Der Mann, der den Tod gesehen hat

Der Mann, der den Tod gesehen hat

Detail aus einem Gang im Palazzo
Salis: 400-jährige Wandkritzelei.

Gestern bei monsunartigem Wetter - feuchte Hitze, immer neue Regengüsse - eine Tour nach Tirano, dem Städtchen zuunterst an der Berninalinie auf italienischem Boden. Höhepunkt war der Besuch des Palazzo Salis aus dem 17. Jahrhundert. Die gleichnamige Adelsfamilie entstand im Hochmittelalter in Como und zog bald alpenwärts; sie verzweigte sich dabei mehrfach, der Schweizer Ableger der Salis vor allem im Bündnerland und speziell im Bergell ist wohlbekannt. Der Palazzo zu Tirano besteht aus zehn Sälen, von denen einer prächtiger ist als der andere. Man sieht Deckengemälde mit antiken Motiven, rustikale Möbel, Trompe-l'oeil-Türen, die hausinterne Kirche, Wappen und Embleme noch und noch. Ah ja, ein riesiger Ziergarten war da auch. Als wir ihn betreten wollten, begann es gerade wieder wild zu schütten.
Später dann eine kurze Wanderung die bahnlose Seite des Poschiavo-Sees entlang von Miralago nach Le Prese. Sie endete mit der Einkehr in der Beiz gegenüber der Station von Le Prese. Ein Mann kam herein, setzte sich an den Stammtisch, eröffnete allen Anwesenden: "Ich habe den Tod gesehen." Die Serviererin lachte, bis sie merkte, dass er es ernst meinte. Offenbar war der Mann vor ein paar Tagen von einem guten Dutzend Wespen gestochen worden; ich verstand die Umstände nicht ganz genau; er sprach ein zwar nicht dialektales, aber schnelles und von Agrar-Ausdrücken durchsetztes Italienisch. Er habe dann einen Schock erlitten, sei fast gestorben, sei ein paar Tage im Spital gelegen. Auch jetzt noch wirke das Insektengift nach. Der Mann klagte: Mi gira l'albicocca! "Mir schwirrt die Aprikose."

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