Der letzte Trottel

Foto: Maren Stein - Die Nerd-Brille und Feuilleton-Posing machen die Sache auch nicht besser.

Foto: Maren Stein - Die Nerd-Brille und Feuilleton-Posing machen die Sache auch nicht besser.

George unser Staubsaugerroboter drehte im Wohnzimmer seine Runden, als es an der Tür klingelte. Es war meine Nachbarin, die unter uns wohnt und sich über den Krach von George beschwerte. Sie erklärte mir, der Lärm von George wäre erheblich. Sie selber hätte zwar keinen Robotersauger, aber sie gab mir noch Tipps, wie ich den Roboter richtig einsetzen könnte, damit er nicht weiter stört. Nachdem sie mit dem Plädoyer fertig war und ich mein Urteil bekam, gelobte ich Besserung und schloss die Tür.

Mich irritierte nicht, dass sie erst nach vier Jahren hochkommt, denn so lange sorgt George schon für einen sauberen Boden bei uns, mich irritierte, dass sie über George besser Bescheid wusste als ich. Es geht mir nicht nur bei meiner Nachbarin so, es geht mir mit vielen Menschen so, jeder weiß es besser. Ich habe das Gefühl, dass ich von lauter Experten umzingelt bin und ich habe den Eindruck, dass es täglich mehr werden. Das Schlimme an den Neunmalklugen ist nicht nur ihr schulmeisterliches Auftreten, sondern dass sie sich auch gleichzeitig wie Richter aufspielen.

Ich grübelte und musste feststellen, dass ich mich auch nicht anders verhalte. Ich bin, wie meine Nachbarin. Auch ich bin zu einem Besserwisser geworden. Mir fielen Situationen ein, wo ich im Rechthaber-Modus war. Ich hätte mich in diesem Moment am liebsten selbst geohrfeigt und schämte mich. Ich fragte mich, ob es mit dem Älterwerden zusammenhängt? Es an unserer Zeit liegt, weil jeder auf alles heute eine richtige Antwort parat haben muss, um sich nicht bloßzustellen?

Das fängt schon auf meinem Facebook Feed an, wo alle meine Freunde und Freundinnen seit Jahren sich in eine Art Ausnahmezustand befinden und sich gegenseitig mit „Besserwisser-Links“ in ihren Kommentaren duellieren. Besonders, wenn wir mal wieder kurz vor einer Apokalypse stehen, wie etwa beim G20-Gipfel, der Bundestagswahl oder jetzt bei den geplatzten Jamaika Sondierungsgesprächen. Und wenn ich dann auf mein iPhone starre, frage ich mich immer häufiger, welcher Link hat recht? Haben alle recht? Oder verstehe ich bloß nichts mehr?

Mag sein, dass das Besserwisser-Syndrom ein deutsches Phänomen ist, weil wir ja im Ausland als Back-seat Driver verschrien sind, also der Beifahrer sind, der nicht selbst Auto fährt, aber eben alles über das Autofahren weiß. Ich musste an die deutschen Touristen in Italien denken, die ich in einer Bar beobachtete und die einen Barista erklärten, wie ein guter Espresso zu schmecken hat. Naseweise haben natürlich sofort eine Antwort parat: Du-lebst-im-Informationszeitalter! Alle sieben Minuten schauen wir angeblich auf das Handy um Information zu „snacken“, dazu kommen wir alle über Google an alles Wissen der Welt heran. Liegt es tatsächlich an diesem Land oder an der digitalen Welt?

Foto: Maren Stein - Das Forest Gump Outfit ist der Beweis, ich bin der letzte Trottel.

Foto: Maren Stein - Das Forest Gump Outfit ist der Beweis, ich bin der letzte Trottel.

Keine Ahnung. Obwohl ich versuche auf dem Laufenden zu bleiben, habe ich am Ende des Tages immer mehr Fragen als Antworten - und ich fühle mich immer häufiger wie der letzte Trottel.

Die Schlauemeier verfolgen mich sogar bis in den Schlaf. In einem Traum war ich in einer Autoritätenhölle.  Ich war in einem Zimmer mit lauter Spiegel- und Focus-Kolumnisten gefangen. Ich wollte das Zimmer verlassen, aber es hatte viele Türen. Jeden der Anwesenden, den ich fragte, wusste, welche Tür hinausführte. Leider klappte es nie, egal wen ich fragte und durch welche Tür ich auch schritt. Ich stand immer wieder im selben Raum. Gott sei Dank wurde ich wach.

Während ich meine Bettwärme noch genoss, musste ich an einen schönen Sonntagvormittag denken, den ich damals mit meinen kleinen Neffen an einem Teich verbrachte. Wir bastelten ein kleines Holzfloß und unsere Passagiere waren Gänseblümchen. Wir ließen es zu Wasser. Kaum in der Mitte des Teiches angekommen ging es unter. Die Gänseblümchen trieben an uns vorbei. Mein Neffe fragte mich plötzlich: „Warum denken wir Menschen eigentlich?“

Schwere Frage dachte ich. Meine Antwort lautet: “Wir denken, weil wir doof sind.“ Ich wusste es halt nicht besser.

Das war ein schöner Tag.


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