Bei einem der Orishas im Museum (siehe vorigen Artikel) findet sich die Bemerkung, dass der Meertanz seit 1944 nicht mehr gefeiert wird. Keine weitere Erklärung dazu. Also habe ich die Wärterin gefragt, warum der „Meertanz“ nicht mehr gefeiert wird. „Dabei wurde immer jemand ertränkt,“ lautete die grausige Antwort. Auf das Gerücht, es gäbe im Zusammenhang der afro-kubanischen Religionen Menschenopfer, stoßen wir immer wieder. Ich bin skeptisch, weiß ich doch, dass man im Altertum den Christen und im Mittelalter den Juden fälschlich unterstellt hat, sie würden Menschenopfer darbringen.
Heute frage ich einen kubanischen Freund, dessen Bruder und Tante der Santería anhängen, wie es damit steht. Er überhört die Frage. Ich wiederhole sie später noch einmal. Diesmal beantwortet er sie: Es gibt drei unterschiedliche Richtungen oder „reglas“ (Regeln) innerhalb der afro-kubanischen Religiosität. Die Santería (Regla de osha) praktiziert keinen Schadenzauber und kennt keine Menschenopfer. Es gibt Tieropfer und Liebeszauber (Die Frau badet unter Verrichtung bestimmter Gebete und muss anschließend dafür sorgen, dass der Mann, der verzaubert werden soll, von dem Badewasser trinkt), Heilungszauber, Verteidigungszauber und Orakel, um die Zukunft zu deuten. Also das, was wir als „weiße Magie“ bezeichnen würden. Ein Freund seiner Tante aber ist palero, das heißt Priester einer anderen Richtung, der Regla de palo. Von dieser Richtung ist bekannt, dass sie auch Zauber mit der Absicht, anderen Menschen zu schaden, durchführt. Dieser palero habe ihm einmal bei sich zuhause Leichenteile gezeigt, die er für seine Zeremonien benötigt. Die hatte er sich über Beziehungen zum Personal des Friedhofs besorgt. Das ist auch auf Kuba natürlich strafbar. „Ich habe ihn nicht angezeigt, weil er ein Freund meiner Tante ist,“ sagt mein Gesprächspartner. Mit Menschenopfern hat das nichts zu tun, denn besagter palero hatte sich erst nach der Beerdigung an die Leichen herangemacht. Vor ein paar Jahren, so erzählt mein Freund weiter, seien in der Altstadt von Havanna zwei Kinder, Zwillinge, ermordet aufgefunden worden, und zwar am 4.Dezember, dem Tag der hl. Barbara, die mit Changó, der Gottheit von Blitz und Donner, einer sehr aggressiven Gottheit, identifiziert wird. „Als Kind durfte ich am 3.12. abends nie raus, weil meine Eltern Angst hatten wegen des Vorabends von St.Barbara.“ Mir fiel ein, dass in bestimmten Städten der USA die Eltern am Vorabend von Allerheiligen Angst um ihre Kinder haben, weil die neuen Gangmitglieder sich durch ein Verbrechen an Halloween beweisen müssen.