheit überhaupt möglich?

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Entlang der Gleise

Längst sind die Vorstädte rund um Delhi mit der Hauptstadt zu einer Megacity von gegen hundert Kilometern Durchmesser zusammengewachsen – mit einer Bevölkerung von knapp 26 Millionen Menschen.[1] Die Einfahrt von der Peripherie her zur zentralen New Delhi Railway Station dauert zwei Stunden. Es ist Morgen. Der Zug hat vier Stunden Verspätung. Ein Vorteil, denn so fahren wir bei Tageslicht in Delhi ein. Überall in der Landschaft und auf den Gleisen sehe ich Männer in der Hocke. Sie verrichten unbekümmert ihr morgendliches Geschäft. Etwas, das in dieser Art den Frauen verwehrt ist. Die müssen das diskreter und in der Nacht erledigen – und setzen sich so zusätzlich der Gefahr von Übergriffen aus. Entlang der Gleise werden nun ärmliche, improvisierte Siedlungen sichtbar: Neuankömmlinge, die hier Zwischenstation machen, um weiter in die viel verheissende Stadt vorzudringen – oder auch vollends Gestrandete, denen die Aussicht auf ein besseres Leben abhanden gekommen ist. Und die Elendssiedlungen werden immer zahlreicher.

Delhi selbst gibt sich weltläufig. Das eigentliche Stadtgebiet ist durchsetzt von grossen Parks und Freiflächen – und reich an touristischen Sehenswürdigkeiten. Ein riesiger städtischer Wald fungiert als urbane Lunge. Tatsächlich war die Luft, als wir dort waren, im Gegensatz zu anderen Städten, etwa Varanasi, problemlos zu atmen. Das mag der Wetterlage geschuldet sein. Doch die Stadtverwaltung hat in den letzten Jahren einige Schutzmassnahmen zugunsten der Umwelt umgesetzt: alte Autos aus dem Verkehr gezogen, Taxis und Autorikschas, die einen beachtlichen Teil des Verkehrs ausmachen, auf Erdgas umstellen lassen und den öffentlichen Verkehr, insbesondere die Metro, massiv ausgebaut.

Wo real India ausgesperrt ist

In Delhi gibt es auch einige geschützte grossflächige Quartiere, in denen real India ausgesperrt ist: eine Art gated communities mit Villen und kleinen Palästen, jeweils mit Wärterhäuschen und mindestens einem gelangweilten Wärter davor, der – als Höhepunkt seines Arbeitstages – mit dem Schäferhund des Herrn ums Viereck laufen darf. Das Quartier selbst ist von einer hohen Mauer umschlossen, die Eingänge sind mit Toren versehen, die allerdings meist offen stehen. Hier sind die Reichen unter sich, die Gärten sind lieblich oder prunkvoll, mit viel englischem Rasen. Doch jenseits der Mauern begegnen dir – neben der grossstädtischen Aura Delhis – Armut, Elend und Bitternis auf Schritt und Tritt. Die Ankömmlinge aus dem ländlichen Indien arbeiten sich nach und nach vom äussersten Rand der Stadt ins Zentrum vor. Und wenn du aufmerksam bist, siehst du sie überall, stets darum bemüht, irgendwelche Brosamen des Wohlstand zu ergattern.


Anmerkungen:

[1] http://www.citypopulation.de/world/Agglomerations_d.html

Foto: Westdelhi von Jean-Etienne Minh-Duy Poirrier (CC-Lizenz via flickr)


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