Shun (links) und Umi (rechts) sind die Hauptprotagonisten in Ghiblis “From Up On Poppy Hill”
Der Vergleich der japanischen Ghibli Studios mit der amerikanischen Animationsstätte Disney rückt immer näher, zumal im neuesten Film, der vom Sohn des Ghibli-Gründers Hayao Miyazaki inszeniert wurde, im Vorspann deutlich die Worte Walt Disney Japan zu erkennen sind. Davon lässt sich der knuddelige Totoro, Markenzeichen Ghiblis, aber nicht in seiner Originalität beeinflussen. Hübsche Prinzessinnen sucht man hier stets vergebens, auch Goro Miyazaki legt Wert auf den erwachsenen Zeichentrickfilm. Sein Ghibli-Debüt war 2007 Die Chroniken von Erdsee, basierend auf dem Buch Das ferne Ufer der amerikanischen Schriftstellerin Ursula K. Le Guin. Und auch für Der Mohnblumenberg hat sich Goro Miyazaki inspirieren lassen: Dieses Mal von der Graphic Novel Kokuriko-zaka kara, illustriert von Takahashi Chizuru und geschrieben von Sayama Tetsuro. Stilistisch entfernt sich Goro mit seinem Film sowohl von seinem Regiedebüt als auch von vorherigen Ghibli-Produktionen wie Ponyo und Arietty. Sind diese allesamt noch in der Welt der Phantastik angesiedelt, entführt er die Zuschauer hier nun in die reale Welt Japans kurz vor den Olympischen Sommerspielen 1964 in Tokyo.
Zu dieser Zeit lebt die 16 Jahre alte Umi in Yokohama. Von ihrem Haus, in dem sie mit ihrer Familie zusammen lebt, überblickt sie den ganzen Hafen. Jeden Morgen hisst sie eine Reihe von Signalflaggen, die für die Seefahrer die Nachricht einer hoffentlich sicheren Reise bereit hält. Diese Tätigkeit beschert Umi eines Tages ein eigenes Gedicht, welches über sie in der Schülerzeitung veröffentlicht wird. Der Autor ist Shun, ein wagemutiger Junge und Mitglied des Kulturclubs der Schule. Er engagiert sich im Quartier Latin, einem alten Gebäude in dem ein großer Teil aller Clubs und Zusammenschlüsse zu finden sind, die von den Schülern gegründet wurden: ein Philosophieclub, der Archäologieclub, Literatur, Astronomie und die Schülerzeitung selbst, für die auch Umi sich schon bald begeistert. Unter ihrer Anleitung wird das Quartier Latin generalüberholt, gesäubert und entrümpelt. Aber trotzdem soll es im Zuge einer Umstrukturierung abgerissen werden.
Shun und Umi stehen im Regen
Damit erschafft Goro Miyazaki eine bodenständige Story, ganz ohne Drachen, merkwürdigen Seekreaturen oder kleinen, borgenden Wesen. Wenig fantasievolle Welten, die nichtsdestotrotz durch ihre Detailfülle bestechen, erzählen von dem Bestreben einer besseren Zukunft und der Vergangenheitsbewältigung, hier speziell durch das Motiv des Korea Krieges, wo beide Hauptprotagonisten, Umi und Shun, ihre Väter verloren haben. Umi muss auf ihren Vater verzichten, der ihr das liebevolle Deuten von Signalflaggen beigebracht hat, ohne dass dieser durch eine relevante Kriegstat gefallen ist. Nur am Rande wurde sein Versorgungsschiff von einer Wassermine getroffen, in Folge dessen es mitsamt der ganzen Besatzung versenkt wurde. Es wirkt wie eine unwichtige Nebenerscheinung des Korea Krieges, schon fast wie ein Kollateralschaden. Hierdurch erinnert Der Mohnblumenberg stark an Isao Takahatas 1988er Ghibli Film Die letzten Glühwürmchen, kommt dennoch weitaus undramatischer daher, sondern besticht eher durch ein leichtes Lebensgefühl, durch sonnendurchflutete Bilder und durch das chaotische Clubhaus. Die Landschaft ist derweil gesäubert, nirgendwo lassen sich Naturproblematiken ausmachen, die bei Hayao Miyazaki niemals fehlen dürften. Hinzu gesellt sich noch der politische Aufstand, die Demokratie wird angezweifelt, wo die Minderheit ignoriert wird. „Don’t demolish our clubhouse“ wird da zur Anzweiflung des Systems, welches hier erfolgreich bekämpft wird. Mit dem Mut, große Dinge zu vollbringen, mit der Liebe und Hingabe zu einer Sache, findet also die Gerechtigkeit selbst im Japan ihren Weg.
Jeden Morgen hisst Umi ihre Signalflaggen
Die traurigsten Momente sind dann die farblosen Erinnerungen Umis, wenn sie sich in eine Zeit zurück träumt, in der ihr Vater noch lebt, in der eine Erscheinung ihr mitteilt, dass Papa wieder Zuhause ist und für eine lange Zeit bleiben wird. Für ihr seelisches Wohlergehen ist es ebenso wenig förderlich, dass ihre Liebe zu Shun von der Annahme erschwert wird, dass die beiden Geschwister sein könnten. Somit bleiben sie zwar Freunde, dürfen sich aber natürlich aus sittlichen Gründen niemals näher kommen.
Der Mohnblumenberg zeigt, dass auch Goro Miyazaki mit handwerklicher Vielfältigkeit die Ghibli-Tradition aufrecht erhalten kann. Mit traditionsbewussten Mitstreitern wie Isao Takahata werden immer neue, abwechslungsreiche Ideen zu Papier und auf die Leinwände gebracht. So ist auch dieser Film eine grandios-realistische Abwechslung zum verrückt-knallbunten Animationsfilm der amerikanischen Studios.
“Der Mohnblumenberg“
Originaltitel: Kokuriko-zaka kara
Altersfreigabe: noch ohne Bewertung
Produktionsland, Jahr: J, 2011
Länge: ca. 91 Minuten
Regie: Goro Miyazaki
Synchronsprecher: Masami Nagasawa, Junichi Okada, Keiko Takeshita, Jun Fubuki, Nao Ohmori, Yuriko Ishida, Rumi Hiiragi, Takashi Naitô
Deutschlandstart: 21. November 2013
Im Netz: facebook.com/UniversumFilm