Wenn die Hälfte Deines Lebens beginnt, sich an dich anzupirschen und auf Tuchfühlung zu gehen, schleichen sich von Zeit zu Zeit Bilder der Vergangenheit in den Sinn. Mit 40Plus darfst Du ganz ungenierlich ab und an in nostalgischen Erinnerungen schwelgen. Ich hab auch schon ein paar gesammelt. Gute Momente, zauberhafte Begegnungen, unvergessliche Tage, besonders heiße Sommer, tief verschneite Winter, Erinnerungen an dampfenden Kakao, blitzende Augen, Kinderlachen, Papas starke Arme die mich durch die luft wirbeln, verstecktes Händchen halten, Herzklopfen, Liebeskummer…ein paar unschöne, traurige emotional geladene Episoden gehören selbstverständlich auch dazu. Erinnerungen die ganz unterschiedlich präsent sind. Einige ganz besonders intensiv und treu andere eher verblassend kaum mehr wahrnehmbar. Und dann die eine, die immer wiederkehrende, anfangs etwas schmerzliche, doch heute wunderschöne Erinnerung an längst vergangene Zeiten. Der Möhrenkuchen- Zauberhaft nicht?! Das ein Möhrenkuchen, Bilder und grandiose Erinnerungen herauf zu beschwören vermag. Es sind weder geschmack noch Aroma, wenngleich Beides sensationell ist. Es ist nicht irgendein schnöder Möhrenkuchen. Es war der erste Möhrenkuchen meines Lebens. Ich bekam ihn zum Weihnachtsfest gebacken zusammen mit dem, auf einem blauen Briefbogen, handgeschriebenen Rezept. Kitschigerweise standen wir im ersten Flockenwirbel des Jahres und ich schälte einen verführerisch duftenden Möhrenkuchen aus dem Weihnachtspapier. Die Erinnerung an diesen Moment ist für mich ganz besonders. Sie schleicht sich jedesmal an, wenn ich heute einen Möhrenkuchen backe, zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen. Ja! Ich back den Kuchen noch heute und nach genau dem Rezept vom blauen Briefbogen. Nein! Paul ist nicht eifersüchtig. Ihn amüsiert meine Sentimentalität. Wie unbeschwert und sorglos damals alles war. Ich back den Kuchen oft. Im Grunde genommen ist es der einzige Kuchen den ich vernünftig backen kann. Und ich back ihn nicht um einen Vorwand zu haben, mich an diese, am Ende, zumindest für mich, etwas schmerzliche Liaison zu erinnern, sondern weil der Möhrenkuchen und ganz speziell der Möhrenkuchen nach diesem Rezept so himmlisch mundet. So drei- oder viermal im Jahr raspele ich 4 große Möhren. Dabei erinnere ich mich genau an die Küche, wo wir nach dem ungewöhnlichen Weihnachtsgeschenk zum ersten Mal unsere Fingerknöchel aufschrammten, weil wir vor lauter Knutscherei nicht auf das Ende der Möhren achteten. Wieviele Jahre ist das jetzt her? 12, 15, 18 Jahre? Ich weiß das nicht mehr so genau. Ich war naiv und jung und verliebt- in den Möhrenkuchen und strahlend blaue Augen. Das Ende war unrühmlich. Ich hab mich, unerfahren wie ich war, auch nicht sonderlich mit Ruhm bekleckert. Aber bis es soweit war schwebte ich monatelang irgendwo über Wolke 7 im rosaroten Himmel voller Liebesgeigen und buck Möhrenkuchen um Möhrenkuchen. Nachdem ich mich, viele Wochen später, endlich vom unsanften Sturz auf den Boden der Realität, zu erholen begann, sperrte ich für’s erste das handverfasste Rezept nach ganz unten in eine dieser Erinnerungskisten. Meine vollständige Genesung sollte etliche Zeit in Anspruch nehmen. Oh ich glaube erst als mich das nächste Mal so richtig verknallt hatte, wagte ich einen Möhrenkuchen zu backen. Bei der Zubereitung wurde nie wieder geknutscht. Die Finger sind auch heilgeblieben. Dennoch, jedes Mal wenn ich die Möhren raspele, den Sherry mit einem ordentlichen Schwung zu den 400g gemahlenen Haselnüssen und ebenso viel geraspelten Möhren, den 6 Eigelb und 100g braunem Zucker gebe muss ich schmunzeln. Wenn der Typ wüsste das ich bis heute das Rezept aufbewahrt habe und mehrmals im Jahr seinen Möhrenkuchen backe. Und dann auch noch an unsere kurze gemeinsame Zeit denke. Oh wei. Wie gut das Erinnerungen unsere eigenen sind. Ich gebe bis heute eine Prise Salz ins Eiweiß damit es wirklich schnittfest nach dem Schlagen ist. Bis heute wird es danach ganz sanft unter den Teig gezogen. Ganz selten fehlen Sherry oder Rum- grosszügig bemessen. Und bis heute beträgt die Backzeit 55 Minuten und 10 obendrauf. Einzig den Guss habe ich abgeändert. Statt Schokolade nehme ich ordentliche Butter und eine gehörige Portion Schmand. Mixe beides mit Holunderblütensirup, Limettensaft und etwas Schale einer ÖkoLimette. Fast könnte der Eindruck entstehen ich zelebriere das Backen von Möhrenkuchen. Ganz unrichtig ist dieser Eindruck nicht. Ich erinnere mich gerne zurück an jene Tage- irgendwie ja so ganz ohne Groll, Wehmut oder Traurigkeit. Liebe kommt und geht, so ist das Leben- der Möhrenkuchen oder besser das Möhrenkuchenrezept das bleibt.