Der #Name #Gottes 1/3

Wir Menschen sind grob geworden. Von vielen tiefen und zarten Dingen wissen wir nicht mehr. Das Wort ist einen davon. Wir meinen, es sei etwas Äußerliches, weil wir sein Inneres nicht mehr spüren. Wir meinen, es sei etwas Flüchtiges, weil wir seine Kraft nicht mehr empfinden. Es stößt nicht, es schlägt nicht, ist nur ein zart Gebilde von Schall und Klang. Aber ein feiner Leib für etwas Geistiges. Das Wesen eines Dinges, und etwas aus unserer eigenen Seele, das vor jenem Ding erwacht, begegnen sich und gewinnen Ausdruck im Wort.
Das heißt, so sollte es sein. Und war gewiß beim ersten Menschen so.
Auf den ersten Seiten der Heiligen Schrift heißt es, Gott habe dem Menschen „die Tiere vorgeführt“, damit er sie benenne. Mit offenen Sinnen und sehkräftiger Seele schaute der Mensch durch die Gestalt in das Wesen und sprach das im Namen aus. Und seine Seele antwortete dem Geschöpf. Es rührte sich etwas in ihr, das zum Wesen jenes Geschöpfes in besonderer Beziehung stand, ist doch der Mensch Inbegriff und Einheit der ganzen Schöpfung. Und dies Zweifache, das Wesen des Dinges draußen und die Antwort darauf im Menschen drinnen, beides lebendig geeint, sprach er im Namen aus.
Ein Stück Welt also und ein Stück Menschen-Inneres schloß sich im Namen zusammen. Und wenn der Mensch den Namen aussprach, erwachte das Wesensbild des Dinges in seinem Geist, und es klang herauf, was dem aus seine eigenen Innern geantwortet hatte. So war der Name ein geheimnisvolles Zeichen, darin er die Welt und seiner selbst inne wurde.
Worte sind Namen. Und Sprechen die hohe Kunst, mit dem Namen der Dinge umzugehen. Der Mensch sündigte, das Band zerriß. Die Dinge wurde ihm fremd, ja feind. Er schaute nicht mehr mit einem Auge in sie hinein, sondern gierig, herrschsüchtig und zugleich mit dem unsicheren Blick des Schuldigen. Sie aber verschlossen ihm ihr Wesen. Und auch sein eigenes Wesen entglitt ihm, weil er sich selbstsüchtig hatte durchsetzen wollen. Er besaß sich nicht mehr wie früher. Er lebte nicht mehr kindlich schauend in der eigenen Seele. Sie entsank ihm, und er wurde sein selbst unwissend und unmächtig.
Der Wort-Name umschließt ihm nun nicht mehr in lebendiger Einheit Ding- und Menschen-Wesen. Nun strahlt ihm daraus nicht mehr der Gottesgedanke der im Frieden verbundenen Schöpfung entgegen. Nur ein zerrissenes Bild sieht er darin. Ein verstörter Wesenston voll dunkler Ahnung und Sehnsucht kommt ihm daraus entgegen. Und wenn er einmal das Wort richtig hört, dann steht er und horcht, und besinnt sich, und findet den Sinn nicht mehr. Es bleibt verworren, rätselhaft, und er fühlt schmerzlich, daß das Paradies verloren ist.
(Von heiligen Zeichen; Romano Guardini 1927)

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