Der Mönch, der die Zahlenmonster liebte!

Sein Hobby waren Primzahlen. Der französische Gelehrte Marin Mersenne wurde vor 425 Jahren geboren. Heute sezieren Forscher die nach ihm benannten Mersenne-Zahlen mit Computern – und entdecken dabei unvorstellbar große Primzahlen.

Dieses Zahlenmonster hat es in sich: Die erste Ziffer ist eine 5, die letzte eine 1. Zwischen der 5 und der 1 stehen noch weitere 17,4 Millionen Ziffern. Die Textdatei der Zahl belegt mehr als 22 Megabytes. Es handelt sich um die größte derzeit bekannte Primzahl, entdeckt wurde sie im Januar 2013. Man kann das Zahlenmonster auch in der Form 257885161 -1 schreiben, denn sie ist eine sogenannte Mersenne-Zahl.

Der Name geht zurück auf den französischen Mönch Marin Mersenne, der am 8. September 1588 beim kleinen Städtchen Oizé westlich von Paris geboren wurde. 425 Jahre ist das nun her – aber das geistige Erbe des späteren Universalgelehrten beschäftigt Mathematiker und Informatiker bis heute. Was Mersenne damals noch im Kopf oder mit Feder und Papier betrieb, übernehmen heutzutage Computer: Eine eigens dafür entwickelte Software fahndet nach den sogenannten Mersenne-Primzahlen. Und fast jedes Jahr gibt es eine Entdeckung zu feiern.
Mersenne stammte aus armen Verhältnissen. Seine Begabung und sein Wissensdurst führten ihn jedoch bald auf eine Jesuiten-Schule und schließlich an die Sorbonne in Paris. Er studierte Philosophie und Theologie und ging danach in ein Kloster. Als Mönch entdeckte er seine eigentliche Leidenschaft: die Wissenschaft. Vor allem die Physik und die Mathematik hatten es ihm angetan.

1644, vier Jahre vor seinem Tod, veröffentlichte Mersenne eine Vermutung über Primzahlen, die ihn berühmt machen sollte. Im Vorwort seines Werks “Cogitata Physica-Mathematica” schrieb er, dass die Zahl 2n – 1 eine Primzahl ist für

n = 2, 3, 5, 7, 13, 17, 31, 67, 127, 257.

Für alle übrigen Zahlen n kleiner als 257 sei 2n – 1 keine Primzahl, behauptete Mersenne. Heute wissen wir, dass der Mönch zumindest bei 67 und 257 irrte. Die Zahlen gehören nicht in die Liste, dafür fehlen darin 61, 89 und 107.

Trotzdem wurde der französische Gelehrte zum Namensgeber der Mersenne-Zahlen. So heißen alle natürlichen Zahlen, die sich in der Form 2n – 1 darstellen lassen, wobei n eine natürliche Zahl ist. Hat eine solche Zahl als Teiler nur 1 und sich selbst, nennt man sie Mersenne-Primzahl.

Gibt es unendlich viele Mersenne-Primzahlen?

Schon lange vor Mersenne hatten Mathematiker nach einer allgemeinen Formel für Primzahlen gesucht. Heute wissen wir, dass es so etwas nicht gibt. Eine besondere Eigenschaft der Mersenne-Zahlen macht diese für Primzahlsucher jedoch trotzdem interessant: Wenn 2n – 1 eine Primzahl ist, dann muss auch n eine Primzahl sein. Der Beweis dieser Aussage ist nicht allzu schwer – Sie finden ihn hier. Umgekehrt gilt: 2n – 1 kann nur dann eine Primzahl sein, wenn auch n eine Primzahl ist.

Wer also eine Mersenne-Primzahl sucht, nimmt einfach eine Liste von bekannten Primzahlen, bildet deren Zweierpotenz und zieht davon 1 ab. Das Resultat kann, muss allerdings keine Primzahl sein. Nach wie vor ist allerdings unklar, ob es unendlich viele Mersenne-Primzahlen gibt. Bekannt sind derzeit 48.

Seit 1996 kann jedermann mitmachen bei der Jagd auf unteilbare Zahlenmonster. Der amerikanische Programmierer George Woltman startete damals das Projekt Great Internet Mersenne Prime Search, kurz Gimps. Die frei herunterladbare Software nutzt die Leerlaufzeit von PC-Prozessoren, um Mersenne-Zahlen auf mögliche Teiler zu untersuchen. Ein PC ist damit pro Zahl mehrere Tage beschäftigt. Gimps funktioniert wie folgt: Der Server teilt den Gimps-Anwendern Primzahlen p zu, die PC prüfen dann, ob 2p – 1 Teiler hat oder nicht. Meist findet die Software Teiler, 14-mal wurden neue Mersenne-Primzahlen gefunden.

Die Bedingungen zum Gimps-Start im Jahr 1996 hätten kaum besser sein können. “Damals war gerade Windows 95 herausgekommen”, erinnert sich Woltman. Das Betriebssystem erlaubte es erstmals, die Primzahlsuche im Hintergrund laufen zu lassen, ohne dass der Rechner blockiert war. Zudem trat das Internet seinen Siegeszug an und die neuen Pentium-Prozessoren beschleunigten die Primzahlprüfung rasant.

“Dünn gesät”

“Ich war schon immer ein Mathe-Freak”, sagt Woltman. Er sei sechs, sieben Jahre alt gewesen, als sein Vater ihm die Primzahlen erklärt habe. “Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, wie man bei einer 3300-stelligen Zahl beweist, dass sie eine Primzahl ist.”

Mersenne-Primzahlen sind sehr spezielle Primzahlen. “Sie sind sehr dünn gesät”, sagt Florian Heß, Mathematikprofessor an der Universität Oldenburg. Die meisten seien riesig groß, viel größer als die Primzahlen, die man zum Beispiel bei der RSA-Verschlüsselung nutze. “Doch es gibt einen speziellen Test, mit dem man Mersenne-Zahlen vergleichsweise schnell überprüfen kann”, erklärt er. Das erleichtere die Suche.

Warum machen Menschen überhaupt mit beim Projekt Gimps? “Manche wollen einfach Entdecker einer neuen Rekordzahl sein und sich in der Liste verewigen”, sagt Chris Caldwell von der University of Tennessee, “anderen geht es vielleicht auch ums Geld.” Immerhin zahlte die Electronic Frontier Foundation 2009 die Summe von 100.000 Dollar für die Entdeckung der ersten Mersenne-Primzahl mit mehr als zehn Millionen Stellen.

Der praktische Nutzen der unteilbaren Zahlenmonster ist gering. Am ehesten kann man sie noch zum Erzeugen von Zufallszahlen nutzen. Für Gimps-Erfinder Woltman sind sie nichts anderes als “mathematische Trophäen”. Caldwell vergleicht Mersenne-Primzahlen mit Diamanten. Beide seien “selten und schön”, das genüge ihm als Mathematiker vollkommen.
Mersennes Hauptverdienst als Gelehrter war übrigens, dass er kluge Köpfe aus seiner Zeit zusammengebrachte: Mit René Descartes, Pierre de Fermat, Thomas Hobbes, Etienne Pascal Blaise Pascal und Pierre Gassendi stand er in engem Kontakt. Man traf sich, um über Theorien und Experimente zu diskutieren, die Treffen wurden Académie Mersenne genannt.

Das Projekt Gimps könnte man durchaus als moderne Variante der Académie Mersenne sehen: Informatiker, Mathematiker und Laien tun sich zusammen. Nur wird die Kollaboration heute übers Internet organisiert – und funktioniert obendrein weitgehend automatisch.


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