Der Mindestlohn ist da – Zeit wurde es

Von Oeffingerfreidenker
Der allgemeine, flächendeckende Mindestlohn von 8,50€ pro Stunde wurde beschlossen. Ausnahmen umfassen Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten ihrer Beschäftigung, Praktikanten, Jugendliche und - bis 2017 - Zeitungszusteller. Was also ist von diesem Konstrukt zu halten? Ist es ein weiterer Verrat der SPD an ihren Idealen, oder handelt es sich um den großen Wurf? Ich halte keine der beiden Interpretationen für zutreffend. Die SPD fordert seit sie nicht mehr an der Regierung ist einen flächendeckenden Mindestlohn, und nun, da sie es wieder ist, musste sie ihn auch liefern. Die Ausnahmen sind unschön, aber überschaubar. Und die Effekte dürften sich insgesamt in Grenzen halten.
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Wenden wir uns zuerst der wirtschaftsliberalen Kritik am Mindestlohn zu: diese besagt, er sei zu hoch und würde Anreize gerade für Niedrigqualifizierte zerstören, sich auch unattraktive Arbeit zu suchen. Gleichzeitig werden Arbeitsplätze in diesem Niedriglohnsektor verschwinden, weil sie sich nicht mehr rentieren. Von diesen Argumenten halte ich nichts, und habe noch nie etwas davon gehalten. Der Grund dafür ist einfache Mathematik und ein moralisch-ökonomisches Argument. Die Mathematik besagt, dass ein Mindestlohn von 8,50€ bei vier Arbeitswochen und acht Stunden Arbeit am Tag ein Bruttogehalt von 1360 Euro einbringt. Netto macht das 1014,55€. Für einen Vollzeitjob, wohlgemerkt. Der Mindestlohn, und das besagt das folgende moralische Argument, muss es einem jeden Menschen erlauben, von einer Vollzeittätigkeit leben zu können. Das schafft der Mindestlohn. Nicht besonders gut leben, sicher, aber leben. Ein anderes Ziel hatte er auch nie, und damit scheint 8,50€ eine halbwegs vernünftige Untergrenze darzustellen. Es macht auch ökonomisch nicht allzuviel Sinn, eine Beschäftigung unterhalb dieser Schwelle zu subventionieren, denn nichts anderes ist die Abwesenheit eines Mindestlohns. Auch Menschen, die weniger als 8,50€ in der Stunde verdienen, wollen essen und wohnen, und dieses Geld muss irgendwo herkommen. Es kommt aus den Taschen der Steuerzahler, über den Umweg der Hartz-Bürokratie. Es profitieren davon diejenigen, deren Gewinn davon abhängt, dass ihr Betrieb vom Steuerzahler subventioniert wird - eigentlich nichts, was ein Liberaler wollen kann. Der Eingriff des Staates in den Arbeitsmarkt schafft hier überhaupt erst vernünftige Marktbedingungen, denn die Vorstellung, dass Praktikanten und Jugendliche bislang ihren Lohn frei verhandeln konnten und einen gewaltigen Freiheitsgewinn hatten, ist schlicht Kokolores. Auch bei Langzeitarbeitslosen muss man sich fragen lassen, warum die Beschäftigung nach den günstigen sechs Monaten weitergehen sollte, und warum dann plötzlich 8,50€ bezahlbar sind. Probezeiten gibt es bereits, befristete Verträge auch (gerade mit Sonderbedingungen für Langzeitarbeitslose). Werden durch den Mindestlohn Arbeitsplätze verloren gehen? Vermutlich. Ich sage sogar: hoffentlich. Denn der Effekt wäre derselbe, der damals beim Post-Mindestlohn PIN den Stecker gezogen hat: Jobs, die nur existieren, weil die Gewinne der Unternehmer und Anteilseigner durch Steuergelder quersubventioniert werden, haben keinen Platz. Geschäftsmodelle, die darauf basieren, dass der Staat Geld zuschießt (ob direkt ans Unternehmen oder an die Beschäftigten) haben erst einmal keine Existenzberechtigung. Entweder ein Unternehmen kann einen Service bieten, der es gegenüber anderen attraktiv macht, oder es kann das nicht - in letzterem Falle gibt es aber nicht wirklich einen Grund, warum es durch Lohnsubventionen künstlich am Leben gehalten werden müsste. Davon abgesehen ist das wahrscheinlichere Ergebnis ein moderater Preisanstieg auf jenen Gebieten, auf denen bisher eine Steuersubventionierung des Lohns stattfand. Ob künftig die Burger beim Fastfood-Restaurant 20 Cent teurer werden oder der Haarschnitt beim Billigfriseur drei Euro, ob das Zeitungsabo ab 2017 dann 20 Euro mehr im Jahr kostet oder die Gebühren für die Reinigung erhöht werden müssen - all das wird die, die bislang Profiteure dieses Zustands sind, nicht umbringen. Und die zu erwartende moderate Inflation, die dadurch entsteht, wird den Kaufkraftgewinn der rund vier Millionen Mindestlohnempfänger auch nicht nivellieren, wenngleich natürlich ein wenig eindellen. Da aber eine moderate Inflation in Deutschland ohnehin von der EZB gewünscht wird, muss diese Entwicklung genausowenig negativ gesehen werden. Bleiben die Praktika, die gerade als eines der stärksten Argumente herhalten. Viele Unternehmen haben bereits angekündigt, dass sie künftig ganz auf Praktika verzichten werden, weil sie sich eine ordentliche Bezahlung der Leute nicht leisten können. Das betrifft auch viele staatliche oder halbstaatliche Betriebe, vor allem im Kultursektor. Auch hier aber gilt: der Wegfall dieser Praktika ist nicht zwingend ein volkswirtschaftlicher Schaden. Denn auch hier wurde parasitär Arbeitskraft genutzt, die man sich unter den Bedingungen des Freien Markts nicht leisten kann oder will, aber auf die man nicht verzichten zu können glaubt. Dasselbe Argument wurde übrigens beim Wegfall der Wehrpflicht für den Zivildienst gebraucht: was sollen die Sozialen Dienste nur ohne die ganzen Zwangsarbeiter jedes Jahr tun? Bislang jedenfalls ist der große Pflegenotstand ausgeblieben. Der Mindestlohn ist daher ein Instrument, das gerade Marktliberale und Freunde des Freien Markts begrüßen sollten. Er baut eine ganze Reihe von versteckten staatlichen Subventionen ab und ermöglicht einen wesentlich ehrlicheren und funktionstüchtigeren Arbeitsmarkt, in dem keine Wettbewerbsverzerrung durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Ein-Euro-Jobs und ähnlichen Unsinn stattfindet. Und wenn wir es jetzt noch schaffen, die eigentlich nicht zu rechtfertigenden Ausnahmen zu revidieren, dann haben wir noch einen weiteren Schritt getan.