Der Moment des Erkennens (5)

Erstellt am 23. Dezember 2013 von Hurdl3r

Hank ließ sich in den Sitz fallen und schnaufte hörbar erleichtert auf.
„Ich hasse es, diese Nachrichten zu überbringen. Man fühlt sich ein bisschen wie der Engel und der Teufel zur gleichen Zeit. Man will dem Menschen zum einen keinen schlechten Eindruck hinterlassen und alles so souverän wie möglich ausdrücken, wenn man es aber ausgesprochen hat, fällt der Engel wie von selbst von der Schulter.“
Nick, der bereits im Auto saß, gab keine Antwort darauf. Er war in seinen Gedanken versunken. Mit leerem Blick sah er zum Haus zurück und grübelte nach, kam aber einfach zu keinem Schluss, warum Herr Castellani so eigenartig reagieren konnte, als er vom plötzlichen Tod seiner Stieftochter erfuhr. Vielleicht war es für ihn auch gar nicht so plötzlich geschehen. Er wusste mehr darüber, da war sich Nick sicher, er musste die Informationen nur aus ihm rausbekommen.
„Du musst auch nichts darauf zurückgeben, trotzdem Danke fürs Gespräch.“, sagte Hank mit einem sarkastischen Unterton.
„Tut mir leid, ich bin nur nicht schlau geworden, was das Gespräch mit Herrn Castellani angeht. Wenn man, selbst als Stiefvater, davon erfährt, dass seine Stieftochter ermordet worden ist, hat man meiner Meinung nach anderes zu tun, als mit dem Hund Gassi zu gehen. Oder was denkst du über diese Sache?“
„Vielleicht brauchte er auch einfach frische Luft und hat das ganze damit verbunden mit seinem Tommy ein paar Runden zu drehen. Sieh doch nicht immer gleich alles so negativ Nick. Jeder Mensch ist anders und nur, weil du nicht gleich spazieren gehen, sondern deinen Frust wahrscheinlich mit dem vorhandenen Schnapsregal abgleichen würdest, heißt das nicht, dass Herr Castellani das selbe tun muss.“
Seine Stimme klang erregt und Nick hatte das Gefühl, dass Hank ihn irgendwie damit aus seiner Verteidigung locken wollte. Die Frage, ob er sich darauf einlassen und einen dementsprechenden Spruch zurück geben musste, erübrigte sich mit dem Klingeln seines Handys. Eine unbekannte Nummer stand im Display und Nick hatte das Gefühl sie heute schon einmal gesehen zu haben.
Er meldete sich mit einem kurzen „Dover“ und wartete was die Stimme am anderen Ende zu sagen hatte.
„Detective Dover, hier ist noch mal Ella McKinsley. Ich hoffe Sie erinnern sich an unser Gespräch heute Mittag?“, die Stimme klang gereizt und vermittelte das Gefühl, dass etwas nicht stimmte.
„Natürlich Miss McKinsley. Was kann ich für Sie tun? Hat es etwas mit unserer Verabredung für heute Abend zu tun?“
Er fasste sich an den Kopf und dachte über seine eben gesagten Worte nach, waren sie vielleicht ein bisschen hochgegriffen?
„Darum geht es ja. Ich würde Sie bitten unser Treffen vorzuverlegen. Es ist äußerst wichtig, dass wir so schnell wie möglich eine Lösung für mein Problem finden.“
Vor ein paar Stunden hatte sie noch wichtige Informationen, jetzt ist es schon ein Problem.
Nick fasste sich an die Stirn und überlegte, was für heute noch auf dem Programm stand. Mit einem Blick auf die Uhr des Wagens, hatte sich diese Frage erübrigt, denn es war mittlerweile 18 Uhr und Hank musste dringend ins Dezernat um sich um einen anderen, noch ausstehenden Fall zu kümmern.
„Wann passt es Ihnen Miss McKinsley?“, fragte er und sah zu Hank hinüber, der wie wild mit seinen Händen gestikulierte um klarzumachen, dass er so schnell wie möglich ins Dezernat wollte.
„Sagen wir, in einer halben Stunde im Manhattan Inn? Ist das für Sie in Ordnung? Ich will Ihnen wirklich nicht zur Last fallen, aber es ist dringend.“
Nick willigte ein und startete den Wagen.

-

35 Minuten später war Nick vor dem Manhattan Inn und gab einem Parkjungen, der nicht wirklich aussah, als dürfe er bereits ein Auto fahren seine Autoschlüssel in die Hand. Er wusste gar nicht, dass dieser Service überhaupt dort angeboten wurde. Noch nie hatte er seine Schlüssel einem fremden Menschen in die Hand gegeben und er merkte dass es sich gut anfühlte so luxuriös behandelt zu werden. Mit einem selbstbewussten Lächeln schritt er auf das Gebäude zu. Im Eingangsbereich war ein schmaler roter Teppich ausgebreitet an dessen Ende, vor der Türe, ein kräftig aussehender Türsteher mit einem Rednerpult vor der Nase stand und ihn augenscheinlich musterte.
„Guten Abend mein Herr, den Namen bitte.“
Nick sah ihn an und wusste erst nicht Recht was er jetzt antworten sollte, Miss McKinsley hatte nichts gesagt, dass sie ihn anmelden würde.
„Sehen Sie mal nach Dover für McKinsley auf Ihrer Liste“, antwortete er mit gespieltem Hochmut.
„Oh, Miss McKinsley erwartet Sie bereits, wenn Sie mir bitte folgen würden.“
Der Mann schritt voran und Nick betrat eine beachtliche Empfangshalle, die überall mit weiß-goldenen und rot geschmücktem Möbeln im Art Deco Stil ausgestattet war. Am Fußboden führte der rote Teppich weiter in den nächsten Raum. Die Türe öffnete sich von selbst und schon befand er sich mitten in einem rießen groß wirkenden Teil des Gebäudes, welcher mit Spiegeln an den Wänden wohl den Eindruck vermitteln sollte, noch größer auszusehen, als er ohnehin schon war. Das Licht in dem Raum war sehr dezent gehalten und gab den Eindruck von einer Lounge oder einem VIP-Bereich. Die Tische und Stühle waren aus schwarzem Ebenholz und formgemäß äußerst schlicht gefertigt worden, außerdem waren sie in einem großen Abstand zueinander angebracht. Kein Gast konnte also durch den Tischnachbarn bei seinen Gesprächen gestört werden. Das war wohl auch der Grund, warum Miss McKinsley dieses Restaurant gewählt hatte. In der Mitte befand sich eine Bar, von der aus ein Gang in ein weiteres Zimmer führte. Wahrscheinlich die Küche, dachte Nick und folgte dem Mann unentwegt.
„Miss McKinsley befindet sich dort am Ende des Teppichs mein Herr.“, sagte der Mann zu ihm und war mit einer Verbeugung und einem anerkennenden Kopfnicken bereits wieder auf dem Rückweg durch den vermeintlichen Speisesaal.
„Sie müssen Detective Dover sein, ich habe Sie bereits erwartet.“, kam eine professionell klingende Stimme von dem Tisch auf den der Mann ihn bereits aufmerksam gemacht hatte.
„Da liegen Sie völlig richtig, erwarten Sie heute denn noch mehr Gäste?“, er lächelte ihr zu und setzte sich zu ihr an den Tisch. Es war ein großer, runder Tisch, der umgeben war von einem roten Samtsofa auf dem man gut und gerne ein paar Stunden verweilen mochte.
„Nein, natürlich nicht, aber ich bin auch nicht zu Scherzen aufgelegt, es ist eine ernste Angelegenheit, die Sie heute hierher führt. Sie müssen wissen, ich bin die Besitzerin dieses Etablisements und habe es deshalb gewählt. Für mich gibt es keinen Ort, der mir in der Stadt mehr Sicherheit gibt und die Information die ich Ihnen mitzuteilen habe, ist gewiss nicht einfach so unter den Tisch zu kehren.“
Nick schluckte und sah sie an. Er spürte wie sein Gesicht mit Blut gefüllt wurde und versuchte eine ernste Miene aufzulegen um nicht sofort lächerlich auszusehen.
„Schön haben Sie es hier“, war das einzige, dass er in diesem Moment rausbekam. Er war wie vor den Kopf gestoßen doch konnte sich im nächsten Augenblick wieder fangen.
„Ich werde Ihre Informationen äußerst vertraulich behandeln, da können Sie sich absolut sicher sein Miss McKinsley. Eine Frage hätte ich aber noch, wie sind sie an meine Telefonnummer gekommen und warum rufen Sie gerade mich an?“
„Warum ich Sie ausgewählt habe mir zu helfen, lag an einem alten Bekannten der Polizei, der Sie mir empfohlen hat. Sie müssen ein wirklich tüchtiger Detective sein, hat er mir versichert und mir prompt Ihre Telefonnummer ausgehändigt.“
Ihre Augen sahen ihn durchdringend an und ihr Mund hob sich zu einem charmanten Lächeln.
„Aber jetzt möchte ich Sie nicht weiter auf die Folter spannen und sehen ob Sie tatsächlich ein so guter Bulle, entschuldigen Sie den Ausdruck, sind, wie man sie lobt.“
Ein kurzes Räuspern und ein Blick der Selbstsicherheit ausstrahlen sollte, war alles was Nick dazu entgegnen konnte. Alles worüber er gerade nachdachte, war wie Miss McKinsley wohl ohne ihr rotes Kleid aussehen würde. Er könnte sich manchmal einfach ohrfeigen für seine Unprofessionalität in seinen Gedanken und musste dabei grinsen.
„Warum grinsen Sie denn?“, fragte Miss McKinsley mit ernstem Blick.
„Entschuldigen Sie, es ist nur, ich fühle mich äußerst geschmeichelt, das ein Kollege eine solche Meinung von mir hat. Ich möchte jetzt aber nicht weiter darauf eingehen. Meine Ohren gehören Ihnen Miss McKinsley.“
„Gut, dann fangen ich am Besten am Anfang an.“
Sie räusperte sich ebenfalls, nahm ein Schluck von ihrem Wasser, das vor ihr stand und wies Nick darauf hin, dass auch vor ihm ein Glas Wasser für ihn bereit war, falls er den Drang empfand etwas zu trinken.
„Es fing alles damit an, dass ich einen Anruf von einem gewissen Herrn Johnson erhielt, der mich darauf hinwies, dass meine Wertpapiere der AG Castellani&Partners enorm in die Höhe geschossen waren und Herr Castellani deshalb eine kleine Party für die 100 größten Teilhaber seiner Firma geben wollte. Keine schriftliche Einladung, nur dieser Anruf. Dieser gewisse Herr Johnson gab mir die Details durch und bedankte sich bei mir, er freue mich bereits auf mein Kommen. Mir kam das alles ziemlich spanisch vor, wie man so schön sagt, aber ich dachte mir, dass es schon auf einer Basis ablaufen würde, die auf jeden Fall Seriösität beinhaltete. Castellani&Partners ist nicht umsonst so erfolgreich.“
„Entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber was macht Castellani & Partners eigentlich genau? Ich hatte noch keine Zeit es rauszufinden.“, fragte Nick, der sich ein bisschen schämte es nicht zu wissen.
„Castellani&Partners ist so etwas wie eine Zusammenkunft der besten und erfolgreichsten Aktionäre. Sie geben sündhaft teure Seminare und vermitteln ihr Wissen in kleinen Schritten denen, die erstens das Geld haben, es dafür auszugeben und zweitens das Geld haben um in ihrer Größenklasse mitzuspielen. Mein Buchhalter hat mich vor ungefähr einem Jahr darauf hingewiesen, als er bemerkt hat, dass die  AG wöchentlich einen Gewinn von durchschnittlich 2,5% abwirft, die einzelnen Aktien aber soviel kosten, dass Normalsterbliche es sich nicht leisten können Anteile zu kaufen. Ich sah es als eine Art Geheimtipp an und habe damals ziemlich viel Geld investiert. Und siehe da, es hat sich tatsächlich gelohnt. Mit meinem finanziellen Stand möchte ich Sie aber dennoch nicht langweilen.“
Sie nahm einen erneuten Schluck von ihrem Glas und fuhr fort.
„Ich hoffe Ihre Frage ist geklärt?“
„Ja, danke der Belehrung.“, antwortete Nick, der nun aufmerksam zuhörte.
„Gut. Als ich zu besagtem Tage und zu besagter Uhrzeit an Herrn Castellanis Firmensitz, die Party sollte dort stattfinden, angekommen war, wurde ich in den höchsten Stock gebracht. Zu diesem Zeitpunkt war mir nicht klar, wie viel Geld in diesem, sagen wir mal, kleinen Imperium bereits steckte. Ich wurde also aus dem Lift geführt und stand im Salon. Der Raum war komplett offen gehalten. Keine Wand trennte einen Raum mit dem anderen, es gab ja nur den einen. Und überall standen Bedienstete mit Champagner Gläsern auf ihren Tabletten umher. Die Fenster bestanden aus einer einzigen Glasfront, die rundum verlief. In der Mitte war lediglich ein Stützbalken, der das alles halten musste. Ich war total beeindruckt von dieser Konstruktion. Ich muss noch dazu sagen, ich habe damals Architektur studiert und konnte mir bis zu diesem Tage keine Raumaufteilung wie diese vorstellen. Nach der Aufzugsfahrt wurde ich in den hinteren Teil des Raumes geführt, wo sich bereits einige der Gäste aufhielten und lautstark diskutierten. Über was war mir nicht wichtig, ich lege äußerst großen Wert auf Diskretion und war in dem Moment auch froh nicht direkt in das Geschehen eintauchen zu müssen. Meine Freude hielt aber leider nicht lange an, denn als Herr Castellani persönlich aus der Menge trat und auf mich zu kam um mich augenscheinlich zu begrüßen, war ich mittendrin. Ich wurde vielen wichtig aussehenden Menschen vorgestellt und war nach einer gefühlten Ewigkeit endlich mal wieder alleine, am Rande der Menge. Mittlerweile waren es an die 100 Gäste und es wurde angestoßen. Auf den Erfolg und die weitere Zukunft der Firma. Der Abend nahm langsam Gestalt an, es wurden Tische und Stühle angeliefert, die mit Platzkarten ausgestattet waren. Zu meinem Übel saß ich mit Herrn Castellani am Tisch und musste mich den ganzen Abend mit ihm und seinen Mitstreitern über uninteressantes Unternehmertum unterhalten. Bis dahin lief der Abend wie ich ihn mir vorgestellt hatte.“
Ein erneuter Schluck aus dem Wasserglas folgte. Es war auch der letzte und sie hob die Hand um ein neues zu ordern. Keine zehn Sekunden später stand ein weiteres für sie und mich auf dem Tisch, obwohl ich meines noch nicht einmal angerührt hatte.
„Als ich einen Bediensteten nach einer Toilette fragte, da ich mal einen Augenblick Ruhe benötigte, wies mich dieser darauf hin, das sich am anderen Ende des Raumes eine Möglichkeit dazu ergab. Stolzen Schrittes und angeheitert von dem Champagner machte ich mich also auf den Weg. Es war ein schönes Gefühl, einen kurzen Augenblick für sich alleine zu haben, ich war an dem Tag sowieso nicht besonders gut gelaunt, meine schlechte Laune hatte einen privaten Hintergrund. Doch mal wieder dauerte dieses Gefühl nicht lange an, denn Herr Castellani stürmte auf einmal durch die Türe. Man sah ihm seinen überhöhten Alkoholkonsum wahrlich an. Er stand also vor mir und sah mich durchdringend an. Danach folgten Worte wie Miss McKinsley, Sie sind die schönste Frau die ich jemals gesehen habe und Lassen Sie uns einen Stock tiefer gehen und eine traute Zweisamkeit genießen. Ich gab ihm eine Backenschelle und wollte empört aus der Türe treten, als er mich am Arm packte und mir weitere Schmeicheleien dieser Art an die Backe hauchte. Entschuldigen Sie bitte meine Wortwahl.“
Nick stellte sich die Situation vor, doch hielt es für besser, seine Meinung bei sich zu behalten. Er wollte Miss McKinsley nicht aus ihrer Erzählung bringen.
„Es musste passiert sein, als er nach meinem Arm griff oder auch vielleicht bei einer anderen Bewegung, aber als er wutentbrannt nach draußen stürmte, nachdem er gemerkt hatte, dass er mit mir kein Glück haben wird, habe ich einen Brief auf dem Fußboden gefunden. Den genauen Wortlaut habe ich leider nicht mehr im Kopf, aber ich habe ihn selbstverständlich hier und übernehme die volle Verantwortung, sollte es mal um das Thema Briefgeheimnis oder ähnliches Privates Recht gehen.“
Sie schnippte mit den Fingern und erneute zehn Sekunden später lag der besagte Brief auf dem Tisch. Nick sah sie an und als sie ihm zunickte, nahm er ihn an sich.
„Lesen Sie ihn bitte jetzt Detective Dover. Wenn Sie Bescheid wissen, muss ich Ihnen die Zusammenhänge meiner folgenden Berichte nicht erklären.“

Mein lieber Daddy,
als ich heute Sarah aus dem Kindergarten abgeholt habe, musste ich daran denken ob du es jemals fertig bringen wirst sie selbst von dort abzuholen? Wirst du dort hingehen und nach ihr fragen, während sie sich ihre Schuhe bindet und darauf wartet, dass Mami zur Türe hereinkommt  und dann, auf sie wartet? Sie fragt zur Zeit jeden Tag nach ihrem Daddy und ich kann ihr nichts weiter sagen, als das er vor langer Zeit abgehauen ist um ein anderes Leben zu führen, dass er Mami nicht mehr geliebt hat und nicht wusste, dass sie schwanger war. Ich weiß nicht, ob ich das alles noch lange schaffe. Ich bin innerlich am Ende, alles ist in kleine Einzelteile zersplittert. Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Mir bleibt nichts anderes übrig, als dich zu bitten mir zu helfen. Es ist schließlich deine Tochter.
Barbara

Nick hatte einen Kloß im Hals, als er den Brief wieder zusammenfaltete.
Jetzt wusste er auch, warum Herr Castellani seine Trauer nur vorgetäuscht hat.  Er war im Grunde froh darüber, denn wenn Barbara tot ist, hat er nichts mehr zu befürchten. Keine Presse wird auch nur ein Wort über seine Affäre zu seiner Stieftochter, aus der ein gemeinsames Kind entstanden ist, erfahren. Sein Imperium bleibt bestehen und er kann sein Leben, welches er aller Anschein nach so sehr liebt, dass er sogar Tote in Kauf nimmt, weiterleben. Und wenn man es sich recht überlegt, ist Bertha Castellani auch nur eine Tarnung um seine untreuen Machenschaften mit jungen, schönen, reichen Frauen einhell zu ergehen.
Alles was er jetzt noch benötigte war der Brief.
„Herr Castellani hat mich vor zwei Stunden angerufen und mir gesagt, das er wisse, wer den Brief hat und er keine Kosten und Mühen scheuen werde ihn wieder zu bekommen. Naja, mit Kosten wird er mich nicht locken können und da er mir mit den Mühen sozusagen gedroht hat, dachte ich, ich gehe zur Polizei. Und jetzt sitzen wir hier.“
„Was haben Sie darauf geantwortet, als er mit dem Brief anfing?“, fragte Nick.
„Ich war natürlich zu allererst äußerst perplex, als er am Apparat war und sofort damit anfing, wo der Brief sei und wie schon gesagt, das er wisse, wer ihn hat. Um alles von mir abzulenken habe ich noch einmal nachgefragt was er genau für einen Brief meine um ihm klar zu machen, dass ich keine Ahnung hatte wovon er redet. Nach weiterem Nachfragen und aufgestellten Tatsachen von seiner Seite aus, habe ich dann einfach aufgelegt. Mir egal, ob er jetzt  etwas denken könnte, was mich in ein falsches Licht bringt und was er von mir hält ist mir nach dem Vorfall auf der Toilette ehrlich gesagt scheißegal. Ich finde, dass der Brief eine zu wichtige Konstante in dem Mordfall, der heute in den Nachrichten lief hat. Ich kann ihn nicht einfach zurückgeben und so tun, als ob nichts gewesen wäre.“
Sie sah ihn erwartungsvoll an und Nick wusste nicht recht was er sagen sollte. Doch nach kurzem Überlegen entschied er sich dazu sie zu belehren.
„Aus unserem Gespräch heraus kann ich Ihnen Ihre möglichen Vorgänge kurz erläutern. Da Ihnen Herr Castellani bereits gedroht hat, können Sie ihn wegen Verletzung der allgemeinen Menschenrechte und wegen dem Übergriff auf der Toilette wegen Sexueller Nötigung anzeigen. Dieses Verfahren würde aber ziemlich sicher fallen gelassen werden, da Aussage gegen Aussage stünde und Sie keine Zeugen für den Vorfall haben. Herr Castellani könnte auch darauf bestehen, der Brief sei eine Fälschung, worauf hin Sie wieder rum einen Vaterschafts-Test beanstanden könnten. Oder zumindest seine Ehefrau, da es Sie im familiären Zusammenhang nichts angeht, wer der Vater des Kindes ist.“
Nick ließ einen kurzen Augenblick verstreichen und fuhr dann fort.
„Sie können mir den Brief natürlich aushändigen, ich werde mich dann um die weiteren Vorgänge der Polizeiarbeit kümmern. Wenn Sie es für nötig erachten, sehe ich es für sinnvoll an, Ihnen einen Geleitschutz zuzusenden, da die Möglichkeit besteht, dass er vor nichts zurückschreckt und seine Drohung wahr machen wird. Sind Sie damit einverstanden?“
Ella McKinsley war sichtlich geschockt, dass Nick ihr einen Geleitschutz zu ihrer eigenen Sicherheit anbot. Vielleicht war die ganze Briefgeschichte doch nicht so einfach abzuwerfen wie sie es sich erhofft hatte. Nach einer kurzen Bedenkzeit, die Nick vorkam, als sei es mindestens eine halbe Stunde gewesen, keiner hat auch nur ein Wort geredet, stimmte sie ihm zu und bedankte sich mit den Worten,
„Vielen Dank Detective Dover, es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass es doch noch Gerechtigkeit und anständige Polizisten gibt.“
Sie lächelte ihn an, zögerte einen Moment und fragte dann noch einmal,
„Können Sie sich vorstellen nächsten Freitag mit mir zu Abend zu essen? Ich möchte es gerne wieder gut machen, dass sie solche Mühen für mich in Anspruch nehmen.“
Jetzt konnte Nick jetzt nichts mehr gegen seine aufsteigende Gesichtsfarbe tun. Zu seinem Glück hielt sich diese aber in Grenzen und wart nur von ihm selbst zu spüren. Er war gerade drauf und dran sich mit einer wichtigen Zeugin seines aktuellen Falles zu verabreden. In Kreisen der Polizei war es ein absolutes Tabu einen Beteiligten eines Falles auch im privaten Leben zu treffen, geschweige denn eine Verabredung anzunehmen, aber Nick konnte der Einladung beim besten Willen nicht widerstehen.

-

„Warum hat die komische Frau zu mir gesagt, dass ich hier drinnen warten muss?“, fragte Sarah ihre Erzieherin.
„Sie muss sich um deine Mama kümmern und du musst noch ein bisschen hier drinnen warten, bis dich deine Oma abholen kommt.“
„Was ist mit meiner Mama?“, frage Sarah.
„Das weiß ich nicht genau meine Kleine, aber ich denke wir müssen uns keine Gedanken machen. Wollen wir nicht das Puzzle zu Ende spielen, das wir heute Mittag angefangen haben?“
Das Kerstin Überstunden machen musste störte sie nicht. Sie hatte aber ein komisches Gefühl im Magen was die kleine Sarah und ihre Mutter anbetraf. Sie wurde erst eine Woche zuvor eingestellt. Alles was sie immer wollte, war einen Tagesablauf zu haben, an dem man mit anderen Menschen zusammen kommt und man vieles erlebt. Ein langweiliger Bürojob kam für sie nicht in Frage. Sie war eine vollblütige Erzieherin und liebte ihren Beruf.
Mittlerweile war es schon fünf nach halb fünf. Sarah konnte seit ein paar Wochen die Uhr lesen und tat das auch so oft, wie sie eine in ihr Blickfeld bekam. Sie war gerade fünf Jahre alt geworden und wollte über alles etwas wissen. Das einzige was Kerstin und den anderen der Gruppe unnormal erschien, waren die blauen Flecke, die Sarah manchmal nach dem Wochenende mit in den Kindergarten brachte. Jeder aus dem Kindergarten hat sie schon oft gefragt, warum sie denn diese Flecken habe, aber aus ihr rauszubekommen war nichts. Sie wisse es einfach nicht. Selbst bei ihrer Mutter Barbara stoß man wie auf Granit. Mit der Zeit wurden sie einfach als Hausunfälle gesehen und nicht weiter beachtet. Es ist schließlich ein junges, abenteuerlustiges Mädchen und diese Abenteuerlust brachte nun mal diverse Schrammen und Macken mit sich. Ab und zu schlief sie aber auch einfach ein und man hatte das Gefühl, dass sie zu Hause zu wenig Schlaf bekam. Irgendetwas musste schief laufen im Hause Watson, darin waren sie sich alle einig.
Es war bereits spät geworden, als Bertha Castellani durch die Eingangstüre des Kindergartens eilte und nach Sarah fragte.
„Hallo, ich möchte meine Enkelin Sarah abholen. Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber es ist etwas schlimmes passiert. Sarah wird meines Erachtens nach die nächste Zeit nicht mehr in den Kindergarten kommen. Ihre Mutter ist letzte Nacht ermordet worden.“
Ihre Stimme klang ausgezehrt und fing an zu beben, als sie das Wort ermordet erwähnte. Der Tod ihrer Tochter kam für sie zwar nicht besonders überraschend,  aber zu diesen Umständen konnte sie es einfach nicht verstehen. Barbara wäre eigentlich ihr ganzes Leben lang eine hübsche, aufreizende, intelligente Frau gewesen, aber eines Tages fing es an. Ihre große High School Liebe David war ihr ein und alles. Sie hatte sich bereits das ganze Leben ausgemalt, das sie mit David haben werde. Gemeinsame Kinder, ein Haus, ja sie war sogar bereit für ihn in andere Länder zu ziehen. David war nachdem er sein Studium abgeschlossen hatte in der Immobilienbranche tätig und war nur sehr selten zu Hause. Meist war er in Südamerika und Kanada unterwegs um irgendwelchen reichen Leuten neue Wohnalternativen zu verkaufen. Immer wenn er weg war, vermisste sie ihn zutiefst und verschanzte sich die ganze Zeit im Haus, wo sie sich um Sachen kümmerte, die David eine Freude bereiten konnten. Freunde hatte sie so gut wie keine mehr. Ihre Schulfreunde und Bekannte hat sie im Laufe ihrer Beziehung mit David einfach nicht mehr unter den selben Hut bringen können und nach und nach den Kontakt mit ihnen beendet. Alles was für sie zählte war David und ihre gemeinsame Zukunft. In diesem Fall der Liebe gibt es zwei Wege, wie diese verlaufen kann. Entweder David findet eine Immobilie in die die beiden ziehen, zwei Kinder großziehen und dort gemeinsam alt werden oder eben die wahrscheinlichere. David hatte nämlich nach der bis dato neun Jahre andauernden Beziehung irgendwann gemerkt, dass er nicht mit Barbara, sondern mit Penelope alt werden möchte. Sie war eine Arbeitskollegin, die David in Südamerika vermittelte und so verlief alles nach einem Plan, den sich Barbara besser nicht einmal hätte träumen lassen. Eines Tages kam er nach Hause und hatte nicht die wie sonst freudige Miene sie zu sehen aufgelegt. Er war bedrückt und sah Barbara mit diesem Blick an der ihr rein gar nicht gefallen sollte. Nach stundenlangem Diskutieren über den Grund seiner Stimmung hatte er preisgegeben, dass er jemanden kennengelernt habe. Es war zuerst nichts besonderes gewesen, aber als die beiden längere Zeit miteinander zutun gehabt hätten, wurde mehr daraus. Die Einzelheiten möchte er ihr ersparen und Klartext mit ihr reden. Es ginge einfach nicht mehr weiter mit ihnen. Er würde nach Südamerika ziehen und sich einige Probleme zwecks den ständigen Flügen und den daraus entstehenden Kosten ersparen. Für ihn war das alles eine endgültige Sache gewesen. Nach dem Gespräch ging er aus der Türe und buchte sich ein Hotel. Barbara hatte während der ganzen Zeit in der David gesprochen hatte kein einziges Wort gesagt und selbst als er aus der Türe ging war sie wie versteinert gewesen. Sie hatte ihn nicht aufhalten können, hatte ihm nicht nachgerufen, nicht um ihn gekämpft. Es verstrichen ein paar Tagen in denen sie dachte, er würde sich schon klar werden, was wirklich wichtig für ihn war. Aber nichts geschah. Kein Anruf, kein Besuch, nicht einmal ein Nachfrage wie es ihr damit erginge kam. Das hat Barbara zu Grunde gerichtet. Ihre Vorstellung einer perfekten Beziehung mit ihrem, wie sie immer dachte, Traummann war dahin. Flog  davon wie eine Taube, die sich mal eben auf das Fenstersims gesetzt hatte um für eine kurze Weile auszuruhen. Sie hatte nichts mehr.
Einige Monate später fühlte sie sich unwohl und musste sich, als sie gerade aufgestanden war übergeben. Zuerst dachte sie ihr Körper rebelliere gegen ihre täglichen psychischen Auseinandersetzungen mit sich selbst, aber als es am nächsten und übernächsten Tag das selbe Spiel war, hatte sie beschlossen einen Schwangerschaftstest zu machen. Sie ging also zu einem darauf spezialisierten Arzt und nach einer viertel Stunde in der sie regungslos im Wartezimmer ausharrte wurde ihr mitgeteilt das sie schwanger sei. Nichts geschah in ihr. Keine Gefühle, keine Regung. Sie konnte nicht antworten als die Frau zu ihr sage, dass sie sich im dritten Monat befinde. Ab dem dritten Monat war eine Abtreibung unmöglich. Sie musste das Kind austragen und entweder danach zur Adoption freigeben oder ihm eine gute Mutter sein.
Das nächste halbe Jahr war für sie wie die Hölle auf Erden. Sie wusste einfach nicht ob sie das Kind haben wolle oder nicht. Es sprachen so viele Dinge dafür, aber mindestens genauso viele dagegen. Doch als Sarah dann durch einen Kaiserschnitt das Licht der Welt erblickte und Barbara mit einem Blick ansah, das ihr vor Freude die Tränen kamen, waren die Muttergefühle geweckt. Sie beschloss für ihr Kind da zu sein und es großzuziehen. Einige Monate verstrichen und alles lief wie es für eine neue Mutter laufen sollte. Keine großen Probleme, finanziell wurde sie von ihrem Stiefvater unterstützt. Doch dann lernte sie Ben kennen. Sie musste ihn bei einem ihrer Selbsthilfegruppen kennengelernt haben. Was sie an diesem Scheusal fand konnte sie einfach nicht begreifen. Er war ein großer, dürrer Mann mit der Nase eines Habichts, seine Haut war fahl und seine Augen hatten diesen gewissen Schleier den nur Junkies haben. Das schlimmste war aber, dass man als Aussenstehende und Mutter klar und deutlich erkennen konnte, dass er nur auf Barbaras Geld aus war und alles daran setzte es zu bekommen. Bertha hatte oft versucht das ihrer Tochter klar zumachen, aber alle Hilfen und Reden blieben aus. Nichts nützte. So kam es dazu, dass Barbara mit der Zeit ebenfalls den Drogen verfiel und für die ganze Nacht nicht zu Hause war. Am Morgen kam sie entweder zu spät um Sarah in den Kindergarten zu bringen oder sie blieb ganz aus.
Ben blieb für sie bestehen, aber Sarah wurde immer unwichtiger und so kam es, dass Sarah die meiste Zeit bei Bertha übernachtete. Das Barbara in ihrer Trennungsphase eine kurze Affäre mit ihrem Ehemann Rodriguez hatte, wusste Bertha nicht. Er hatte sie sozusagen dazu gezwungen, schließlich bezahlte er ihr einen Unterhalt, den er nicht bezahlen würde müssen. Und so wusste sie auch nicht, dass Sarah das Kind ihres Ehemannes und ihrer Tochter war. Sie ging immer davon aus, es sei von David und Barbara. David war genau wie Rodriguez ein dunkler Typ. Sarah hatte ebenfalls schwarze Haare und war schlank, genau wie David und Rodriguez. Mit bloßem Auge war es also unmöglich ein Detail ausfindig zu machen, dass Bertha auf ihren Ehemann Rodriguez als vermeintlichen Vater Sarahs` hinwies. Alleine der Gedanke war schon zu klein um überhaupt in ihren Kopf zu entstehen.
„Omaaa!“, kam es aus dem kleinen Raum, der dem Kindergarten als Spielzimmer diente.
Sarah kam mit großen Schritten auf sie zu gerannt und umschloss ihre Taille mit einer festen und sehnsüchtigen Umarmung. Sie musste bereits lange auf sie gewartet haben.
„Danke, dass Sie so lange ausgeharrt haben. Es war unmöglich für mich noch früher zu kommen.“, sagte Bertha als sie Kerstin aus dem Raum kommen sah.
„Kein Problem, ich bin doch gerne für meine kleinen Zwerge da.“, antwortet Kerstin und streichelte Sarah mit einem warmen Lächeln über den Kopf. Diese lachte und ging zur Garderobe die vor dem Spielzimmer angebracht war um sich ihre Jacke und Schuhe anzuziehen.
In leisem aber sicheren Tonfall wies sie Kerstin darauf hin, dass Sarah die nächste Zeit nicht in den Kindergarten kommen werde, es sei etwas schlimmes passiert mit dem sie Sarah erst einmal die Zeit geben wollte, die sie brauche.
„Ich möchte es jetzt nicht hier aussprechen, aber ihre Kollegin weiß bereits Bescheid.“
Bertha nahm Sarah an die Hand und führte sie langsam nach draußen. Der kalte Wind umschloss beide mit einem eisigen Hauch und am liebsten wäre Bertha mit ihm fortgetragen worden. Was sie Sarah genau sagen wollte, wusste sie nicht. Alles was sie wusste war, ihr nicht zu erzählen, das ihre Mutter ermordet wurde, sondern gestorben sei. Es würde sie sonst zutiefst in ihren jungen Jahren beeinflussen und das Leben ihrer Enkelin wollte sie nicht auch noch den Bach runter gehen sehen. Sie würde ihr eine Oma und Mutter sein. Ihr alles geben, dass sie von Barbara nicht mehr bekommen konnte.