Wenige Rosenheimer wissen, dass hinter Mauern und Zäunen der Kaserne in der Burgfriedstraße ein tragischer Held der vergangenen Bonner Republik seinen Lebensabend verbrachte. Der legendäre Präsident des Bundeskriminalamtes Horst Herold war Gegenspieler Nummer Eins der Rote-Armee-Fraktion (RAF) und avancierte zum Popstar der Terrorismusbekämpfung. Nach dem verheerenden Deutschen Herbst des Jahres ’77 musste Herold allerdings feststellen, dass seine Loyalität eine Einbahnstrasse war.
Horst Herold war ein kriminalistisches Genie seiner Zeit; unter seiner Ägide wurde das Bundeskriminalamt (BKA) von der Provinzklitsche zum deutschen FBI. Nicht auszudenken, hätte ihn eine Laune des Schicksals auf die Seite seiner Kontrahenten verschlagen.
Denn obgleich (erzwunger) Kriegsteilnehmer der nationalsozialistischen Wehrmacht, hatte Herold als Kind an der kommunistischen Jugendbewegung teilgenommen; während seines Studiums war er Mitglied im Sozialistischen Deutschen Studentenbund. Zeitlebens blieb Herold SPD-Mitglied.
Eine gewisse, wenn auch geringe ideologische Schnittmenge mit „der Gegenseite“ war also durchaus vorhanden. Bewunderer prägten den bildhaften Vergleich, Herold nutze diese Schnittmenge, sich „in den Hirnen seiner Gegner regelrecht einzunisten“ – um ihre weiteren Schritte vorherzusehen.
Kommissar Computer, wie man Herold wegen seiner Obsession für die elektronische Datenverarbeitung auch nannte, wurde zur Gallionsfigur im Kampf gegen den politischen Extremismus. Bereitwillig hob er den Fedehandschuh auf, den die Linksterroristen von RAF und der Bewegung 2. Juni dem bundesdeutschen Establishment in Form von Attacken und Attentaten vor die Füße schleuderten. „Wir kriegen sie alle“ – so sein vielzitiertes, düsteres Versprechen an Kader, Mitläufer und Sympathisanten des linken Terrors. Der Erfolg schien ihm Recht zu geben.
Die Erfolgssträhne des Horst Herold endete mit der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer. Die Ermordung Schleyers – Resultat einer polizeiinternen Übermittlungspanne – wurde zu Herolds Waterloo. Das Vertrauensverhältnis zu seinem Vorgesetzten, FDP-Innenminister Gerhart Baum, zerüttete zusehends. Der Minister mißbilligte Herolds technokratische Arbeitsweise, schon die Einführung der Rasterfahndung ging ihm zu weit; es war der Zweck, der die Mittel heiligte.
Herolds für damalige Zeit visionäre Idee eines „Digitalisierten integrierten Breitband-Sondernetz der Polizei für Sprache, Bild, Daten„, kurz DISPOL – quasi ein vorweggenommenes polizeiliches Intranet – quittierte der Minister mit vorzeitigem Gesprächsabbruch. Ein Treppenwitz der Geschichte, denn wie wir heute wissen, vermochte auch der linksliberale Datenschützer Baum es nicht, die vernetzte „schöne neue Welt“ aufzuhalten.
Von seinem Dienstherrn verraten und verkauft, wandelte sich die öffentliche Wahrnehmung des BKA-Präsidenten vom Ritter in strahlender Rüstung zum megalomanischen Datenschnüffler mit Allmachtsphantasien.
Wie für Napoleon sollte auch für Herold das Exil Konsequenz seines persönlichen Waterloos werden. Nachdem er mit nur 57 Jahren, vorgeblich aus gesundheitlichen Gründen, in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde, machten ihm die Sicherheitsbehörden unmissverständlich klar, dass sie von nun an nicht mehr für seine körperliche Unversehrtheit garantieren konnten.
Wie sehr Herold in Ungnade gefallen war, zeigte die Reaktion auf seinen Vorschlag, in die USA auszuwandern, wo er sich mithilfe des FBI ein neues Leben aufzubauen gedachte. Die Bürokraten ließen Herold abblitzen, maßgeblich unter der Begründung, keinen Präzedenzfall zu schaffen. Stattdessen bot man ihm ein Grundstück in der Rosenheimer Grenzschutzunterkunft Hans Ritter von Lex an. Hier, hinter den Mauern der Polizeikaserne tief im Süden des von Franz Josef Strauß regierten Bayerns, sollte Herold sicher sein wie in Abrahams Schoß. Die Kosten für seine Eremitage – 600.000 DM für das Grundstück und ein Fertighaus, das jahrelang von schützenden Erdwällen umgeben war – musste der Mann, der von 1971 bis 1981 sein Leben im Kampf gegen den politischen Extremismus riskiert hatte, auf Heller und Pfennig persönlich berappen.
Das Dienstrecht und die Pflicht zur Verschwiegenheit hinderten Herold daran, die traumatischen, in die bundesdeutsche Geschichte eingegangenen Ereignisse öffentlich aufzuarbeiten. Wie zu seiner Amtszeit die Dienstwohnung auf dem Dach der Betonburg des Wiesbadener BKA, wurde auch der Bungalow im beschaulichen Rosenheim zu Herolds Gefängnis. Nur hin und wieder beehrten ihn auswärtige Besucher – so zum Beispiel Otto Schily, law and order verfechtender Innenminister der Regierung Schröder, der ironischerweise vor seiner politischen Karriere nicht wenige von Herolds früheren RAF-Widersachern anwaltlich vertreten hatte.
Die Erdwälle, die das Wohnzimmer der Herolds jahrelang in Schatten tauchten, sind lange seit 1998 eingeebnet worden – dem Jahr der Selbstauflösung der RAF. Auch Horst Herold ist weg. Der gebürtige Thüringer verließ Rosenheim in Richtung seiner Heimatstadt Nürnberg. Die Lage seines vormaligen Domizils in der Burgfriedstraße ist weiterhin Streng vertraulich.
Ort: Grenzschutzunterkunft „Hans Ritter von Lex“, Burgfriedstr. 34, 83024 Rosenheim