Ich sitze im Zug. Die Zeit nutzend bete ich das Stundengebet. Genauer gesagt die Lesehore. Nach dem letzten Halt steht ein etwa 60jähriger Mann neben mir, wünscht mir einen guten Tag und fragt, ob der Platz mir gegenüber noch frei ist. Ich bejahe. Er setzt sich und äußert den Wunsch: „Bitte lesen Sie mir einen Satz vor.Ich muß geschaut haben wie der Apostel Thomas, dessen wir heute gedenken, als er nicht glauben wollte, daß Jesus auferstanden ist.Der Mann wiederholte seinen Wunsch: „Bitte lesen Sie mir einen Satz vor.„Egal welchen?“, fragte ich zurück.„Ja! Da wo Sie gerade sind, lesen Sie mir bitte den Satz vor.“, antwortete er.Also laß ich ihm den Satz vor, wo ich gerade war. Es war ein Satz aus der Apostelgeschichte.
So etwas ist mir noch nicht untergekommen. Ich hätte mit der Frage gerechnet, was lesen Sie da oder was ich für ein interessantes Buch ich denn da habe. Aber die Bitte, einen Satz vorzulesen? Damit hatte ich nicht gerechnet.Warum eigentlich nicht? Der etwa 60jährige Mann trug einen feinen Anzug. Wie sich dann im weiteren Gespräch herausstellte, ist er Anwalt von Beruf. Wollte ich es nicht wahr haben, daß auch Männer im Anzug geistlich interessiert sein könnten? Hatte ich an diesem Ort im Zug nicht damit gerechnet?
Ein bißchen fühlte ich mich wie der Apostel Thomas. Da erzählen die anderen Apostel ihm, daß Jesus auferstanden ist; aber er glaubt es nicht. Erst möchte er ihn anfassen; ihn erleben, um glauben zu können. Manche meiner Freunde und Bekannten haben mir schon von ähnlichen Erlebnissen erzählt, daß mir im Zug untergekommen ist. Manchmal fragte ich mich schon, wieviel Übertreibung ich von dem Erzählten abziehen muß.
Der Grund, warum mich der Mann im Anzug mich bat, einen Satz vorzulesen, möchte ich nicht vorenthalten. Er sagte, ein Satz aus der Bibel sei ihm immer wieder ein wichtiger Impuls für sein Leben. Weiter erzählte er, daß ihn so ein Satz einmal vor einer großen und schweren Sünde bewahrt hat. Er war frisch verheiratet und hatte beruflich in einer anderen Stadt zu tun. Dort wollte er in einem Haus der Freude seine Begierden frönen. Also ging er in die nächste Telefonzelle, um sich zu informieren, wo so ein Haus sei. Auf den Telefonbüchern lag ein Zettel mit eben so einem geistlichen Impuls. Nur ein Satz war dort zu lesen. Aber dieser erschütterte ihn so, daß er von seinem Verlangen abließ. Gott bewahrte ihn so vor einer großen Dummheit. Seitdem ist er immer wieder offen für einen kleinen geistlichen Satz und Impuls. Es sei für ihn immer wieder spannend, wie Gott auf diese Weise in seinem Leben wirkt.
Mich hat dieses Erlebnis sehr angerührt. Und ich frage mich, ob nicht viel mehr Menschen um mich herum auf der Suche nach so einem kleinen geistlichen Impuls sind. Ein kleiner Satz kann das ganze Leben eines Menschen positiv beeinflußen. Der Apostel Thomas wollte erst seine Finger in die Wunden Jesu legen, bevor er meinte, glauben zu können. Als er Jesus dann sah, glaubte er, ohne ihn zu berühren.
Vielleicht will Gott mir mit dieser Begegnung sagen, du mußt nicht großartige Predigten halten, um Menschen zur Umkehr zu bewegen. Jeder Mensch hat Hunger nach geistlicher Nahrung. Gehe hin und teile aus. Häppchen weise. Es müssen nicht immer großartige Menüs sein. Denn jeder Mensch hat Hunger nach Gott. Auch wenn er es noch so gerne verdrängt. Teile aus und laß Gott wirken. Er tut es zur rechten Zeit auf seine Weise. Auch wenn dein gegenüber erst eine Woche später zum Glauben kommt, wie Apostel Thomas eine Woche später zum Glauben kam als die anderen Apostel.
Säe und laß es sprießen wie Gott es will.