Der Neue im Schloss Bellevue

Nur 2 Tage ist es her, dass Ex-Bundespräsident Christian Wulff unter unwürdigen Umständen zurücktrat. Ein Antrag der Staatsanwaltschaft und der Versprecher eines Politikers, der ihn verteidigen wollte, wurden sein Verhängnis. Nun haben sich vier Parteien auf den Nachfolger geeinigt. Und wie nicht anders zu erwarten war, heißt er Joachim Gauck.

Kurz bevor die Kanzlerin mit den Parteivorsitzenden von SPD, CSU, FDP und Grünen, und natürlich mit Joachim Gauck selbst, vor die Presse trat, rutschte mir das Herz in die Hose. Sollte ich mich so getäuscht haben? Eilfertige Medien berichteten in Eilmeldungen über den drohenden Koalitionsbruch, denn die FDP favorisiere Gauck, und die Kanzlerin sei strikt dagegen. Grund für die ablehnende Haltung Merkels sei, so die Spekulationsterroristen, dass sie ihr Gesicht nicht verlieren und keinen Fehler eingestehen wolle. Das klang sogar für einen Moment logisch. Und ich hatte mich gestern noch in einer Sendung des Ohrfunks auf Gauck festgelegt, habe selbst von einer unausweichlichen politischen Dynamik gesprochen. SPD und Grüne konnten ihn nicht ablehnen, ja mussten ihn erneut ins Rennen schicken, denn warum sollten sie in den letzten 20 Monaten ihre Meinung geändert haben? Und wenn die Kanzlerin klug sei, so würde sie Gauck vorschlagen, dachte ich, um der Opposition keine Profilierungsmöglichkeiten zu geben. Inzwischen denke ich, dass es den Koalitionskrach gar nicht gab. Er war, meiner Ansicht nach, eher bewusst in Szene gesetzt worden, um das Image der Kanzlerin als standfeste und staatstragende Krisenmanagerin zu festigen.

Das sind also die Gedanken, die man sich macht, wenn man sich über die Besetzung des höchsten Staatsamtes in Deutschland unterhält. Es geht um politisches Geschacher und Gezänk bei einem Amt, das eine Überparteilichkeit des Amtsträgers fordert. Die Medialen Spekulanten waren sich natürlich auch nicht zu schade, die Wahl als Vorboten einer möglichen großen Koalition im Bund zu betrachten. Dabei hat das Amt des Bundespräsidenten einen Neuanfang verdient, nachdem Christian Wulff und die Bild-Zeitung es in die Peinlichkeit getrieben haben. Ausgerechnet die Führungsetage der Bild-Zeitung verlangt nun die Wiederherstellung der Amtswürde, doch ich wage zu bezweifeln, dass das Vertrauen in die Politik allgemein und den Bundespräsidenten im Besonderen durch solche Worte zurück zu gewinnen ist.

Da lohnt es sich, einen Blick auf den neuen Mann im Schloss Bellevue zu werfen. Joachim Gauck ist “im Volk”, was auch immer das heißen mag, sehr beliebt. Er ist 72 Jahre alt und hat den größten Teil seines Lebens in Rostock verbracht. Er ist Theologe und Pfarrer, und während der “friedlichen Revolution” in der DDR hat er sich einigermaßen stark engagiert, zumindest regional. Danach setzte er sich vehement für die Zugänglichmachung der Stasi-Akten ein und leitete 10 Jahre lang die entsprechende Behörde. Inzwischen ist er Schriftsteller und freier Publizist, spricht gern über sich selbst und seinen unbeugsamen Antikommunismus. Die Linkspartei hasst ihn, darum wurde sie zu den Gesprächen über den neuen Bundespräsidenten gar nicht erst geladen. Aber auch SPD und Grüne, die ihn aus taktischen Gründen 2010 gegen Christian Wulff nominierten, dürften mit dem mecklenburger Pfarrer auf Dauer nicht glücklich werden. Ein Twitter-User fasste die Probleme in folgenden 140 Zeichen zusammen: “Gauck findet Sarrazin mutig, Occupy kindisch, s21 Demos doof, Wikileaks datenklau. Was soll dieser Typ? Der hat keine Ahnung von unserer Zeit.” Und die Taz schrieb: “Gaucks politisches Denken ist von der DDR und der Wende geprägt, sein Verständnis von Freiheit kann als etwas einseitig bezeichnet werden. In Protesten gegen Hartz IV erkennt er nur den Ruf nach einem fürsorglichen Staat… Die Freiheit, die er meint, ist stets nur durch Politik und Staat bedroht. Dass entfesselte Finanzmärkte die Grundfesten der Demokratie gefährden können, spielen in seinem von politischem Antitotalitarismus geprägten Denken keine Rolle. Die Debatte über die wachsende soziale Spaltung bezeichnete er 2010 …als “populistisch, ja demagogisch”. Es sind diese Kurzschlüsse, die ihn zur Leuchtfigur für Wirtschaftsliberale machen.”

Unbestritten ist, dass Joachim Gauck ein guter Redner ist, dass er recht offen mit seinen Gefühlen umgeht und vielleicht in der Lage ist, dem Amt etwas mehr Menschlichkeit zu verleihen, ohne gleich selbst wieder in Skandalen zu versinken und damit allzu menschlich zu werden. Seine gesellschaftspolitischen Ansichten sind aber bestenfalls problematisch. Als Volksombutsmann, der der Bundespräsident ja neben seiner Tätigkeit als Staatsnotar auch sein soll, eignet er sich meiner Ansicht nach aber nicht. Er ist eitel und elitär, was sein gutes Recht ist, was ihn aber nicht für das Amt des Bundespräsidenten qualifiziert. Darum bedankte er sich bei der Annahme des Vorschlages, 11. Bundespräsident zu werden, auch mit den Worten, dass er sich der Zuneigung der Kanzlerin zu ihm sicher sei. Eine peinliche, eitle Selbstdarstellung.

Die Wahl zum Bundespräsidenten findet nun voraussichtlich am 18. März statt, einem symbolischen Datum. Am 18. März 1990 wurde in der DDR erstmals eine freie Volkskammerwahl abgehalten. Joachim Gauck wird sicherlich in seiner Antrittsrede darauf Bezug nehmen und wieder aus seinem Leben berichten. Der Präsident der Linken dürfte er nicht werden. Doch das ist ihm und den anderen Parteien nicht so wichtig. Schwierig würde es für ihn erst, wenn man trotz aller Gegnerschaft zum DDR-Regime eines schönen Tages eine Akte über ihn finden würde, die ihn zweifelsfrei als inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit ausweisen würde.


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