Biergärten schlafen sich im November ihren verdienten Rausch aus.
Als ich an diesem Novembervormittag am Telfer Bahnhof auf meinen Gesprächspartner wartete, hatte ich vor einem Cafe mein Auto geparkt. Es waren noch ein paar Minuten bis hin zum Termin, und ich blieb im Wagen sitzen. Mein Blick streifte über die verlassene Terasse, und missbilligte die verschiedenen Merchandising-Goodies der Bierbrauereien, die sich einen geschmackslosen Wettstreit mit in ihrem Logo und Design beworbenen Laternen, Eintrittstoren und Speisekarten-Glashüttchen lieferten. Aber nicht nur der Terassenbereich wurde von diesen sich nebenbei auch in Farbe und Schrift schlagenden und über Jahre hinweg durch verschiedene Lokalbesitzer – die übrigens mit rabiat gewordenen Lokalbesetzern nicht immer grün sind, und obendrein telefonisch georderte exekutive Gewalt als letztes Mittel der Räumung ansehen – äußerst unglücklich arrangierten Schildchen, Namenszüge und Plaketten in grausame Mitleidenschaft gezogen, sondern auch andere Teile dieser vergewaltigen Häuserfront samt dem klammheimlich wirkenden Eingangsbereich. Dabei musste ich den Kopf nicht gravierend wenden oder gar aus dem Fahrzeug steigen, um diesem brutalen Stilmelange zumindest oberflächlich, aber dennoch unangenehm berührt gewahr zu werden. Obendrein waren die zur Schau gestellten und in ihrem protzenhaften Gehabe an Ritter der ersten Qualitätsstufe erinnernden Biermarken in meinen Augen nichts weiter als vorzügliche Verlierer in Geschmack und Reinheit. Von einer dort gepriesenen Sorte hab' ich früher schon nach zwei "Halben" am nächsten Tag saumäßiges Kopfweh gehabt, und die andere bewirkte auf meinem Gaumen eine solch bestialische Rebellion, dass ich von weiteren Heb- und Schluckbewegungen sofort eingeschüchtert Abstand nahm. Die dritte dort beworbene Biermarke trank in meiner Heimatstadt Klagenfurt ehemals ein ortsbekannter und in der dortigen politischen Szene nicht gänzlich fremdländischer, dafür spätberufener Nationalsozialist. Also kam ein Genießen dieses Bieres – vom redlichen Schmecken abgesehen – verständlicherweise auch nicht mehr in Frage. So dachte ich im Auto. Später dann saß ich mit meiner Kundschaft in diesem Cafe beim Gespräch. Pensionisten füllten den Raum. Es wurde Karten gespielt und die ersten Bierchen und Weine gezwickt. Die Unterhaltungsmusik aus den Lautsprechern war störend laut. Ich hatte die Aufnahmetaste bei meinem "Philips Voice Tracer" gedrückt, und fürchtete mich aufgrund des happigen Schallpegels und des ganz und gar nicht methusalem'schen Stimmengewirrs bereits vor einem horriblen Transkriptionsnachmittag. Nach dem Interview machte ich draußen für die Reportage noch ein paar Fotos vom meinem Hauptdarsteller. Torkelt doch einer aus dem Lokal, sieht mich durch die Linse zielen, und lallt mit vom Alkohol zungendicken Dialekt: "Aha, do weard g'schossn!" Dann drehte er sich um, und wankte zu seinem Auto. Es war 11:51 Uhr. "G'schossn, g'schossn!" Ein Jäger vielleicht, der heim zu seinem Mittagessen fuhr.